
Ruht in Frieden. Keine Floskel.
(Foto: IMAGO/Pixsell)
Wenn Menschen sterben, die noch nicht an der Reihe waren, so wie die Natur es für sie vorgesehen hatte, also wenn sie vor ihren Eltern gehen, dann ist das Schlimmste eingetreten, was passieren kann. Die Kolumnistin trauert in diesen Wochen um zwei Menschen.
Sie waren ein bisschen jünger als ich, und selbst wenn sie ein bisschen älter gewesen wären, wäre es zu früh gewesen. O. und B. sind tot, sie hatten nichts miteinander zu tun, sie starben auf völlig unterschiedliche Weise, bei B. war es nicht so überraschend wie bei O., beides ist schrecklich. Seinen Namen in der sonntäglichen Traueranzeige in der Zeitung zu sehen, ist so ziemlich das Absurdeste, was ich mir vorstellen kann. Ein schöner Tod, sagt man, einfach eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht. Stimmt, wenn man 85 oder so ist. Aber nicht, wenn man 51 ist und gerade einen neuen Job antreten wollte. Und B., die lange mit dem Tod verhandelt hat und ihn immer wieder breitschlagen konnte, ihr noch Zeit zu gewähren, verschwand nun doch und hinterlässt auch noch Kinder.
Die Nachrichten dieser beiden Tode erreichen mich nicht sofort: Ich habe das gehört, am Telefon, intellektuell auch verstanden, aber es kommt in meinem Kopf, in meinem Herzen, einfach nicht an. Weil es etwas ist, das nicht sein kann. Ich habe diese beiden Menschen nicht andauernd gesehen, deshalb fällt mir ihr Fehlen in meinem Alltag nicht auf, und doch sickert nun, nach ein paar Tagen, die Gewissheit durch, dass O. und B. nie mehr sehen, was ich sehe. So etwas Profanes, aber auch Wundervolles wie einen Sonnenaufgang, die Berge, das Meer, eine Party, viele Kerzen auf der Torte, ihre Freunde, ihre Familie, sich selbst im Spiegel. Sie werden nicht mehr alt, sie bleiben forever young, und das ist scheiße.
"Du darfst mich immer zitieren", schrieb O. mir irgendwann. Wir schrieben uns immer wieder mal, mal mehr, mal weniger, über die letzten 15 Jahre. Und er schickte mir Musikvideos. Tom Smith zum Beispiel, wenn er "Dancing in the Dark" vom Boss singt. "Vielleicht die schönste Coverversion, die ich kenne", schrieb O. mir. Und Coverversionen waren eigentlich gar nicht sein Ding. Er war für Originale. Er war selbst ein Original. Und originell. Er wurde sogar dafür bezahlt, originell zu sein. Das war sein Job. Er machte nach Feierabend gern weiter.
Und fragte mich immer wieder, wann denn "mein Buch" fertig werde, weil er fand, ich müsste eines schreiben. Ich hatte nicht mal angefangen, aber wir sprachen schon darüber. Er hatte Ideen. Immer. Für sich und andere. Ob die nun umgesetzt wurden, steht auf einem anderen Blatt.
Ich: Wie isses denn bei dir?
O: Mmh. Gute Frage. Irgendwie okay, glaub' ich. Nichts Aufregendes. Ab einem gewissen Punkt findet man das vermutlich gut.
Ich: Darf ich das in meinem ersten Roman zitieren? Da muss ich jetzt nämlich drüber nachdenken, ob man "nichts Aufregendes ab einem gewissen Punkt vermutlich gut findet" ... Kennt man ja, die Situation … Seh' ich dich bei L.s Geburtstag?
O: Wird Zeit für deinen Roman. Schreib aber bitte nicht zu sehr auf Hit. Zitieren darfst du mich immer ... Und na klar komm ich zum Geburtstag. Nur weiß ich nicht, was ich anziehen soll. Schick ist gefordert … "Django zahlt nicht, Django hat Monatskarte" ist auch etwas, was man immer gut zitieren kann …
Ich: Hör' mir auf, musste neulich schwarzfahren, kein Kleingeld, ging gerade noch gut. Bin mir übrigens sicher, dass du weißt, was du anziehen wirst.
