Bad Gastein leuchtet wieder Wie Kunst in den Bergen Berge versetzt
20.08.2021, 18:01 Uhr
Seit 10 Jahren ein gutes Team: Ike Ikrath und Andrea von Goetz (oben die Künstlerin Pollyester).
(Foto: Hannes Wichmann)
Mitten in den Bergen trifft urbane Architektur auf atemberaubende Natur und spannende Kunst: Der Zauberort heißt Bad Gastein und liegt am Ende des Gasteiner Tals. Lauter verrückte Häuser wurden über Jahrhunderte in die Vertikale gebaut: Da steht also ein zehn Stockwerke hohes Grand Hotel aus der Belle Epoque neben einem brutalistischen Betonbau, einem verwaisten Kongresszentrum. Mitten im Ort fällt ein Wasserfall 340 Meter in die Tiefe. Und all das vor diesem unglaublichen Bergpanorama! Das hat Magie. Hier spürt der Besucher den Hauch vergangener, glamouröser Zeiten, als Hochadel und Hollywood angereist kamen. Und nur ein paar hundert Meter weiter steht der Besucher sehr allein in der enormen Natur des Nationalparks. Zu dieser einmaligen Atmosphäre gesellt sich seit zehn Jahren das Kunstfestival "sommer.frische.kunst", das Künstler und Kunstinteressierte aus aller Welt anzieht. Der Architekt und Hotelier Ike Ikrath und die Hamburger Kunstberaterin Andrea von Goetz sind - gemeinsam - der Motor dieses Kunstfestivals. Beide entstauben das Image von Bad Gastein. Mit ntv.de sprechen sie über Veränderungen, Visionen und Vergangenes.
Gerade läuft die zehnte Ausgabe von "sommer.frische.kunst" - und sie läuft gut. Was hat euch eigentlich nach Bad Gastein gebracht? Ike kommt ursprünglich ja aus Linz und Andrea lebt in Hamburg.
"Magic place for magic people" - das Hotel Miramonte mit einem Manifest von Jonathan Meese.
(Foto: Rebecca von Rehn)
Ike Ikrath: Die Liebe. Früher war ich in Hof Gastein und fand Bad Gastein furchtbar, das war super snobby. Wir sind Anfang der 1970er mit langen Haaren, Stirnband, Patchworkhosen und Armeejacken in Bad Gastein aufgekreuzt. Da kamen wir rechts durch die Drehtür und links wurden wir wieder rausgeworfen. Ich war dann bis 1995 nicht mehr hier. Aber dann hat das langsam mit meiner Frau Evelyn begonnen. Sie hat sich zwar einen Prinzen gewünscht, der sie woanders hin mitnimmt, doch ich hab gesagt: "Hier ist es cool, ich bleib da."
Andrea von Goetz: Wir hatten Verwandte in Bad Gastein, die wir 2004 besucht haben. Irgendwie war es aber nicht so schön, wie wir es uns vorgestellt hatten. Nachts waren wir spazieren und haben ein Haus entdeckt. Genau so, wie wir uns immer ein Skihaus gewünscht hatten, aber eben auch nicht leisten konnten. Spaßeshalber fragten wir eine Frau, die des Weges kam, ob man hier was kaufen könne. Prompt zeigte sie uns ein anderes Haus und drei Tage später haben wir gekauft. Die Preise haben das damals zugelassen.
Gute Entscheidung!
Ike Ikrath: Ja, Bad Gastein streut so eine Art Virus aus, entweder musst du raus aus den Bergen oder du bleibst da.
Andrea von Goetz: Ja, aber da muss ich sagen: Ich bin nicht so Bad-Gastein-süchtig wie alle anderen. Ich sehe das auch mit Distanz. Trotzdem verstehe ich die Magie.
Was ist denn der Haken?
Ike Ikrath: Die Kleingeistigkeit, sage ich jetzt mal so dahin … (lacht)
Andrea von Goetz mit Künstlerin Louisa Clement in einem Pavillion auf der Kaiser-Wilhelm-Promenade.
(Foto: Hannes Wichmann)
Andrea von Goetz: Für Kunst und Kultur ist der Ort fantastisch, und auch die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Es ist für Bad Gastein total wichtig Leute zu haben, die von außen drauf schauen. Wenn man sich immer im gleichen Dunstkreis bewegt, geht die Objektivität verloren. Für ein Kunstfestival ist es hier perfekt. Allerdings ist das für mich auch mit viel Arbeit und Stress verbunden - für Ike ebenso. Aber der Stress lohnt sich.
Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit ganz im Sinne von Karl Valentin. Und ihr seid mit Herzblut dabei ...
