Panorama

Möglicherweise belastetes Fleisch im Handel Behörden gehen auf die Dioxin-Spur

Massenware Tier: Wer billig produzieren kann, fährt die meisten Gewinne ein.

Massenware Tier: Wer billig produzieren kann, fährt die meisten Gewinne ein.

(Foto: dpa)

Mehr betroffene Bundesländer, mehr gesperrte Höfe und eine Anfrage der EU: Der Dioxin-Skandal um verseuchtes Tierfutter weitet sich aus. Nicht nur Eier, auch belastetes Geflügelfleisch könnte in den Handel gelangt sein. Die Behörden suchen nach weiteren betroffenen Betrieben, Politiker fordern strengere Regeln, die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Dioxinverseuchte Eier und möglicherweise belastetes Geflügelfleisch verunsichern Verbraucher, empören Landwirte und rufen Bundesregierung und EU-Kommission auf den Plan. Die Bundesregierung prüft schärfere Regeln für Hersteller, die EU verlangt Aufklärung, in NRW wurden vorsorglich 139 weitere Betriebe gesperrt. Ursache des Skandals war die Verwendung von Fett in der Futtermittelproduktion, das eigentlich nur für technische Zwecke geeignet ist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Firma Harles & Jentzsch aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen.

Welche Lebensmittel außer Eiern noch verseucht sein könnten, wird erst in einigen Tagen feststehen. Mehr als 1000 Bauernhöfe in mehreren Bundesländern sind gesperrt. Sie dürfen ihre Ware erst wieder verkaufen, wenn sie auf eigene Kosten in Labortests die Unbedenklichkeit nachgewiesen haben. Erste Testergebnisse in Niedersachsen ergaben: Bei 15 von 18 untersuchten Höfen, die Eier produzieren, lag die Dioxin-Menge in den Eiern im Rahmen des Erlaubten, teilte das Agrarministerium mit. In einem Betrieb sei bei Eiern der Grenzwert überschritten, zwei anderen Beständen seien kritische Werte ermittelt worden. Die gesamten Labor-Tests könnten Wochen dauern, sagte ein Ministeriumssprecher in Hannover.

Mindestens 120.000 dioxinbelastete Eier sind in den Handel gelangt.

Mindestens 120.000 dioxinbelastete Eier sind in den Handel gelangt.

(Foto: dpa)

Dioxin kann Krebs auslösen. Politiker versicherten aber, dass keine Gefahr für die Gesundheit der Verbraucher bestehe. Das Bundesinstitut für Risikobewertung gab ebenfalls vorläufig Entwarnung. "Von den Informationen, die wir haben, kann man davon ausgehen, dass eine akute Gefährdung des Verbrauchers beim Verzehr von Eiern nicht besteht", sagte der Leiter für Futtermittel bei der Bundesbehörde, Helmut Schafft. Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) warnte vor Panikreaktionen.

Belastetes Geflügelfleisch im Handel?

Möglicherweise ist auch dioxinbelastetes Geflügelfleisch von Sachsen aus in den Handel gelangt. Anfang Dezember wurde in einem Zuchtbetrieb im Landkreis Görlitz Geflügel geschlachtet, das vermutlich verseuchtes Futter gefressen hatte, teilte das Landratsamt mit. "Wohin das Fleisch ging, muss jetzt geprüft werden", hieß es.

In Hamburg wurde Dioxin aus Uetersen in Schweinefutter gefunden, meldete das "Hamburger Abendblatt". Der Anteil des verseuchten Fetts sei mit vier Prozent am Futtermittel nach Angaben der Hamburger Behörden jedoch nur gering gewesen. Die Thüringer Behörden fahnden nach Hunderten Ferkeln einer Schweinezucht, die dioxinbelastetes Futter erhalten haben. Vermutlich seien die Tiere europaweit verkauft worden, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums in Erfurt.

Die Verbraucherzentralen verlangten mehr Information und bessere Kontrolle. "Die Behörden müssen die Öffentlichkeit aktiv informieren, welche Hersteller, Händler und Chargennummern betroffen sind", forderte Vorstand Gerd Billen.

Unterdessen hat sich die EU-Kommission eingeschaltet: Die Behörde will von Deutschland wissen, ob belastete Produkte wie Eier oder Fleisch in andere Mitgliedstaaten exportiert wurden. Es sei aber noch zu früh, um über ein Exportverbot zu entscheiden, sagte der Sprecher von EU-Verbraucherkommissar John Dalli in Brüssel.. "Die von den deutschen Behörden ergriffenen Maßnahmen halten wir für ausreichend."

Firma spricht von "irriger Annahme"

Im niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) in Oldenburg werden Eier auf Schadstoffe untersucht.

Im niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) in Oldenburg werden Eier auf Schadstoffe untersucht.

(Foto: dpa)

Harles & Jentzsch kaufte nach eigenen Angaben jahrelang Reste aus der Biodiesel-Herstellung auf und verarbeitete sie für Viehfutter. "Wir waren leichtfertig der irrigen Annahme, dass die Mischfettsäure, die bei der Herstellung von Biodiesel aus Palm-, Soja- und Rapsöl anfällt, für die Futtermittelherstellung geeignet ist", zitierte das "Westfalen-Blatt" den Geschäftsführer Siegfried Sievert. Industriefette sind billiger als Nahrungsmittelfette.

Das Unternehmen soll im November und Dezember 2010 insgesamt 2700 Tonnen Dioxin-belastetes Futterfett an 25 Futtermittelhersteller geliefert haben, berichtet das Bielefelder "Westfalen-Blatt" unter Berufung auf das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebenssicherheit. In dem Futterfett soll sich nach Angaben des Bundesamtes technische Mischfettsäuren befunden haben, die nicht für die Verwendung von Futtermitteln, sondern für den Einsatz zur Papierherstellung bestimmt waren.

