Panorama

Denkmal für Contergan-Opfer enthülltGrünenthal leistet Abbitte

31.08.2012, 19:27 Uhr
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Die von dem Pharmaunternehmen Grünenthal finanzierte Figur ist umstritten. (Foto: dpa)

Als Deutschland vom Contergan-Skandal erschüttert wird, regiert noch Konrad Adenauer. Jetzt, mehr als 50 Jahre später, entschuldigt sich der Hersteller Grünenthal erstmals explizit bei den Geschädigten. Einer öffentlichen Diskussion geht er aber aus dem Weg. Dafür sponsert das Unternehmen das wohl erste Denkmal für die Opfer. Für 5000 Euro.

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Bei der Protestaktion vor dem Kulturzentrum "Frankental". (Foto: dapd)

Der frühere Contergan-Hersteller Grünenthal hat sich erstmals bei den Opfern des Arzneimittelskandals entschuldigt. Bei der Einweihungsfeier des wohl ersten Denkmals für die weltweit 10.000 Opfer sagte Grünenthal-Geschäftsführer Harald Stock in Stolberg bei Aachen, es sei bedauerlich, dass Grünenthal nicht viel früher auf die Opfer zugegangen sei. "Darüber hinaus bitten wir um Entschuldigung, dass wir 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen, von Mensch zu Mensch, gefunden haben. Stattdessen haben wir geschwiegen."

Grünenthal hatte zwar schon mehrfach sein Bedauern über die "Tragödie" zum Ausdruck gebracht, sich aber noch nie in dieser Weise entschuldigt. Contergan steht für den größten Medikamenten-Skandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Nach Stocks Äußerungen brandete Applaus im Theatersaal des Kulturzentrums auf, in dem die Feierstunde zur Einweihung des Denkmals abgehalten wurde. Es meldeten sich aber auch sofort zwei Kritiker aus dem Publikum zu Wort. Sie warfen Grünenthal vor, finanziell viel zu wenig für die Opfer zu tun und noch immer verhüllende Begriffe wie "Tragödie" zu verwenden.

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Gegner des Denkmals demonstrieren vor der Zentrale des Pharmaunternehmens Grünenthal. (Foto: dpa)

Das Unternehmen hat ein schlechtes Image. Als damals, vor mehr als 50 Jahren, die ersten der insgesamt 10.000 missgebildete Babys geboren wurden, stritt es zunächst alles ab. Später im Prozess, einem der größten der Nachkriegsgeschichte, vermied es ein Schuldeingeständnis. Und noch vor fünf Jahren versuchte es mit allen juristischen Mitteln, die Ausstrahlung des WDR-Films "Eine einzige Tablette" zu verhindern. Der Film wurde später mehrfach preisgekrönt. Immerhin: Stocks Vorgänger Sebastian Wirtz hat sich erstmals mit Contergan-Opfern an einen Tisch gesetzt. Und jetzt hat das Unternehmen das wohl erste Denkmal für die Opfer gesponsert. Für 5000 Euro. Es steht im Foyer des Stolberger Kulturzentrums.

Stolberger Bürgermeister ist glücklich

Der Bundesverband Contergangeschädigter wollte zunächst nicht reagieren. Der Stolberger Bürgermeister Ferdi Gatzweiler sagte: "Wenn es so ist, dass das wirklich das erste Mal gewesen ist und das auch von den Betroffenen so empfunden wird, dann ist das ein Erfolg für alle." Er sei in jedem Fall "sehr glücklich".

Die Bronze-Skulptur des Aachener Künstlers Bonifatius Stirnberg stellt ein Mädchen ohne Arme und mit missgebildeten Füßen auf einem Stuhl sitzend dar. Neben ihm ist noch ein zweiter, leerer Stuhl.

Genau dies wird von den verschiedenen Geschädigten-Verbänden scharf kritisiert. Der Bundesverband Contergangeschädigter - der nach eigenen Angaben den "überwiegenden Teil" der Opfer vertritt - blieb der Einweihungsfeier demonstrativ fern. "Wir sehen das als zynische PR-Maßnahme von Grünenthal", sagte Verbandssprecherin Ilonka Stebritz. Für Grünenthal gebe es wirklich Dringenderes zu tun, als ein Denkmal zu sponsern. Die Contergan-Opfer benötigten ganz konkrete Unterstützung, um ihren Alltag zu bewältigen, und diese Unterstützung werde von Grünenthal verweigert.

Eine Brücke zwischen Verursacher und Geschädigten

Der Initiator des Denkmals, Johannes Igel, verteidigte seine Idee. "Ich wollte eine Brücke bauen zwischen dem Verursacher und den Geschädigten", sagte er. Der Gedanke sei ihm bei einem Besuch des Holocaust-Denkmals in Berlin gekommen. Da habe er sich gesagt, dass es auch ein Denkmal für die vielen contergangeschädigten Kinder geben müsse, die kurz nach der Geburt gestorben seien. Igel ist selbst contergangeschädigt.

Die rheinische Firma Grünenthal hatte das Schlafmittel 1957 auf den Markt gebracht. Viele werdende Mütter nahmen es ein - vor allem auch, weil es gegen Schwangerschaftsübelkeit half. Doch bald kamen weltweit etwa 10.000 Kinder mit schweren Missbildungen vor allem an Armen und Beinen zur Welt. In Deutschland allein waren es ungefähr 5000. Damals hatte man zunächst geglaubt, die Missbildungen müssten an Atomwaffentests liegen. Dann zeigte sich: Das Schlafmittel Contergan war schuld. Und dessen Hersteller hieß Grünenthal. 1961 zog Grünenthal das Medikament zurück.

Nach langen Auseinandersetzungen wurde 1971 eine Stiftung eingerichtet und mit 200 Millionen Mark ausgestattet. Das Geld kam jeweils zur Hälfte von Grünenthal und vom Bund. Aus diesem Fonds erhalten die Geschädigten eine Rente.

Mit ihrer kleinen Rente sind die Opfer keineswegs zufrieden, sie bräuchten nach eigenen Angaben dringend mehr Geld. Es ist eine Forderung, die die Geschädigten-Verbände seit langem erheben. Beispiel Zahnersatz: Viele Opfer kommen jetzt in das Alter, und sie brauchen, so sagen sie, Zahnersatz, der über das normale "AOK-Gebiss" hinausgeht. Weil sie sehr viel mit den Zähnen machen. Machen müssen. Flaschen öffnen zum Beispiel. Aber dieser Diskussion geht Hersteller Grünenthal weiter aus dem Weg.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa