Panorama

Fischbach im Interview "Große Sehnsucht nach Impf-Leitlinie"

Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach: Es ist keineswegs so, dass Kinder nicht erkranken.

Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach: Es ist keineswegs so, dass Kinder nicht erkranken.

(Foto: imago/Jürgen Heinrich)

Wer nicht geimpft ist, wird früher oder später eine Corona-Infektion durchmachen. Gerade bei Kindern und Jugendlichen stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft bereit ist, die Konsequenzen zu tragen. Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Fischbach, fordert nun eine mutige Entscheidung.

ntv: Herr Fischbach, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will heute zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern ein Beschlussangebot umsetzen, nach dem Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren jetzt auch ein Impfangebot erhalten sollen, obwohl die STIKO dies noch nicht ausdrücklich empfiehlt. Was ist Ihre Position dazu?

Thomas Fischbach: Grundsätzlich und das muss man mal klarstellen, es ist schon heute so, dass Kinder in dieser Altersgruppe ein Impfangebot bekommen können. Es ist in einer Öffnungsklausel in der Impfempfehlung der STIKO enthalten. Was die STIKO nicht getan hat, sie hat keine generelle Impfempfehlung herausgegeben. Das ist dann natürlich schwierig, weil wir in den Praxen in die Lage kommen, dass die Eltern etwas verwirrt sind, weil sie nicht mehr wissen, was nun gilt.

Sie haben es angesprochen: Wem soll man glauben? Könnte man das nicht eindeutiger machen für alle Beteiligten?

Ja, das wäre schon wünschenswert. Es ist natürlich eine relativ neuartige Situation. Wir sind in einer Pandemie mit einem noch relativ unbekannten Virus, haben seit 2020 sehr viel lernen müssen. Auch die Wissenschaft hat lernen müssen. Aber wir brauchen irgendwann den Sprung aus der Deckung. Klar ist, es gibt keine medizinische Maßnahme ohne ein gewisses Risiko. Das ist übrigens bei anderen Impfungen auch so.

Es gibt Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, die sagen: Es gibt praktisch keine Kinder, die wegen Corona in die Intensivstationen oder Krankenhäuser müssen. Was ist Ihre Position?

Was ist denn die Alternative, wenn ich mal fragen darf? Wenn wir eine ganze Bevölkerungskohorte eben nicht impfen, anders als in anderen Ländern mit wenig oder kaum Problemen, setzen wir diese Bevölkerungsgruppe der Wildinfektion aus. Auch mit der Delta-Variante oder vielleicht einer andere, die kommt. Das heißt, wir würden die Durchseuchung dieser Altersgruppe in Kauf nehmen, mit allen Konsequenzen, beispielsweise für das Leben, für die Entwicklung und für die Bildung dieser Bevölkerungsgruppe. Wollen wir das wirklich riskieren? Christian Drosten hat ja ganz klar gesagt und da stimme ich ihm absolut zu, wer nicht geimpft sein wird, der wird erkranken, früher oder später.

Also sagen Sie, der Druck auf die STIKO seitens der Politik ist gerechtfertigt?

Ich würde das anders formulieren. Es ist zwar so, dass die Kinder in der Regel leichter erkranken, aber es ist keineswegs so, dass die nicht erkranken, also auch mal schwerer. Und vieles wissen wir doch noch gar nicht. Rein formal untersteht die STIKO dem Robert-Koch-Institut und dieses als Behörde dem Bundesministerium für Gesundheit. Deswegen kann Minister Spahn einen gewissen Erwartungsdruck ausüben. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass die STIKO unabhängig wissenschaftlich arbeiten kann, ohne von außen zu sehr unter Druck gesetzt zu werden. Die leise Kritik ist vielleicht einfacher: Leute, guckt mal um euch rum! Wir brauchen jetzt eine Leitlinie, an der sich die Ärztinnen und Ärzte einerseits, aber auch die Eltern und Kinder und Jugendliche andererseits orientieren können. Und darauf warten wir jetzt mit großer Sehnsucht.

In Mecklenburg-Vorpommern und in Schleswig-Holstein beginnt ab heute wieder der Unterricht nach den Sommerferien. Glauben Sie, die Schulen sind gut vorbereitet?

Also, ob die Schulen gut vorbereitet sind, kann ich nicht beantworten, ich bin da nicht gewesen und hab nicht nachgeschaut. Ich habe große Sorge, dass das zumindest flächendeckend nicht so sein wird. Dass die Schulen unbedingt wieder öffnen müssen, ist eine Forderung, die wir nicht alleine gefordert haben. Das ist essenziell notwendig, damit die Entwicklung der Kinder endlich wieder auf einen guten und normalen Weg kommt.

In Hamburg, wo die Schule am Donnerstag wieder startet, liegt die Inzidenz bei 30,9 - der Spitzenwert aller Länder. Befürchten Sie durch die Öffnung der Schulen einen Anstieg der Infektionszahlen?

Natürlich. Wenn die Inzidenzen steigen, werden natürlich die Nicht-Geimpften verstärkt erkranken. Dafür muss man auch keinen Mathematik-Leistungskurs gehabt haben, das kann man sich an der Hand abzählen. Die nächsten, die jetzt erkranken und das sehen wir schon, sind vorwiegend junge Menschen - eben diejenigen, die noch nicht geimpft sein können. Auf der anderen Seite gehe ich mal ganz stark davon aus, dass die Lehrerinnen und Lehrer und natürlich in den Kindertageseinrichtungen auch die Erzieherinnen und Erzieher längst geimpft sind. Das ist ihre moralische Verantwortung und auch ihr Selbstschutz. Wir Ärztinnen und Ärzte sind auch alle geimpft und mein Praxispersonal auch. Damit dürfte ja das Risiko deutlich geringer werden.

Mit Thomas Fischbach sprach Doro Steitz

Quelle: ntv.de

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