O: Smoking in der Pinte am S-Bahnhof Grunewald?
Ich: Is' klar 'ne Herausforderung ...
O: Noch ein Zitat: "Scheißparty hier, wenn ich meine Hose finde, gehe ich." Immer noch das beste.
Ich: Stimmt. Was macht die Liebe?
O: Es gibt ja nun wirklich genug andere Gründe, Frauen nicht zu mögen … Wegen UGG-Boots zum Beispiel …
Ich: Oder wegen ihrer Typen, haha! Geht's dir sonst gut? Das Leben als Barista, noch fit?
O: Ja, fit. Ach, Frauen. Man kann nicht mit ihnen leben, erschießen darf man sie aber auch nicht ... ansonsten alles unspektakulär wie immer.
Ich: Is' klar. Muss los. Happy Weekend!
O: Typen sind ja auch oft wie UGG-Boots, möchte ich noch ergänzen …
Ich: Für die wichtigen Dinge hast du ein Auge!
O: Ja, und jeder blamiert sich selbst so gut er kann - hab' ich immer so gehalten.
Ich: Bestätige ich gern! Ich muss eigentlich noch ein bisschen texten, und es fällt mir gerade nix ein ... diese Leere in meinem Schädel ...
O: Was darf's denn sein? Brauchst du eine Weisheit des Tages?
Ich: Würde theoretisch immer Ja sagen, aber es ist kein spannendes Thema, eher abseitig, dröge. Aber eine Weisheit des Tages kannste mir ja noch mitgeben.
O: Sekunde … Wie wär's mit "No one ever suspects the quiet one".
Ich: Schön, dann halt ich jetzt mal die Klappe! Eine Frage noch: Are you seriously falling in love oder stehst du nur auf ihren Anzug?
O: Beides. Ganz prima. Natürlich alles hoch kompliziert ...
Ich: Natürlich. Sonst wär's ja nüscht. Was mit Femmes Fatales is' immer complicated .... good luck!!!
O: Danke ... ich werds wohl brauchen.
Ich: Ich heirate übrigens am 2.5., aber das weißte vielleicht schon. Ich werde aussehen wie eine fucking old princess und ich werde lachen und heulen.
O: So siehst du doch jeden Tag aus! Freu mich natürlich für dich.
Ich: Yeah .... ich freu' mich auch. Auch für dich. Gib dir Mühe!
O: Das Wort old hab ich übrigens überlesen, kannst du streichen ...
Ich: Sweet. Ich fand euch Samstagnacht by the way sehr hübsch ...
O: Danke. Da strahlte doch glatt was von ihrem Glanz auf mich ab ...
Ich: Hast du nicht nötig ...
O: Haha ...mal so, mal so. Wie alle.
Ich: Muss jetzt echt los, bis bald!
O: Bis bald.
Das alles ist schon lange her. Seine letzte Nachricht war zu meinem letzten Geburtstag:
O: Verspätet und daher leicht verschämt muss ich dir aber trotzdem nur das Beste, Schönste, alles Gute, Gesundheit, die schönsten Schuhe, das meiste Lachen, die unterwürfigsten Freunde und das größte Glück zum Geburtstag wünschen. Hoffentlich hast du dich feiern und anbeten lassen, wie es sich gehört.
Ich: Alles, was du schreibst, funktioniert voll (außer das mit dem "unterwürfig", muss ja nicht sein). Danke.
Mit B. war ich zu einer der nächsten Demos verabredet, wenn wir beide können. Ich traf sie im Dezember vor dem Brandenburger Tor und wir waren voller Zuversicht, dass das neue Jahr nicht so bescheiden wird wie das alte. Wir waren verabredet, meine Liebe. Jetzt geh' ich alleine.
Quelle: ntv.de