

Im Wahlkampf haut Guido Westerwelle wieder kräftig auf die Pauke. Sowohl inhaltlich: "Es muss einen Unterschied machen, ob man morgens aufsteht oder liegenbleibt. Leistung muss sich lohnen, und wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet."
Als auch strategisch: Als einzige Partei führt die FDP einen Lagerwahlkampf. Eindringlich warnt Westerwelle vor Rot-Rot-Grün, immer wieder schließt er eine Ampelkoalition aus, ...
... immer wieder fordert er von der Union ein Bekenntnis zu Schwarz-Gelb - das seine Partei selbst offiziell erst zehn Tage vor der Wahl beschließen will.
Der eher integrative Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel ärgert ihn. Sagt er. "Die Union muss sich fragen, ob sie weiter auf drei Koalitionshochzeiten tanzen will." Klarheit sei gefragt. "Wer gewinnen will, muss klar sein."
Seine Analyse: "Wir sind klar, andere sind unklar. Bei uns weiß man, woran man ist, bei anderen weiß man es nicht. Das ist der Grund, warum wir wachsen und andere schrumpfen."
Natürlich weiß Westerwelle, dass die Union keineswegs erfolgreicher wäre, wenn sie bei ihrem stärker wirtschaftsliberalen Kurs von 2005 geblieben wäre - das Ergebnis des damaligen Bundestagswahlkampfes liegt in etwa auf der Höhe der aktuellen Umfragen.
Ihm geht es um etwas anderes: Die FDP wächst, weil sie der Union wirtschaftsliberale Wähler abspenstig macht. Für beide, Union und FDP, ist die Inszenierung von Streit sinnvoll: getrennt marschieren, um vereint zu siegen.
Den Umfragen zufolge kann die FDP am 27. September 14 Prozent bekommen - mehr als die FDP bei Bundestagswahlen je erreicht hat. Der bisherige Rekord liegt bei 12,8 Prozent ...
... und datiert aus dem Jahr 1961. Hier Konrad Adenauer bei der Stimmabgabe.
2005 traten Westerwelle und die Union noch im Doppelpack an. Die Wahl von Horst Köhler zum Bundespräsidenten im Mai 2004 betrachtete Westerwelle als sein "Meisterstück": ...
Zusammen mit Edmund Stoiber und Angela Merkel installierte er den früheren IWF-Chef im Schloss Bellevue.
Der Sieg bei der Bundestagswahl schien reine Formsache zu sein. Daraus wurde nichts. In der "Elefantenrunde" fand Westerwelle sich einem triumphierenden, pöbelnden Gerhard Schröder gegenüber. Westerwelle bewahrte die Fassung.
"Ich möchte Ihnen Ihre gute Nachtruhe nicht nehmen und Ihre gute aufgesetzte Laune, aber Sie werden mit uns nicht regieren. Wir werden Ihren Regierungsauftrag nicht verlängern", sagte Westerwelle zu Schröder. Vielleicht war dieser souveräne Auftritt sein wahres Meisterstück.
Westerwelle nahm die Rolle des Oppositionsführers an. Sie bot einen großen Vorteil: Nun konnte er die SPD attackieren und sich gleichzeitig als bessere Alternative zur Union empfehlen. Mit Ausnahme von Sachsen-Anhalt und Berlin 2006 hat die FDP seither bei jeder Landtagswahl zugelegt.
Sie ist an den Regierungen von Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen beteiligt und in fast allen Landesparlamenten vertreten - die Ausnahmen sind Hamburg und Brandenburg, wobei sich letzteres bei den Landtagswahlen in der Mark am 27. September ändern kann.
Westerwelle selbst will an diesem Tag in seinem Wahlkreis Bonn ein Bundestags-Direktmandat für die Liberalen holen. Westerwelle sagt, er sehe sich nicht als "Zählkandidat".
Ein wenig erinnert das allerdings an seine Kanzlerkandidatur 2002. Denn ein Erststimmenerfolg in Bonn wäre eine echte Überraschung: 2005 erreichte Westerwelle in seiner Heimatstadt 8,7 Prozent, bei den Zweitstimmen kam die FDP auf 13,7 Prozent.
Westerwelle ist ein fast waschechter Bonner: Geboren am 27. Dezember 1961 auf der gegenüberliegenden Rheinseite in Bad Honnef. Seine Jugend ist keineswegs gradlinig: Gymnasium, Realschule, Mittlere Reife, Gymnasium, Abitur.
