Verkörperung des Liberalismus Lord Dahrendorf ist tot
18.06.2009, 12:22 UhrDer deutsch-britische Soziologe Lord Ralf Dahrendorf ist gestorben. Er war einer der bedeutendsten deutschen Gesellschaftswissenschaftler. Er war EU-Kommissar, leitete die London School of Economics und hatte einen Sitz im britischen Oberhaus.

Lord Dahrendorf am 5. Mai bei einem Empfang in der britischen Botschaft in Berlin anlässlich seines Geburtstages.
Der deutsch-britische Soziologe Lord Ralf Dahrendorf ist gestorben. Erst kürzlich hatte er seinen 80. Geburtstag gefeiert.
Dahrendorf war einer der bedeutendsten deutschen Gesellschaftswissenschaftler und gilt als Verkörperung des europäischen Liberalismus. Er stammt aus einer sozialdemokratischen Hamburger Familie, war selbst jedoch für die FDP kurzzeitig Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag und im Deutschen Bundestag, parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt und von 1970 bis 1974 EU-Kommissar, zunächst für Außenhandel und Außenbeziehungen, später für Bildung, Forschung und Wissenschaft.
Mitglied des Oberhauses
Anschließend ging Dahrendorf als Chef der renommierten London School of Economics nach England. 1988 nahm er zusätzlich zur deutschen die britische Staatsbürgerschaft an. 1993 wurde er auf Lebenszeit zum Mitglied des britischen Oberhauses ernannt. Dort gehörte er den britischen Liberaldemokraten an.
Zu den Publikationen Dahrendorfs gehören seine "Betrachtungen über die Revolution in Europa" (1990) und der als Summe seiner Sozialwissenschaft geltende Band "Der moderne soziale Konflikt" (dt.: 1992). Zu Beginn seiner Karriere sorgte er unter anderem mit seiner Habilitationsschrift "Soziale Klassen und Klassenkonflikt in der industriellen Gesellschaft" (1957) und "Gesellschaft und Demokratie in Deutschland" (1965) für Aufsehen.
Grüne: Ein großer Liberaler
FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, "die deutschen und die europäischen Liberalen" hätten "einen der bedeutendsten Soziologen unserer Zeit verloren, dessen unerschütterliche freiheitliche Geisteshaltung ihm überragende Anerkennung gebracht hat". "Die deutsche liberale Familie gedenkt eines freiheitlichen Theoretikers, sehr praktischen Europäers und geachteten Weltbürgers."
Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer schrieb in einer Twitter-Mitteilung, mit Ralf Dahrendorf sei "ein großer Liberaler" gestorben. "Er war ein Unzeitgemäßer, weil er Liberalismus progressiv verstand."
Beisetzung in London
Zuletzt lebte Dahrendorf näher bei seiner Familie in Köln, wo er im Beisein seiner Frau starb. Seinen 80. Geburtstag am 1. Mai hatte Dahrendorf, schon von Krankheit gezeichnet, inmitten akademischer Freunde in Oxford verbracht. Nach Angaben der "Badischen Zeitung" wird die Beerdigung voraussichtlich in London stattfinden.
"London ist die einzige mir bekannte Stadt, in der so viele unterschiedliche Gruppen auf eine so friedliche Weise miteinander leben", sagte Dahrendorf einmal über seine Wahlheimat. "Selbst bei den Terroranschlägen im Juli 2005 ist es ja so gewesen, dass Muslime jüdischen Frauen halfen, aus dem Zug zu kommen."
Quelle: ntv.de, dpa/hvo