Nach Zugunglück in SüditalienFamilien wollen Schuldige kennen
Am Samstag werden die 23 Opfer des Zugunglücks von Apulien beigesetzt. Immer neue haarsträubende Details zu Fehlern und Versäumnissen kommen bei den Ermittlungen ans Licht. Die Wut der Angehörigen wächst.
Sabino Lo Conte ist verzweifelt und wütend. Bei dem Zugunglück in Süditalien hat der junge Mann seine Schwester verloren, nun muss er sie im Krankenhaus von Bari identifizieren. Mit den Angehörigen der anderen 22 Opfer verbinden ihn Trauer und Wut. "Ihr könnt uns nicht ausschließen, ihr könnte uns nicht im Dunkeln lassen", fordert Lo Conte in der Zeitung "La Stampa". Die Familien wollen die Ursache des Unglücks und den Schuldigen kennen. Doch bis all ihre Fragen beantwortet sind, könnte es noch lange dauern.
Die Ermittlungen laufen mehrere Tage nach dem Zusammenstoß zweier Züge auf der eingleisigen Strecke nördlich von Bari auf Hochtouren, doch ein wirklich klares Bild ergibt sich noch nicht. Stattdessen kommen immer neue haarsträubende Details ans Licht. Der Ausbau der Strecke wurde jahrelang verschleppt, das Kontrollsystem war veraltet und auch Korruption und Bürokratie trugen zu der Katastrophe bei.
Die "generellen Probleme Italiens"
Die Staatsanwaltschaft hat die zwei Bahnhofsvorsteher ins Visier genommen, die per Telefon prüfen sollten, ob die Strecke frei ist und dann die Züge losschickten. "Es stimmt, dieser Zug sollte nicht losfahren", gab Vito Piccarreta, der Vorsteher des Bahnhofs in Andria, zu. Er verteidigte sich aber auch: "Wir sind verzweifelt, ein einziger menschlicher Fehler kann nicht all das verursacht haben."
Auch der ermittelte Staatsanwalt Francesco Giannella räumte ein: "Von menschlichem Versagen zu sprechen, ist korrekt, aber reicht absolut nicht aus." Vielmehr zeigt das Unglück auch die generellen Probleme Italiens, wo oft Gelder versickern und Korruption verwurzelt ist. "Der Unfall ist auch eine Konsequenz des typischen Problems unseres Landes, adäquate Infrastruktur bereitzustellen. Und einer der Gründe dafür ist die Korruption", sagte Raffale Cantone, Präsident der Antikorruptionsbehörde in Rom. Staatsanwalt Giannella urteilte: "Es ist klar, dass aus dem Übermaß an Bürokratie Ineffizienz entsteht, und dass sich dort auch die Korruption einnistet."
Der Ausbau der eingleisigen Strecke im süditalienischen Apulien war seit Jahren geplant, wurde jedoch immer wieder verschleppt. Und das, obwohl EU-Gelder zur Verfügung standen. "Wenn die Region vier Jahre mit Brüssel diskutieren muss, ob ein Projekt gut läuft oder nicht, ist es offensichtlich, dass etwas nicht funktioniert", sagte Verkehrsminister Graziano Delrio, der auch zugab: "Die Freigabe per Telefon ist eins der gefährlichsten Systeme im Bahnverkehr."
"Die Hinterbliebenen spüren sehr viel Wut"
Die Angehörigen der Opfer werfen den Politikern nun vor, lediglich Papiere hin- und herzuschieben, anstatt die Probleme anzugehen. "Die suchen einen Sündenbock ohne zu erwähnen, dass die dort oben jede Menge Geld in die Hochgeschwindigkeitszüge zu stecken, ohne für die Sicherheit der existierenden Strecken zu sorgen", kritisierte Lo Conte.
Täglich etwa fünf Millionen Menschen nutzen das teils völlig veraltete Regionalbahnnetz in Italien. "2700 Kilometer, wo das Leben von einem einfachen Telefonanruf abhängt", meinte "La Repubblica".
Am Samstag sollen die Opfer des Unglücks beigesetzt werden, doch die Fragen ihrer Angehörigen wird bis dahin wohl niemand beantworten können. Juristische Aufarbeitungen großer Katastrophen ziehen sich in Italien oft über viele Jahre hin. Die Ärztin Abba Palumbo, die in Bari Angehörige betreut, sagte der Zeitung "La Stampa": "Die Hinterbliebenen spüren sehr viel Wut. Wut gegen das Schicksal, aber auch gegen die Behörden, Wut wegen ihrer Machtlosigkeit."
