Einsatzkräfte bergen erste Leichen Absturz von 4U9525 gibt noch immer Rätsel auf
25.03.2015, 21:56 Uhr
Bis alle Teile von 4U9525 geborgen sind, werden noch Wochen vergehen.
(Foto: AP)
Es ist der schwere Tag danach: Nach dem Absturz des Germanwings-Flugzeugs in den französischen Alpen werden die ersten Leichen geborgen. Die Ermittler machen derweil nur wenige Fortschritte, erste spärliche Zwischenergebnisse liegen vor. Im Tal trauern die Angehörigen der Opfer - und an der Unfallstelle trifft hoher Besuch ein.
Als am Morgen über Seyne-les-Alpes die Sonne aufgeht, wird das Ausmaß der unfassbaren Tragödie von Flug 4U9525 wieder deutlich. Der Steilhang, an dem der Airbus A320 am Vortag zerschellte und der über Nacht im Dunkeln lag, ist ein einziges Trümmerfeld. Die Unfallstelle ist schwer zugänglich, mühsam müssen die Rettungsteams mit Hubschraubern dorthin gebracht werden. Am späten Abend bestätigt die Polizei: Die Einsatzkräfte haben erste Leichen mit ins Tal gebracht. Die Bergung der Wrackteile ist jedoch eine Sisyphos-Aufgabe, sie wird noch Wochen in Anspruch nehmen.
Ebenso lange wollen sich die Ermittler Zeit nehmen, die sich mit der Klärung der Absturzursache befassen und all ihre Hoffnungen auf den gefundenen Sprachrekorder setzen. Das stark beschädigte Gerät entwickelte sich im Laufe des Tages zu einem der größten Mysterien, es kursieren allerhand Gerüchte. Ein hagerer, nüchterner Franzose mit Halbglatze soll die meisten davon am Nachmittag zunichtemachen.
Remi Jouty ist Direktor der französischen Luftsicherheitsbehörde BEA. Seine Einrichtung leitet die Auswertungen. Und Jouty kann nur so viel bekanntgeben: Der Stimmenrekorder enthielt auswertbare Audiodateien, es seien Stimmen zu hören. Was gesagt wird, ob und wann die Kommunikation abbricht und ob schon Hinweise über die Absturzursache dabei sind? Keine Informationen.
Jouty ist bemüht, Spekulationen nicht weiter anzuheizen. Angesichts von 150 Todesopfern ist das die einzig richtige Kommunikationsstrategie. Eine Explosion vor dem Aufprall auf den Felsen habe es nicht gegeben. Und: Die zweite Blackbox, der Datenschreiber, ist entgegen anderslautenden Berichten noch nicht gefunden worden - lediglich der Behälter, durch den der Rekorder normalerweise geschützt wird, sei aufgetaucht. Immerhin: Jouty ist zuversichtlich, dass das wichtige Beweisstück noch geborgen werden kann.
Merkel: "Es ist eine wahrhafte Tragödie"
Die Pressekonferenz, auf der Jouty spricht, wird um fast eine Stunde nach hinten verschoben. Die BEA will nicht mit der parallel anberaumten Unterrichtung der Medien der drei Regierungschefs Frankreichs, Spaniens und Deutschlands konkurrieren. Kanzlerin Angela Merkel ist angereist, sie will präsent sein an der Absturzstelle, sich vor Ort über die Arbeiten informieren, das Grauen begreifen. Die sonst eher unemotionale CDU-Politikerin ist sichtlich berührt.
Gemeinsam mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande und Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hat sie die Unglücksstelle aus der Luft in Augenschein genommen. Anschließend spricht Merkel: "Es ist eine wahrhafte Tragödie", sagt sie. Und sie dankt den Bewohnern der Region sowie der französischen Regierung für die Unterstützung. "Es ist ein gutes Gefühl, dass wir in einer so schweren Stunde so eng und freundschaftlich zusammenstehen", sagt sie.
Im Schatten der hohen Staatsgäste reisen die ersten Angehörigen der Opfer an. Die Lufthansa hatte angeboten, die Familien nach Frankreich zu bringen. In Digne-les-Baines, wenige Kilometer von der Absturzstelle entfernt, und in Seyne-les-Alpes selbst wurden Betreuungszentren für sie eingerichtet. Es sind Seelsorger vor Ort, Deutsch- und Spanischlehrer aus der Region dolmetschen. In einer Trauerhalle soll den Angehörigen Raum und Ruhe gegeben werden.
"Gestern waren wir viele. Heute sind wir allein"
Unterdessen gibt es im Lauf des Tages stichhaltigere Informationen über die genaue Herkunft der 150 Opfer - auch wenn es noch immer Fragezeichen gibt. Die Zahl der Toten, die deutsche Staatsangehörige waren, wird auf 72 nach oben korrigiert. Nordrhein-Westfalen ist das am schwersten betroffene Bundesland, 50 Opfer kommen von hier. Das Land, das nach Deutschland die meisten Opfer zu beklagen hat, ist Spanien. Die Zahl der Toten von dort schwankt zwischen 35 und 51. Die übrigen waren Briten, Kasachen, Australier, Venezolaner, Kolumbianer, Mexikaner, Iraner, US-Amerikaner, Japaner, Niederländer, Dänen, Belgier und Israelis.
Hinter jeder Zahl, jeder genannten Nationalität, verbergen sich Schicksale. Schwer zu begreifen, was der Verlust für Väter und Mütter, Töchter und Söhne, Freunde und Bekannte bedeutet. Und dann sind da die vielen Geschichten von Menschen, die mit dem Leben davon gekommen sind. Von der schwedischen Fußballmannschaft, die wegen der zu langen Wartezeit in Düsseldorf kurz vor dem Abflug eine andere Verbindung wählte. Oder von den Halterner Schülern, die an dem begehrten Schüleraustausch nicht teilnehmen durften, weil sie beim Losen verloren haben.
Überhaupt: Haltern am See. Kein Ort in Deutschland zeigt deutlicher, wie grausam der Absturz von 4U9525 ist. In der westfälischen Kleinstadt sind alle fassungslos über den Verlust von 16 Schülern und zwei Lehrkräften, die auf dem Rückweg von Barcelona waren. Vor dem Joseph-König-Gymnasium in Haltern erinnert ein Lichtermeer an die Toten. "An unserer Schule wird nichts mehr so sein, wie es vorher war", sagt Schulleiter Ulrich Wessel. Und auf einem Schild steht: "Gestern waren wir viele. Heute sind wir allein."
Quelle: ntv.de