Panorama

Druck durch traditionelle Muster "Es gibt keine Normalität des fürsorglichen Vaters"

Tobias Moorstedt ist für seine Tochter ein Superheld, ein kuschliger.

Tobias Moorstedt ist für seine Tochter ein Superheld, ein kuschliger.

(Foto: imago images/YAY Images)

Komplett abwesende Väter, die sich ausschließlich im Beruf auflösen, sind heute eher die Seltenheit. Väter, die bei ihren Kindern wirklich die Hälfte der Sorgearbeit leisten, aber auch. Autor Tobias Moorstedt nennt diese Väter, zu denen er sich selbst auch zählt: die schlechten guten Väter. Nicht mehr richtig schlecht, aber auch nicht wirklich super. Das liegt noch immer an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sagt er. Aber auch an einer Falle, in die man leicht tappt. Ein Gespräch am Vatertag über Männerbilder, das schwierige Schneiden von Fingernägeln und den Druck, der auf Vätern lastet.

ntv.de: Wie finden Sie das Konzept Vatertag?

Tobias Moorstedt: Ich habe das Gefühl, dass schon mein ganzes Leben über die Vater- und Muttertage geschimpft wird. Weil es so künstliche Anlässe sind. Andererseits habe ich heute ein Geschenk von meiner fünfjährigen Tochter bekommen, das sie im Kindergarten gebastelt hat. Und ich habe mich gefreut, weil es immer schön ist, wenn man Zuwendung von seinen Kindern bekommt. Aber ich finde es auch bedenklich.

Warum?

Weil die Geschenke, die in den Kindergärten produziert werden, schon wieder Gendernormen reproduzieren und damit auch verfestigen. Die Mütter haben ein Herz bekommen, in dem stand: Mama ist die Beste. Ich habe jetzt so eine Art Warndreieck bekommen. Darauf stand: Papa ist mein Superheld. Lustigerweise hat meine Tochter dazu geschrieben: "Weil er so kuschlig ist." Ich bin also kein klassischer Superheld, der alles schafft, sondern meine Superkraft ist meine Softness. Da musste ich lachen.

Kollidiert das Bild vom fürsorglichen Vater immer noch mit Männlichkeitsbildern?

Moorstedt ist Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie im Taunus.

Moorstedt ist Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie im Taunus.

(Foto: Frank Stolle)

Sicher sagen Männer nicht bewusst, dass sie das ablehnen, weil es ihnen zu unmännlich ist. Aber vermutlich denken wir häufig, dass wir weiter sind, als wir es tatsächlich sind. Das zeigt sich in der Ambivalenz und der Zwiespältigkeit. In Umfragen sagen nur 30 Prozent der Väter von jungen Kindern heute, dass sie glauben, dass es die Aufgabe des Vaters ist, die Familie allein zu ernähren. Aber mehr als 66 Prozent sagen, dass sie glauben, dass die Gesellschaft das von ihnen erwartet. Sie sehen sich selbst nicht in dieser Verantwortung, glauben aber, dass die anderen das tun. Das führt zu einem gefühlten gesellschaftlichen Druck. Wenn die äußeren Erwartungen im Widerspruch zu den eigenen Bedürfnissen stehen, das ist gar keine so einfache Situation.

Inwieweit haben wir einen gesellschaftlichen Austausch über Vaterschaft?

Das ist nur sehr punktuell. Der Vater, der sich um seine Kinder kümmert, ist immer eine Art Karikatur, oder es liegen besondere Umstände vor, die zu aktiver und fürsorglicher Vaterschaft führen. Wir kennen alle diese Filme, die irgendwie lustig gemeint sind, in denen sich ein Mann überraschend um sein Baby kümmern muss, weil die Frau gestorben ist. Und dann stellt er sich dabei wahnsinnig dumm an. Es gibt keine Normalität des fürsorglichen Vaters. Man redet viel häufiger über die Mütter, was sie machen oder nicht machen, als über die Väter. Die werden gefragt, wie sie Familie und Beruf vereinbaren. Bei Männern kommt das Thema gar nicht auf. Und es wird immer noch gesellschaftlich sanktioniert, wenn man vom traditionellen Muster abweicht. Es ist wirklich spannend, wie viel Druck diesen ganzen Diskurs prägt, anstatt zu sagen, ist ja spannend, alle geben ihr Bestes und versuchen, nach ihren Bedürfnissen zu leben.

Wann haben Sie angefangen, Ihre Vaterschaft aktiv zu reflektieren?

Ganz schön spät, weil ich ja dachte, ich habe das Problem nicht. Ich habe mich als modernen Mann gesehen, der ganz selbstverständlich mit seiner Partnerin in allen Lebensbereichen auf Augenhöhe lebt, auch in der Elternschaft. Ich hatte kein Problembewusstsein und auch keine Angst, dass wir in traditionelle Rollen hineinrutschen könnten. Etwa ein Jahr nach der Geburt unserer jüngeren Tochter musste ich mir eingestehen, dass wir von moderner oder gleichberechtigter Aufgabenteilung weit entfernt sind. Erst dachte ich, es ist nur eine Phase und wird sich wieder geben. Aber so funktioniert das nicht. Ich kam um 17 Uhr aus dem Büro und meine Kinder rannten so auf mich zu wie ich früher auf meinen Vater. Da hatte ich das Gefühl, ich reproduziere eine Rolle, die ich überwunden glaubte. Mir ist dann aufgefallen, dass ich ganze Ressorts der Kinderbetreuung komplett an meine Frau abgegeben hatte: Fingernägel oder Haare schneiden, Kleidung kaufen, Freundschaften der Kinder. Das war der Ausgangspunkt, weil ich mich gefragt habe, wie das passiert ist.

