Das Recht auf Glück Nicole Jäger: "Ich bin auch privat lustig"
12.04.2025, 08:57 Uhr Artikel anhören
Hass ist so mickrig: Nicole Jäger ist mit sich im Reinen.
(Foto: Stefanie Westphal )
In ihrem vierten Buch - bereits auf der Bestseller-Liste - beschreibt Nicole Jäger, wie sie sich spontan ins Auto setzt, um einen Roadtrip ans Meer zu machen – und wie sie auf dem Weg dahin erst verzweifelt und dann doch zu sich selbst findet. Denn der Weg zum Glücklichsein ist nicht immer schön, nicht geradeaus und schon gar nicht Insta-mäßig weichgezeichnet. Im Gegenteil, dieser Weg kann rough sein und dreckig, voller Tränen und Überwindungen. Darüber, dass man Glück und Glücklichsein nicht einfach geschenkt bekommt, sondern es sich manchmal holen muss, davon erzählt Jäger in ihrem Buch. Und ntv.de.
ntv.de: Du weißt, dass du mit deiner Show und deinen Posts Leben rettest? Und mit deinen Büchern sicher auch …
Nicole Jäger: Das ist krass, ja. Am Anfang dachte ich, das ist nun wirklich übertrieben, aber es kamen immer wieder Menschen, die sagten, wenn ich dich nicht entdeckt hätte, dann gäbe es mich heute nicht mehr. Auf der einen Seite ist das ein Riesenkompliment, auf der anderen Seite aber auch ganz schön tragisch. Weil es etwas aussagt über die Gesellschaft.
Wie meinst du das?

Nicole Jäger ist "meistens glücklich". "Und an den Tagen, an denen ich es nicht bin, arbeite ich dran."
(Foto: Stefanie Westphal )
Ich liebe das, was ich tue. Ich gebe mir sehr viel Mühe, und es kommt aus tiefster Überzeugung aus meinem Herzen. Aber ich mache Comedy und Social-Media-Content. Und anscheinend sind Menschen so viel allein, und hören so viel Mist, dass eine Ansprache wie "Hey, Maus …" von mir auf Instagram den Tag einiger Leute komplett ins Positive drehen kann. Und das ist total schön, auch wenn etwas Trauriges dabei ist. Es zeigt auf jeden Fall, dass wir das viel mehr brauchen.
Also - mehr positive Ansprachen, etwas zum Lachen und noch mehr "Hey, Maus" …
(lacht) Ja, sieht so aus. Manchmal werde ich gefragt, warum ich das mache, und da kann ich nur sagen: Ich verteile einfach die Umarmungen, die ich manchmal selbst brauchen könnte. Dass es bei manchen aber so weit geht, dass sie sagen, das hat mir das Leben gerettet, zu wissen, dass da jemand ist, der mich nicht auslacht, der für mich einsteht, hinter der ich mich verstecken kann wie hinter einer großen Schwester – das ist mehr, als ich jemals erwartet hätte.
Ist toll! Hat auch weniger Barriere, als zum Therapeuten zu gehen. Du kannst, ohne Psychologin zu sein, die Leute glücklich machen und dich selbst auch noch ein Stück weit …
Ja, das stimmt. Worte sind sehr machtvoll. Ich habe gerade einen TikTok-Kanal gestartet, und das funktioniert hervorragend. Abgesehen davon, dass es Menschen sehr berührt, wie wahnsinnig wir doch vereint sind in den Punkten, in denen es uns nicht gutgeht. Wenn 30-Sekunden-Videos so viele Menschen abholen, dann sind wir alle in dem gleichen Gefühl vereint: Wir sind mit dem, was uns beschäftigt, nicht allein.

Ihr aktuelles Programm heißt "Walküre". Es endet am 14.12. auf der Bühne der "Berliner Wühlmäuse".
(Foto: Stefanie Westphal )
Weil man sich selbst oft fühlt wie der letzte Vollidiot …
Ja, das geht doch jedem mal so: "Alle schaffen's, nur ich nicht." Das ist ja Quatsch. Alle haben ihre Probleme, auch Influencer. Und gelegentlich mal "normalzufluencen", das hilft ungemein.