Er ist noch ein Kind, als seine Eltern sich trennen. "Wir sind nach der Scheidung meiner Eltern in den 60er Jahren in ein Altstadthaus nach Bonn gezogen", erzählt Westerwelle in einem Interview (das Bild zeigt allerdings nicht Westerwelles Kindheits-, sondern Beethovens Geburtshaus. Das steht auch in Bonn).
Seine Jugend schildert er glücklich: "Unten war die Kanzlei meines Vaters, oben waren unsere Zimmer und die Küche, wo sich eigentlich alles abspielte. Fast wie in Pippi Langstrumpfs Villa Kunterbunt. Mein Vater war alleinerziehend und als Rechtsanwalt und selbständiger Freiberufler natürlich unglaublich eingespannt. Er hatte wirklich ganz wenig Zeit."
In einem anderen Interview sagt er: "Wenn man wie ich mit drei Brüdern bei einem alleinerziehenden Vater groß geworden ist, hat man drei Dinge gelernt, die das Leben deutlich erleichtern: Laut zu reden, schlagfertig zu sein und schnell zu essen."
Drei Brüder! Pippi Langstrumpf? Zum öffentlichen Westerwelle scheint das Schlagwort vom "Leben im Zwiegespräch mit dem eigenen Spiegelbild", das sein Biograph, der FAZ-Redakteur Majid Sattar, geprägt hat, besser zu passen.
Bei der Buchvorstellung im Februar 2009 merkt Außenminister Steinmeier an, am Außenministeramt sei "das Schlimmste, dass man über die Erfolge, die man hat, nicht immer reden kann. Auch das muss man aushalten, lieber Herr Westerwelle".
Westerwelle studiert in Bonn, promoviert an der Fernuniversität Hagen über "Das Parteienrecht und die politischen Jugendorganisationen" und wird 1991 Rechtsanwalt. FDP-Mitglied ist er seit 1980, außerdem einer der Mitbegründer der Jungen Liberalen, ...
... der neuen Jugendorganisation der FDP. Nach der "Wende" in Bonn 1982 ersetzen die eher rechtsliberalen "Julis" die eher linken Jungdemokraten als FDP-Nachwuchsverband. Bald darauf, 1983, wird Westerwelle zum Vorsitzenden der Jungliberalen gewählt.
1988 wird Westerwelle Mitglied des FDP-Bundesvorstands, 1994 im Alter von nur 32 Jahren Generalsekretär. Parteichef ist Klaus Kinkel, die FDP in einer schweren Krise: ...
Sie wird aus fast allen Landtagen herausgewählt und erreicht im Bund 1994 magere 6,9, vier Jahre später nur noch 6,2 Prozent.
Westerwelle und Kinkels Nachfolger Wolfgang Gerhardt definieren die Liberalen als "Reformpartei" und legen sie auf das Credo "weniger Staat" fest, das bis heute gilt.
1996 zieht Westerwelle als Nachrücker in den Bundestag ein. Er ist zwar der jüngste Generalsekretär, später auch der jüngste Parteichef aller Zeiten.
Doch seine politische Karriere verläuft keineswegs glatt.
"Weil die Altvorderen so wirken, als hätten sie innerlich schon aufgegeben, ...
... spielt Westerwelle den Anführer auf dem Weg in die Zukunft", spottet der "Spiegel" 1995.
Im Oktober 2000 führt ihn dieser Weg in den "Big Brother"-Container.
Zu dieser Zeit gehört Westerwelle zu einer Gruppe von "Frondeuren", die Parteichef Wolfgang Gerhardt absetzen will. Sein wichtigster Gegenspieler im Kampf um die Macht ist dabei nicht Gerhardt, sondern Jürgen W. Möllemann.
Die Auseinandersetzung mit Möllemann wird die Jahre bis zu Möllemanns Tod bestimmen. Schon auf dem Parteitag in im Juni 2000 in Nürnberg propagiert Möllemann sein "Projekt 18". Westerwelle hält dagegen, mit 18 Prozent könne man doch nicht den Kanzler stellen.
Ein halbes Jahr später setzt Westerwelle sich durch. "Es wurde kein Vatermord", schreibt der Politologe Jürgen Dittberner, "aber eine schwere Verletzung": Im Januar 2001 verkündet die FDP-Spitze die "Tandem-Lösung": Westerwelle wird Parteichef, Gerhardt bleibt Fraktionsvorsitzender.