Die technische Mischfettsäure sei bei der Produktion von Biodiesel bei der Firma Petrotec am Standort Emden angefallen. Die Ware wurde der Zeitung zufolge von der niederländischen Firma Olivet in Poortugaal bei Rotterdam angekauft und sofort an Harles & Jentzsch weitergeliefert. Olivet habe die Ware korrekt als technische Mischfettsäure gekennzeichnet. Dies hätten die Kontrollen der niederländischen Behörden ergeben, sagte ein Unternehmenssprecher der Zeitung. Die Verunreinigung der Futtermittel sei eindeutig in Deutschland geschehen.

"Wir sind sehr betroffen, dass nun offensichtlich durch ein anderes Unternehmen unser Produkt missbräuchlich verwendet wurde", teilte Petrotec mit. "Wir haben in sämtlichen Verträgen, Lieferscheinen und Rechnungen stets darauf hingewiesen, dass die Mischfettsäure aus Altspeisefett nicht für die Lebens- und Futtermittelindustrie, sondern ausschließlich zur technischen Verwendung bestimmt ist", hieß es weiter.

Zulassungsbedingungen werden geprüft

"Power to the Bauer": Silo der Futtermittelfirma "Harles & Jentzsch".

"Power to the Bauer": Silo der Futtermittelfirma "Harles & Jentzsch".

(Foto: dpa)

"Es stellt sich die Frage, ob es nicht ein zu hohes Risiko darstellt, wenn Betriebe, die Bestandteile für Futtermittel liefern, gleichzeitig technische Produkte vertreiben, die unter keinen Umständen in Lebensmittel oder Futtermittel gelangen dürfen", sagte Verbraucherministerin Ilse Aigner der "Berliner Zeitung". Ihr Ministerium werde mit den Ländern prüfen, ob die Zulassungsbedingungen für Betriebe verschärft werden müssten. Der Agrarausschuss des Bundestags plant eine Sondersitzung.

Von den Ländern forderte Aigner mehr Transparenz über den Verbleib belasteter Eier. "Dazu gehört auch, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher erfahren können, ob mit Dioxin belastete Eier bei ihrem Lebensmittelhändler verkauft wurden", sagte Aigner den "Ruhr Nachrichten". Die rechtlichen Grundlagen ermöglichten den Ländern die klare und schnelle Nennung verantwortlicher Firmen sowie betroffener Chargen.

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Ulrich Kelber warf CSU-Politikerin Aigner allerdings vor, im Verbraucherschutzgesetz Vorschriften zur Information der Konsumenten verhindert zu haben. Die SPD wolle, dass die Behörden Verbraucher aktiv informieren müssten. Denkbar seien Internet-Seiten, auf der man nachsehen könnte, wo kontaminierte Eier verkauft worden seien.

"Dioxin hat in Nahrungsmitteln nichts zu suchen"

Bärbel Höhn, Vizefraktionschefin der Grünen im Bundestag, sagte bei n-tv: "Gerade ein Unternehmen, das sowohl Fette für Futter als auch Fette für Maschinen herstellt, hätte besser kontrolliert werden müssen." Für die Grünen-Politikerin ist es ein Skandal, dass Futterhersteller offensichtlich aus Profitgründen technische Fette dem Futter beimischen. Profitgier sei immer die Hauptursache der Dioxin-Skandale. Industriefette sind billiger als Futtermittelfette.

Die Petrotec AG weist ein Verschulden zurück.

Die Petrotec AG weist ein Verschulden zurück.

(Foto: dapd)

Die Verbraucherorganisation Foodwatch dringt auf eine Kontrolle aller Futtermittelzusätze. "Man muss da ansetzen, wo die Giftstoffe in das Futtermittel gelangen", sagte Sprecherin Christiane Groß in Berlin. "Jede einzelne Zutat muss routinemäßig verpflichtend auf Dioxin getestet werden." Zugleich warnte die Organisation vor einer Verharmlosung der Wirkung von Dioxin. "Die sich summierende Anreicherung im Körper ist die Gefahr", hieß es. Nach Angaben des Greenpeace-Experten Manfred Santen können Dioxine schon in kleinen Mengen krebserregend sein. "Dioxin hat in Nahrungsmitteln nichts zu suchen", sagte er. Allerdings seien die Substanzen - je nach Zusammensetzung - unterschiedlich giftig.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Der Deutsche Bauernverband hält einen Millionenschaden für die gesperrten Höfe für möglich. Generalsekretär Helmut Born forderte Schadenersatz: "Wer den Schaden verursacht, bezahlt ihn auch." Betroffen sind neben Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mindestens auch Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen. In NRW wurden am Dienstagabend 139 weitere landwirtschaftliche Betriebe vorsorglich gesperrt.

Die Staatsanwaltschaft Itzehoe ermittelt gegen Verantwortliche von Harles & Jentzsch. Oberstaatsanwalt Ralph Döpper in Itzehoe sieht einen Anfangsverdacht auf Verstoß gegen das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittel-Gesetz. Auch die Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Oldenburg ist eingeschaltet. Sie nahm ein Tanklager und eine Rührstation für Futterfett in Bösel bei Cloppenburg, die zu Harles & Jentzsch gehören, unter die Lupe. Im Falle eines Schuldspruchs drohen den Betroffenen bis zu drei Jahren Haft oder eine Geldstrafe, erläuterte Döpper. Dioxin kann unter anderem Krebs auslösen.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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