Wenn ich zu lange auf Instagram unterwegs bin, dann stellt sich bei mir der KaDeWe-Effekt ein: Ich war vor Betreten des Kaufhauses ganz glücklich mit dem, was ich habe, danach denke ich, ich habe nichts, ich kann nichts, ich mache nichts, ich sehe kacke aus.
Und was machst du dann?
In meinen Foto-Verlauf gucken. Dann sehe ich Party, Freunde, Kinder, Mann, Konzert, Urlaub, blauen Himmel, lachende Gesichter, tolle Orte, Drinks, mich. Nicht kacke. Halt bloß nicht so öffentlich. Social-Media ist auf jeden Fall Fluch und Segen gleichzeitig.
Ja, da macht was mit einem. Positiv ist, dass es Sichtbarkeit schaffen kann, dass du dich in kürzester Zeit mit Menschen austauschen kannst, auf der ganzen Welt, die sind wie du, die denken wie du – und schon bist du nicht mehr allein. Aber: Es gaukelt dir eben auch eine Welt vor, die es nicht gibt. Etwa die Familie in Weiß mit den süßen, sauberen Kindern auf weißen Hochflorteppichen vor beigefarbigen Wänden und cremefarbenem Sofa … ich habe zwar keine Kinder, aber ich bin Tante, und wenn ich eines noch nicht gesehen habe, dann das: weiße Teppiche in Haushalten mit Kindern in gebügelten Hemden.
Ich musste sehr lachen über das Video zum Thema: "Wenn man schon so dick ist, dann doch bitte nicht auch noch essen vor der Kamera", und du ziehst dir ein Brötchen rein, mit soo dick Butter drauf. Lustig, aber auch mutig, denn der nächste Shitstorm ist ja bereits um die Ecke, und das geht an niemandem vorbei. Oder?
Humor ist heilsam. Ich bin Comedienne, was soll ich auch sagen (lacht). Aber ich denke, ich habe einfach funny bones, ich bin auch privat lustig. Humor ist Heilung. Und Vergessen. Man kann nicht zeitgleich lachen und völlig am Ende sein. Humor macht also die Welt nicht per se zu einem besseren Ort, aber für denjenigen, der lacht, schon, in dem Moment zumindest. Das ist die magic Superpower von Humor! Humor ist auch die beste Art, schwierige Zeiten oder Themen zu überstehen oder zu kommunizieren, um sich Herausforderungen zu stellen und, gepaart mit Emotionen, die ja zum Humor dazugehören, zu reagieren. Und das mit so viel Leichtigkeit wie möglich. Es ist einfach, lustig zu sein, wenn alles gut ist. "Alles ist gut" ist jedoch nicht witzig. Humor verbirgt sich immer dort, wo es wehtut, und da muss der Humor auch hin, damit er genau dort etwas bewirken kann.
Du trittst deswegen auch auf Palliativstationen auf …
Ja, weil ich so sehr an die positive Energie von Humor glaube. Und daran, dass es keinen noch so dunklen Ort geben kann, wo er nicht stattfinden könnte. Die Welt steht momentan in Flammen, die Unsicherheit ist groß, da brauchen Menschen dringend Ablenkung.
Dein Bühnenprogramm geht ums Erwachsensein …
Ja, und dass man da vermeintlich alles hinkriegt. Was nicht stimmt (lacht). Bloß weil man mit 18 den Schlüssel in die Hand gedrückt und gesagt bekommt, jetzt regle dein Zeug mal schön selbst, heißt das nicht, dass man das in den nächsten 60 Jahren wirklich schafft.
Man muss Erwachsenensachen machen – das heißt tatsächlich nicht, dass man es kann. Vor seinen Kindern muss man manchmal erwachsen sein. Man macht eigentlich alles zum ersten Mal. Gut, dass du das thematisierst, und das auch noch mit viel Emotion. Denn niemand ist ja immer lustig.
Humor nährt sich ja aus etwas. Tragik ist Komik in Spiegelschrift. Mein Humor nährt sich fast hundertprozentig aus Schmerz. Ich kann nur authentisch, und ich kann nur lustig, wenn ich es fühle. Schmerz gehört in den Humor, Humor gehört in den Schmerz, das ist wichtig. Denn ich bin davon überzeugt, dass Menschen sich an ihren gebrochenen Stellen miteinander verbinden. Da, wo es roh wird, da sind wir menschlich. Denn alle struggeln.