Vier Monate später wird Westerwelle zum Parteivorsitzenden gewählt. Der Machtkampf mit Möllemann bleibt unentschieden. "Ich möchte die Partei führen und inhaltlich prägen", sagt Westerwelle auf dem Parteitag. Deshalb wolle er die FDP auch in den nächsten Bundestagswahlkampf führen.
Und dann folgt der legendäre Satz: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt. Und das bin ich." Mit 72 Prozent lehnen die Delegierten Möllemanns Forderung ab, einen eigenen Kanzlerkandidaten aufzustellen, beschließen aber das "Projekt 18".
Die Entscheidung, die wie ein Kompromiss aussieht, ist ein Etappensieg für Möllemann.
Ein weiteres Jahr später lässt Westerwelle sich doch zum Kanzlerkandidaten der FDP ausrufen. Der Parteitag in Mannheim im Mai 2002 soll die Bühne dafür bieten.
Westerwelles Bewerbungsrede ist von der Parteitagsregie als Höhepunkt vorgesehen. Möllemann stiehlt seinem Lieblingsfeind fast die Show. Er ist krank, kommt aber dennoch, um Westerwelle die Krone anzutragen:
... "Lieber Guido Westerwelle, wenn Sie sagen: 'Ich marschiere los, um König zu werden', dann werden die Fürsten Sie unterstützen."
Dann spricht Westerwelle. Den Delegierten sagt er, was nun unvermeidlich ist: "Ich habe es gewogen und ich habe Ihnen drei Tage zugehört. Und ich habe mich entschieden. ...
... Ich bitte um Ihren Auftrag, als Kanzlerkandidat der Freien Demokratischen Partei in die Bundestagswahl für Sie zu gehen."
Auch als Kanzlerkandidat wird Westerwelle den Ruf eines Spaßpolitikers nicht los. Er fährt mit dem "Guidomobil" durchs Land ...
... und lässt sich beim Beachvolleyballspielen ablichten. Als es ernst wird, zeigt sich der junge Parteichef der Lage zunächst nicht gewachsen.
Die Sache beginnt im April 2002, als Möllemann Verständnis für palästinensische Selbstmordattentäter zeigt. Er sagt, er würde sich "auch wehren, und zwar mit Gewalt ... Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors".
Im selben Monat nimmt die nordrhein-westfälische FDP-Fraktion, deren Vorsitzender Möllemann ist, den Ex-Grünen Jamal Karsli auf. Im März hatte Karsli Israel vorgeworfen, gegen die Palästinenser "Nazi-Methoden" anzuwenden.
Anfang Mai spricht Karsli in der "Jungen Freiheit" vom "Einfluss der zionistischen Lobby" in Deutschland, die Kritik an Israel verhindere. Dennoch nimmt der Kreisverband Recklinghausen Karsli am 15. Mai auf. Erst drei Tage später reagiert Westerwelle.
Er fordert, Karslis Aufnahme rückgängig zu machen. Vier Tage später zieht Karsli seinen Mitgliedantrag zurück.
Parallel zum Fall Karsli zettelt Möllemann mit scharfen Attacken gegen Israel und gegen Michel Friedman, zu dieser Zeit Vizepräsident des Zentralrats der Juden, eine Debatte über Antisemitismus an, in der er sich als Opfer inszeniert.
Auch hier versagt Westerwelle zunächst. Auf dem Bundesparteitag Mitte Mai verwahrt er sich gegen die "Unterstellung", die FDP biete Raum für antisemitische Positionen, und erklärt ganz im Sinne Möllemanns, man müsse "Israel kritisieren dürfen", ohne als Antisemit zu gelten.
Kurz danach reist Westerwelle nach Israel. Eigentlich hatte die Reise zeigen sollen, dass Westerwelle außenministertauglich ist. Nun muss er die FDP und sich selbst verteidigen. "Antisemitismus ist in keiner Weise verantwortbar", versichert er dem israelischen Präsidenten Katzav.
Zuhause wartet der Fall Karsli auf ihn. Am 2. Juni fordert er Karslis Ausschluss aus der nordrhein-westfälischen Fraktion. Möllemann kommt dem nicht nach.
Erst jetzt ist für Westerwelle der Moment gekommen, Stärke gegen Möllemann zu zeigen. Am 5. Juni stellt er ihm ein Ultimatum. Möllemann gibt am folgenden Tag Karslis Austritt aus der Fraktion bekannt.
Die Affäre scheint überstanden, der Showdown ausgesessen. Da lässt Möllemann fünf Tage vor der Bundestagswahl am 22. September 2002 in NRW millionenfach ein Flugblatt verteilen, in dem er seine Angriffe gegen Scharon und Friedman wiederholt.
