Panorama

Gefängnisprojekt mit Herz Gefangene pflegen Hühner und finden neue Hoffnung

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Häftling Manuel hat bei den Hühnern eine sinnvolle Aufgabe gefunden.

Häftling Manuel hat bei den Hühnern eine sinnvolle Aufgabe gefunden.

(Foto: dpa)

In Castrop-Rauxel pflegen Inhaftierte Hühner, die dem Schlachter entkommen sind. Die Arbeit bringt unerwartete emotionale Bindungen und neue Perspektiven. Bald kommen noch mehr Tiere hinzu.

Hühner sausen übers JVA-Gelände. Freilaufend, aber eingezäunt. Betreut, gehegt und gepflegt von mehreren inhaftierten Männern. Die Mission der Gefangenen: Leben retten, junges Federvieh aufpäppeln, das schon so gut wie auf dem Weg zum Schlachter war. Aktuell kümmern sich im offenen Vollzug in Castrop-Rauxel vor allem Ryan, Manuel und Marco um die vielen Hühner und um zwei Hähne. Wenn mal ein Tier ausbricht, fangen die Häftlinge es ein.

"Auch der gestandene, muskulöse Straftäter drückt schon mal ein Tränchen ab, wenn die kranken, leidenden Hühner bei uns ankommen", beobachtet die JVA-Bedienstete und Projektleiterin Anika Schäfer. "Das macht auch emotional was mit ihnen." Schon viele Insassen haben die Tiere seit Start des Projekts vor zehn Jahren "mit Leidenschaft" gefüttert, ihnen ein sauberes Zuhause organisiert, das Areal in Schuss gehalten. Der Job ist beliebt, die Warteliste lang. "Das ist ein selbstständiger Bereich, es wird nicht andauernd kontrolliert."

Die Knasthühner haben es gut.

Die Knasthühner haben es gut.

(Foto: dpa)

In einigen Bundesländern wie in Berlin oder Baden-Württemberg arbeitet das ein oder andere Gefängnis mit Tieren. Beim Federvieh ist Nordrhein-Westfalen ganz vorne. An fünf Standorten in NRW laufen Knasthuhn-Projekte, die meisten Tiere - mehr als 90 - gibt es in der JVA Castrop-Rauxel.

Gut für Ruhe und einen freien Kopf

Ryan hatte draußen bisher null Bezug zu Hühnern. "Aber ich liebe Tiere und unter den gegebenen Umständen ist es der perfekte Job für mich", erzählt der seit gut zwei Monaten Inhaftierte. Um 06.40 Uhr geht's los: Futter verteilen, Wasser austauschen. "Alle ein, zwei Wochen säubern wir die Ställe, nicht allzu oft, das haben die Hühner nicht gern." Auch Streicheleinheiten fallen ab.

Ryan sitzt eine hohe Geldstrafe wegen Falschaussage vor Gericht ab, wie er sagt. Bis es im Mai wieder rausgeht, will der 23-Jährige bei den Hühnern bleiben. "Es ist gut, um auch einfach mal etwas Ruhe zu haben, den Kopf freizubekommen." Hahn Rio ist ihm ans Herz gewachsen, aber zu allen hat er inzwischen einen Draht. "Die weißen Hühner nennen wir Bella, die sind etwas frecher." Die braunen und schwarzen Exemplare heißen allesamt Frieda.

Glückliche Hühner als Bestätigung

Mithäftling Manuel - wegen Betrugs verurteilt - hat gerade ein kleines braunes Ei "geerntet". Der 35-Jährige hat noch bis Dezember. "Es ist immer schön, mit den Tieren zu arbeiten." Oft werden es zehn bis zwölf Stunden, auch am Wochenende kommt er, manchmal auch nur, um zwischen den gackernden Hühnern zu sitzen, runterzukommen. "Man fragt sich schon am Anfang: Macht man das wohl alles richtig hier, man hat ja eine Verantwortung. Aber die Hühner fühlen sich wohl, das merkt man und das ist eine schöne Bestätigung."