Es gibt Kollegen von dir, die sind durchgängig witzig …
Ja, das ist auch cool, aber das passt nicht zu mir. Mir wurde tatsächlich abgeraten, zu viel Emotion mit hineinzubringen, aber ich kann nicht anders.
Funktionierst du eigentlich mit Druck besser?
Ja, leider. Habe ich jetzt wieder bei meinem Buch gemerkt.
Hat aber funktioniert, du bist gleich nach oben geschossen …
Zum Glück!! Meine Muse ist die Deadline. Je höher der Druck, desto konzentrierter arbeite ich. Auch wenn meine Persönlichkeitsstruktur ganz anders ist: Ich möchte Bullerbü, ich möchte Streichelzoo, aber ich brauche Adrenalin, Aufregung, auch auf der Bühne. Ich habe vor jedem Auftritt Lampenfieber.
Du hast dein Buch "Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein" geschrieben, weil …
Weil wir alle dazu neigen, unser Leben aufzuschieben. Wir warten ständig auf diese "Wenn, dann …"-Momente: "Wenn ich erstmal schlanker bin, dann …", "Wenn ich reicher bin, dann …", "Wenn die Kinder erstmal groß sind, dann …" - dann erst leben wir endlich, oder was? Was ist, wenn der Moment niemals kommt? Und selbst, wenn er kommt – was ist denn mit dem Leben bis dahin? Denn selbst wenn du nun endlich schlanker, schöner, reicher bist, werden sich 20 neue Themen eröffnen, die du erreichen willst. Es lohnt sich, daran zu arbeiten. Und natürlich arbeite ich an mir, natürlich ist Abnehmen ein Thema für mich, und natürlich meine ich nicht, dass das Recht auf Glücklichsein bedeutet, dass mir ständig gebratene Hühnchen in den Mund fliegen. Ich meine, dass du alles tun darfst, an jedem Punkt in deinem Leben, auch wenn du noch nicht abgenommen hast, nicht reich und nicht perfekt bist. Du hast ein Recht darauf, glücklich zu sein im Hier und Jetzt.
Das Leben ist ja verdammt kurz …
Ja, und es ist der Wahnsinn, wie viel Zeit wir verschwenden, weil wir meinen, wir müssen alles geregelt bekommen. Vor allem Frauen sprechen sich sehr gern das Recht ab, überhaupt so etwas wie Glück nur für sich zu empfinden. Also Glück, das nicht mit der Familie verbunden ist, Glück, das einfach nur für sie oder aus ihnen herauskommt. Spaß zu haben, auch wenn das Gegenüber gerade keinen hat, sich auszuleben, wie man will. Ich habe einfach irgendwann festgestellt, dass es totaler Bullshit ist, auf das Glück zu warten. Ich musste 40 werden, um das zu verstehen.
Interessiert dich die Meinung anderer?
Bis zu einem gewissen Grad, aber je mehr Menschen meinen, eine Meinung über mich haben zu dürfen, desto weniger interessiert mich das. Denn es ändert nichts an den Tatsachen. Wichtig ist: Wer bin ich, was bleibt, was sehe ich, wenn ich in den Spiegel gucke.
Ist auch eine Erziehungssache: Wenn ich was geleistet habe, dann kann ich mir etwas gönnen, wenn ich fertig bin, dann darf ich feiern. Vorher nicht. Das Blöde: Man wird nie fertig.
(lacht) Und wenn ich nicht die Spinnweben an der Decke weggeputzt habe, dann kann ich auch nicht auf dem Sofa sitzen, das kenne ich. Irgendwas is' immer.
Bist du eigentlich genervt davon, wenn es immer und immer wieder um dein Gewicht geht? Darum, wieviel du abgenommen hast? Und ob das genug ist? Anstatt den Fokus momentan nur auf dein Buch zu legen, ist momentan viel über deine Abnehmstory zu lesen …
Ach ja, das ist wirklich öde. Ohne ein einziges Wort zu meinem Buch (lacht)
Ist es etwas anderes, ein dicker Mann oder eine dicke Frau zu sein?