Im November 2002 muss Möllemann einräumen, das Flugblatt illegal finanziert zu haben. Er hat sich selbst ins Aus gestellt.
Möllemann sagt, er habe von Spendern knapp eine Million Euro Spendern besorgt, seiner Privatschatulle zugeführt, gestückelt und auf zwei Konten eingezahlt. Wer diese Spender sind, ist bis heute ungeklärt.
Am 17. März 2003 tritt er aus der FDP aus.
Hier ein Bild von Guido Westerwelle vom selben Tag.
Möllemanns Rache an Westerwelle wird allgemein nur noch als peinlich empfunden. Im März 2003 veröffentlicht er ein Buch, auf dem der Titel "Klartext. Für Deutschland Möllemann." prangt. Mit einer wilden Räuberpistole versucht er darin, Westerwelle als homosexuell zu outen.
Möllemann schreibt, Westerwelle sei bei seinem Israel-Besuch im Mai 2002 vom israelischen Geheimdienst erpresst worden. Ein Mossad-Mann habe Westerwelle "in unmissverständlichen Worten knallhart gesagt, dass die israelische Regierung meinen politischen Kopf verlange".
Möllemann sagt nicht, womit der Mossad Westerwelle erpresst haben soll, schreibt aber, man müsse nicht Chef eines Geheimdienstes sein, um zu wissen, "wie gnadenlos diese Dienste auch das Wissen um die privatesten Dinge einsetzen".
Die FAZ schreibt dazu, einer der besten Geheimdienste der Welt habe wohl geschicktere Methoden, als dem "nichtverheirateten Westerwelle" mit Details aus seinem "weitgehend bekannten" Privatleben zu drohen.
Möllemann, der seit seinem Austritt aus der FDP-Fraktion im Bundestag einen einsamen Stuhl in der letzten Reihe hatte, stirbt am 5. Juni 2003 bei einem Fallschirmsprung.
2004 wird Westerwelle von der "Bild"-Zeitung noch einmal "geoutet", doch die Neuigkeit ist längst keine mehr; mehrfach hatten Westerwelle und sein Lebensgefährt Michael Mronz sich zuvor zusammen gezeigt. Hier ein Bild vom 2. August 2003.
Es war Westerwelles Art, sein Privatleben öffentlich zu machen: nicht so laut wie Klaus Wowereit, aber nicht weniger selbstbewusst.
Der politische Neubeginn gelingt Westerwelle auf dem Bremer Parteitag im Mai 2003. "Erstens: Die FDP ist keine Partei nur für Austern-Schlürfer und Champagner-Trinker, sondern eine Partei, die sich an das ganze Volk wendet. ...
... Zweitens: Die FDP ist zuallererst eine eigenständige Partei und erst in zweiter Linie Koalitionspartner für irgendwen. ...
... Drittens: Es geht der FDP darum, Menschen wieder für die Politik zu gewinnen, die sich von unserem politischen System abgewendet haben." Abweichend von seinem Redemanuskript fügt er an, die FDP würde aber "nie wachsen, indem wir ins Trübe gehen".
Eine Spaßpartei ist die Westerwelle-FDP seither nicht mehr. An diese Rolle muss Westerwelle sich erst gewöhnen, gelegentlich wirkt er allzu staatsmännisch. "Häufig ähnelt sein einst jungenhaftes Lächeln einer vereisten Grimasse", schreibt die FAZ im Mai 2003.
Doch unterschätzt wird Westerwelle immer seltener. Im Sommer 2004 wird bekannt, dass Edmund Stoiber ihn und Merkel als "Leichtmatrosen" bezeichnet hat, die "Schröder und Fischer nicht das Wasser reichen" könnten.
Erst nach der Wahl schießt Westerwelle zurück. Er gibt Stoiber nicht nur eine Mitschuld am Scheitern von Schwarz-Gelb, sondern auch am Scheitern einer Jamaika-Koalition: "Der CSU war jetzt eine Große Koalition lieber", sagt er.
Jetzt hofft die FDP, dass es nach elf Jahren in der Opposition im dritten Anlauf endlich klappt.
Und wenn nicht? Guido Westerwelle dürfte in jedem Fall Parteichef bleiben, er hat die Partei auf sich zugeschnitten, es gibt keine Machtkämpfe, nicht einmal Kronprinzen - eigentlich niemanden hinter ihm. Westerwelle und die FDP sind eins. (Text: Hubertus Volmer)