Diesen Job würden gern noch mehr Häftlinge machen.

Diesen Job würden gern noch mehr Häftlinge machen.

(Foto: dpa)

Auch handwerklicher und körperlicher Einsatz gehören dazu: Pflastern, Stall ausbessern, einen neuen Zaun bauen - für Gartenbauer und Mechaniker Manuel alles willkommen, so ist er gut beschäftigt. Ausgang gibt es bisher nur stundenweise. "Wenn ich abends aufs Zimmer gehe, habe ich mein Tagesziel erreicht."

Eier für die Angestellten

Auf dem Gefängnisareal können sich die rund 350 Häftlinge frei bewegen, sie arbeiten in Küche, Schlosserei oder Schreinerei. Einige dürfen auch stundenweise raus - etwa für Jobs außerhalb der JVA in der Ruhrgebietsstadt. Das aber erst nach genauer Sicherheitsüberprüfung, der Aufenthalt draußen kann nach und nach ausgeweitet werden. Der offene Vollzug soll auf den Alltag nach der Entlassung vorbereiten, wie JVA-Sprecher Marc Marin schildert.

Der Hühnerstall funktioniere gewinnbringend für alle Beteiligten, berichtet er. Win-win. Die Tätigkeit sei sinnstiftend, erfordere Planung und Organisation. Es sei belegt, dass der Umgang mit Tieren auch Aggressionen abbauen könne. Immer vormittags ist Eier-Einsammeln im JVA-Hühnerstall angesagt. Die gut 200 Eier pro Woche werden an die JVA-Bediensteten verkauft. Die Nachfrage ist groß - nicht nur zu Ostern, sagt Marin. "Die Eier sind auch richtig lecker."

Der Hühner-Job passt nicht zu allen Gefangenen. "Man muss ein gutes Händchen für Tiere haben, zuverlässig sein und anpacken können", erläutert Anika Schäfer. Gerne nehme man Häftlinge mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen ins Team, für die eine Arbeit etwa in den Werkstätten der JVA nicht zu schaffen sei. Im Sommer kommen noch einmal bis zu 50 Hühner mehr. Ein vierter JVA-Insasse wird gerade eingearbeitet.

Worum geht es bei Hühnern hinter Gefängnismauern?

Die Arbeit mit den Hühnern bringt bei Inhaftierten in Castrop-Rauxel manchmal "sehr feinfühlige und empathische" Seiten zum Vorschein, wie das NRW-Justizministerium betont. Dabei würden emotionale Bindungen aufgebaut. "Auch sehr verschlossene Gefangene blühen oftmals bei der Arbeit mit Tieren auf." Die Tätigkeit strukturiere den Haftalltag, sei mit Aufgaben wie Anbau von Grünfutter und mit Handwerk verbunden. Ein Plus sehe man zudem bei sozialer Kompetenz, Stressresistenz oder auch Selbstwertgefühl.

Und so gibt es in NRW auch in Attendorn einige Hühner im offenen Männer-Vollzug. In Gelsenkirchen kümmern sich inhaftierte Frauen um rund 20 Hennen und einen Hahn. In der JVA Herford habe man bei männlichen Straftätern im geschlossenen Jugendvollzug, in Hövelhof auch im offenen Jugendvollzug gute Erfahrungen gemacht, schildert ein Ministeriumssprecher.

Häftling Marco rückt gerade dem Lehmboden zu Leibe - neben ihm verfolgen neugierige Hühner am Boden oder vom Schubkarrenrand aus sein Treiben. "Ich bin zu 80 Prozent schwerbehindert und habe gedacht, mir mein Leben mit mehreren Betrugssachen leichter finanzieren zu können." Er bereue das, beteuert er. "Die Arbeit mit den Hühnern ist kreativ und macht mir viel Spaß. Wenn ich wieder draußen bin, sehe ich einige Möglichkeiten, vielleicht im Tierheim oder im Zoohandel."

Quelle: ntv.de, Yuriko Wahl-Immel, dpa

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