Welche Antwort haben Sie gefunden?

Es passiert, wenn man nicht aktiv dagegen arbeitet. Das war auch der Satz, den ich von den Männern, mit denen ich für mein Buch gesprochen habe, am häufigsten gehört habe. "Wir sind da so reingerutscht." Und dann merkt man, dass es ein multidimensionales Problem ist. Da ist das Patriarchat als jahrtausendealte Institution, die man jetzt nicht individuell umbauen kann. Da sind das Wirtschaftssystem und die Arbeitskultur und nicht zuletzt die politischen Rahmenbedingungen.

Sie haben dann ein Buch dazu geschrieben, wo haben Sie angesetzt?

Ich habe mit Wissenschaftlerinnen zu dem Thema gesprochen und gefragt, was sie persönlich raten würden, und hochkomplizierte Dinge erwartet. Aber sie haben alle geantwortet, die Paare reden zu wenig miteinander. Es gibt zu viele Vorannahmen und zu wenig Austausch. Das habe ich bei uns auch wiedergefunden. Wir haben nicht gesagt: Wie stelle ich mir das vor? Wie stellst du dir das vor? Wie wollen wir es versuchen? Wir dachten, wir lieben uns und sind einzigartig, uns passiert das nicht. Das ist einfach falsch. Man braucht eine Zieldefinition, das ist der wichtigste Hebel. Wo wollen wir hin? Dafür muss man dann Lösungen finden.

Das erinnert mich an das Buch von Patricia Cammarata "Raus aus der Mental Load-Falle" ...

Ja, das habe ich auch gelesen und sie hat einen Mental Load-Test ins Netz gestellt, der wirklich aufschlussreich ist. Dort kann man visualisieren, wer welche Aufgaben macht, und man bekommt einen Score. Manche finden das unsexy oder nerdig, den Familienalltag in Excel-Tabellen abzubilden. Aber dieses Sichtbarmachen und Darüberreden ist wichtig. Das kann jeder mit den Tools seiner Wahl machen. Man kann auch spazieren gehen und darüber reden. Bei mir gab es diesen Shift und ich dachte, das ist ja megasexy. Wir machen hier einen Plan für unser Leben, wie wir megaglücklich werden. Das ist etwas Wunderbares.

Was genau haben Sie verändert?

Ich würde jetzt gern sagen, ich habe mir alle diese Bereiche erobert. Aber neben dem verstärkten Austausch war der wichtigste Faktor, dass meine Frau wieder angefangen hat zu arbeiten. Sie ist Ärztin und hat eine 80-Prozent-Stelle, das sind in der Realität 120 Prozent. Und da musste ich mich automatisch umstellen. Ich habe auch vorher schon die Kinder zur Kita gebracht und war beim Babyschwimmen. Jetzt war ich während ihrer Arbeitszeiten 100 Prozent zuständig. Und habe am Ende sogar Fingernägel geschnitten. War gar nicht so schwer.

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Ihr Buch heißt ja "Wir schlechten guten Väter", und enthalten sind unter anderem Fakten darüber, wie viel Väter anwesend sein wollen und wie viel sie es dann tatsächlich sind. Da gibt es eine erhebliche Diskrepanz. Belügen sich Väter selbst?

Der gesellschaftliche Diskurs ist in vielem weiter als die gesellschaftliche Realität. Es belügen sich also nicht nur die Väter, sondern auch die Elternpaare, die ganze Gesellschaft. Tradierte Rollenmuster sind auch in scheinbar aufgeklärten Milieus weit verbreitet, wenn man das aber anspricht, heißt es nur: "Ja, meine Frau interessiert sich halt mehr für Kindermode." Was natürlich nicht stimmt. Diese Argumentation verdeckt nur, wie wenig unsere Lebensweise zu den Werten passt, die wir angeblich vertreten. Weil wir es sonst nicht aushalten würden.

Was soll das Buch auslösen?

Ich würde mir wünschen, dass nicht nur Frauen das Buch kaufen, sondern auch ein paar Männer. Es gibt eine aktive Community, die sich über Vaterschaft austauscht - Väterblogger, Berater und Coaches. Noch ist das eine Nische. In einer repräsentativen Studie, die ich für das Buch habe durchführen lassen, kam heraus: Nur 30 Prozent der Väter sprechen miteinander über ihre Vaterschaft. Das ist doch schrecklich. Das zu ändern, ist im ureigensten Interesse von Vätern. Sonst sind sie ganz allein mit dem gesellschaftlichen Druck.

Mit Tobias Moorstedt sprach Solveig Bach

Quelle: ntv.de

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