Andrea von Goetz: Ja, es ist ein Herzensprojekt und gleichzeitig ein hochprofessioneller Job, da wir mittlerweile internationales Niveau erreicht haben. Ein Job, der weit über die Sommermonate hinausgeht und viel Planung bedarf. Künstler*innen werden ausgesucht, Ausstellungen geplant, Kommunikation, Programmhefte und dann die Finanzierung auf die Beine gestellt. Nach wie vor ist der Tourismusverband der größte Unterstützer - sowohl finanziell als auch mit Manpower.
Ike Ikrath: In diesem Jahr kam die Audio-App dazu, die die Kunst noch besser erklärt.
Andrea von Goetz: "sommer.frische.kunst" ist ein Großprojekt geworden. Ich wollte aber auch nicht zehn Jahre lang so eine Hobbythek-Veranstaltung machen. Oft genug habe ich gedacht, es macht keinen Sinn. Es hat auch was von "die Geister, die ich rief", und ich würde mir noch mehr Unterstützung seitens der Gemeinde wünschen. Man muss ja kein Fan der zeitgenössischen Kunst sein, aber trotzdem verstehen, was das Projekt für den Ort tut und getan hat. Wenn ich nicht Ike und all die anderen Kreativen vor Ort hätte, wäre es unmöglich, das alles zu realisieren. Inzwischen bin ich die Veranstalterin und ich habe ein Team von Kunst- und Bad-Gastein-Fans, die mitarbeiten. Was ich nicht ahnen konnte ist, dass Corona kommt und ich für alle Hygienemaßnahmen verantwortlich bin.
Bisher ist alles gut gegangen. Seit Jahren nun begeistert ihr viele Menschen für das Städtchen und euer Kunstfestival, das kontinuierlich wächst. Was ist die größte Hürde?
Andrea von Goetz: Ganz ehrlich - es gab keine großen Hürden in diesem Jahr.
Ike Ikrath: Außer die Zuschüsse ... der Jahreshauptsponsor hat nur die Hälfte bezahlt.
Manchmal liegt Kunst auf dem Dach. Hier am Kraftwerk von Gerwald Rockenschaub.
(Foto: Holger Schmidhuber)
Andrea von Goetz: Stimmt, es ist unglaublich, mit wie wenig Geld wir das hinbekommen. St. Moritz gibt mein Jahresbudget in drei Stunden aus (lacht). Wir haben jetzt so krass viele Besucher - das freut uns dermaßen! Ike und ich werden in zehn Jahren bestimmt die ein oder andere Flasche Rotwein trinken und denken: "Was war das schön!" (lacht) Als alles noch eine große Spielwiese war und der Leerstand uns diese Freiheiten ermöglicht hat.
Den Rotwein könnt ihr doch jetzt schon trinken, weil alles gelungen ist. Urbanität ist dir, Ike, wichtig. Inzwischen sind die Investoren da und hauchen einigen der leerstehenden Hotels neues Leben ein. Hat "sommer.frische.kunst" da Berge versetzt?
Ike Ikrath: Das Kunstfestival hat das Image von Bad Gastein zumindest im mitteleuropäischen Bereich stark verändert. Große Investoren, die jetzt bauen, wären sonst nicht angesprungen. Als Architekt weiß ich, dass die Idee, was die Stadt selbst darstellt, wichtig ist. Bad Gastein leuchtet wieder. Der Ort hatte dieses Verstaubte und Altväterische gehabt. Jetzt hat er alle Chancen, weiterentwickelt zu werden. Als Ortsansässige wollen wir, mit Andrea gemeinsam, den Effekt nutzen und die Entwicklung voranbringen. Wir wollen künftig auch Design integrieren, aber das ist noch in den Kinderschuhen. Die Sommerfrische ist wie ein Zauberstab.
Habt ihr keine Angst, dass der Zauber verloren geht? Es wird viel renoviert und gewerkelt, aber eben auch eingerissen und es entstehen sogar neue Hoteltürme. Plötzlich ist vom "Manhattan der Alpen" die Rede.
Andrea von Goetz: So hieß es schon vorher ...
Ike Ikrath: Es hieß auch schon "Monaco der Alpen", und "Berlin der Alpen". Wir sind ganz schön wandlungsfähig. Es werden noch ein paar Namen kommen (lacht). Es gibt ein neues Buch über Bad Gastein von Judith Eiblmayr - für sie wäre ein "Manhattan der Alpen" problematisch: Auf diesem kleinen, zum Teil steilen Bauplatz muss man natürlich hoch bauen, aber sie sieht das kritisch. Der schwierigste Punkt ist jetzt, dass der Ort nicht nur interessant bleibt, sondern noch interessanter wird. Wir brauchen dazu die Gemeinde und den Tourismusverband als Partner, was nicht so einfach ist. Aber wir bleiben da dran!
Bad Gasteins Spannungsfeld ist irgendwo zwischen angestaubt und hip angesiedelt. Wie geht es weiter, wenn ihr nach vorn schaut?
Das Kunstfestival am Ende der Welt hat auch Lars Eidinger überzeugt. Er zeigt seine Fotos in einem leerstehenden Hotel und hinter ihm leuchtet Ariel Reichman.
(Foto: Hannes Wichmann)
Ike Ikrath: Viele kommen inzwischen zum Vernetzen, denn es ist so familiär und cosy bei uns.
Andrea von Goetz: Deswegen wollen wir jetzt endlich unseren "sommer.frische.kunst"-Verein gründen. Alle, die seit zehn Jahren kommen, müssen Mitglied werden, damit wir eine monetäre Basis haben.
Was plant ihr konkret in den kommenden Jahren?
Andrea von Goetz: Meine große Vision ist es, eine Messe in Bad Gastein zu etablieren. In den Sommermonaten, wo der Kunstzirkus ein bisschen ruht, hat man hier füreinander Zeit, kann sich mit der Kunst auseinandersetzen und vorher auf den Berg oder ins Thermalbad gehen. Die "artbadgastein" soll für zehn Tage im Kraftwerk stattfinden, als jährlicher Auftakt. Vielleicht schon 2022. Außerdem planen wir, das Kraftwerk ganzjährig zu bespielen, mit Ausstellungen, Co-Workingspaces, einem Museumshop und auch Atelier-Plätzen. Das Kraftwerk war und ist unsere Keimzelle.
Im ganzen Ort sind zeitgenössische Skulpturen verteilt. Auf der Kaiser-Wilhelm-Promenade ist in den kleinen Pavillons hochkarätige Kunst von Louisa Clement, Katharina Arndt oder Lars Eidinger zu sehen.
Andrea von Goetz: Wir sind von Passion getrieben - das wissen alle. Ike läuft auch ständig rum, klopft Nägel in die Wand und hilft bei der Hängung. Diese Leidenschaft und dieser Einsatz begeistert auch die Künstler*innen - neben den unglaublichen Locations. So konnten wir mit dem leerstehenden Hotel Astoria Lars Eidinger gewinnen: "A Magic Place for Magic People".
Sind die Menschen in den coolen Hotels wie dem "Miramonte", das Ike betreibt, eigentlich die gleichen, die mit der Kunst zu tun haben?
Ike Ikrath: Ja, die Schnittmenge ist groß. Die sommer.frische.kunst ist ein willkommener Teil und für die Gäste schaffen wir interessantes Neues. Das glüht und brennt und man glaubt gar nicht, was Kunst für Emotionen auslöst.
Andrea von Goetz: Man muss brennen, um zu strahlen - auch wenn das blöd klingt. Mir fällt übrigens gerade auf, dass Ike und ich in zehn Jahren noch nie wegen irgendwas Stress hatten.
Ike Ikrath: Wir haben dafür zu wenig Zeit! (lacht)
Das klingt sehr harmonisch. Zehn Jahre weiter - wie sieht der perfekte Tag in Bad Gastein für euch im Winter aus?
Ike Ikrath: Unser Kunstfestival hat definitiv die Architektur verändert und die Kultur. Im Winter treibe ich mich auf der Skipiste rum und gehe später an die Bar zu den Künstlern, die inzwischen auch als Gäste kommen.
"sommer.frische.kunst" also auch als "winter.frische.kunst"?
Andrea von Goetz: Unbedingt. Wenn die anderen Hotels fertig sind, werden wir die zeitgenössische Kunst noch mehr im Winter spielen und tolle Ausstellungen realisieren.
Und der ideale Sommertag in zehn Jahren, wie sieht der aus?
Andrea von Goetz: Ich muss keine Transporter entladen, kein Klopapier und keinen Kaffee kaufen. Mein Team von dann mindestens zehn Leuten ist die drei Monate vor Ort und ich muss nur noch überall vorbeikommen, nicken und mich freuen. Aber vielleicht wäre das zu langweilig (lacht).
Mit Andrea von Goetz und Ike Ikrath sprachen Juliane Rohr und Sabine Oelmann.
sommer.frische.kunst läuft noch bis zum 12. September - Künstler wie Katharina Arndt, Louisa Clement, Lars Eidinger, Pollyester und Ariel Reichmann zeigen Malerei, Fotografie, Installationen und Skulpturen an verschiedenen Ort in Bad Gastein. Alles dazu hier.
Quelle: ntv.de