Allerdings (lacht). Das fängt damit an, dass Frauen das Gefühl haben, sie müssten anderen gefallen. Außerdem werden Männer nicht dazu erzogen, sich selbst zu hassen. Das beginnt bereits ganz früh, was ihre eigene Sicht auf den Körper und die Sicht nach außen angeht. Frauen werden über ihren Körper bewertet, und Männer über ihre Leistung. Das macht Druck. Und – in Deutschland glauben wir an das singuläre Talent einer Person. Wenn du dick bist, kannst du zwei Dinge: Essen oder abnehmen. Und ja, dass ich übergewichtig war, ist ein Teil meiner Geschichte, aber es ist nicht meine ganze Geschichte, und schon gar nicht meine einzige. Aber für viele ist es das prägnanteste Thema. Ich rede selbst darüber offen, stimmt – das heißt aber nicht, dass alle anderen es auch dürfen.
Ich frage für eine Freundin: Hast du Abnehmtipps?
(lacht) Nein! Und auch noch nie welche gegeben!! Ich habe ein ganzes Buch darüber geschrieben, dass es DIESEN Tipp nicht gibt! Es wäre der Heilige Gral.
Hashtag Bodyshaming – ich dachte, es ist besser geworden. Auf Modeschauen sehen wir alle Formen, Figuren. Farben. Dachte ich ...
Ja, das war mal so, aber dieser schöne Trend ist wieder auf dem absteigenden Ast. Es war ein Trend, in der Modeindustrie. Aber wir wissen ja, wie es mit Trends ist (lacht).
... lebt in Hamburg. Sie ist Autorin und Stand-up-Comedian. Gleich mit ihrem ersten Buch "Die Fettlöserin" landete sie einen Bestseller. Aus der dazugehörigen Lesereise entwickelte sich ihr erstes Stand-up-Comedy-Programm "Ich darf das, ich bin selber dick". Ihr zweites Buch "Nicht direkt perfekt" erschien 2017, und mit dem gleichnamigen Comedy-Programm tourte sie durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Anfang 2020 hatte ihr drittes Bühnenprogramm "Prinzessin Arschloch" Premiere. In ihrem dritten Buch "Unkaputtbar" beschäftigte sie sich mit dem Thema häuslicher Gewalt. Aktuell tourt sie mit ihrem Programm "Walküre".
Sie kommen und gehen.
Ja, und wenn du es dir genau anschaust: Viele Marken haben normale Frauen als übergewichtig dargestellt, und das ist nun wirklich nicht das, was Bodypositivity bedeutet. Das Positive gegenüber dem eigenen Körper wurde und wird Menschen mit Übergewicht weiterhin abgesprochen, das ist einfach nicht gern gesehen. Jetzt wächst zum Glück eine Generation heran, auch im Social Media Bereich, die offener ist, weitsichtiger und auch großzügiger. Aber: Die Bodypositivity-Bewegung, das Diverse, das verebbt gerade wieder. Und der Hate nimmt zu, in meiner Generation und in der danach. Die Gesellschaft wird gerade rauer. Und damit wird die Feindseligkeit gegen alles, was anders ist, größer.
Hass kommt von unten, sagst du …
Ja, und von schwachen Menschen, und sehr traurigen. Es ist leider völlig legal, über übergewichtige Menschen zu lästern und zu hetzen, es gibt keine Gesetze gegen Bodyshaming. Man darf übergewichtige Menschen bis aufs Blut beleidigen – man kann nichts dagegen machen. Es gibt keine Schutzgesetze gegen Diskriminierung. Schon gar nicht im Netz. Ich meine – wer kommt denn auf die Idee, anonym andere zu beleidigen? Ich nicht! Auch wenn mir garantiert nicht alles passt. Aber Hass macht etwas mit den Menschen – mit denen, die ihn abbekommen, und mit denen, die ihn senden. Gut tut das keinem. Und: Ich wurde noch nie von einem glücklichen Menschen gehated – und schon gar nicht von jemandem, der mehr drauf hat als ich. Das muss man sich mal klarmachen. Auch als Hater.
Mit Nicole Jäger sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de