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Diva, Tigerin, Opfer? Maria Callas war der "erste weibliche Klassik-Superstar"

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Maria Callas schiebt sich 1959 durch eine Gruppe von wartenden Journalisten, nachdem ihre Trennung von ihrem Ehemann Giovanni Battista Meneghini bekannt geworden ist.

Maria Callas schiebt sich 1959 durch eine Gruppe von wartenden Journalisten, nachdem ihre Trennung von ihrem Ehemann Giovanni Battista Meneghini bekannt geworden ist.

(Foto: AP)

Maria Callas ist die wohl berühmteste Opernsängerin der Welt, um die sich auch 100 Jahre nach ihrer Geburt zahlreiche Mythen ranken. Was genau dran ist an den Skandalen und warum Maria Callas und ihre Stimme bis heute faszinieren und berühren, erklärt Musikwissenschaftler Arnold Jacobshagen im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Wann haben Sie das letzte Mal eine Aufnahme von Maria Callas gehört?

Arnold Jacobshagen: Heute Morgen in der Küche beim Kaffeekochen! So wenige Tage vor ihrem Geburtstag war das natürlich das Erste, was ich gemacht habe. "Lucia di Lammermoor", erster Akt.

Sie sind also ein großer Callas-Fan?

Eigentlich nicht. Aber Maria Callas und ihr Repertoire haben mich als Opernforscher immer beschäftigt. Und ich kenne natürlich ihre Aufnahmen, von denen viele unübertroffen sind.

Maria Callas hat eine Stimme, die man schon nach den ersten Tönen erkennen kann, aber sie besticht nicht unbedingt durch Schönheit. Was macht ihre Stimme so einzigartig?

Dass sie so unverwechselbar ist und so viele Schattierungen hat. Vergleichen Sie das mit einem außergewöhnlichen Wein, der wirklich alle Aromen zur Geltung bringt. Und das eben in unterschiedlichen Registern, in unterschiedlicher Intensität. Das macht es aus, dass man diese Stimme erstens sofort wiedererkennt und zweitens, dass sie so unglaublich expressiv ist. Es gibt ja viele schöne Stimmen, aber es gibt nur wenige Stimmen, die man sofort erkennt, wie etwa Freddie Mercury im Bereich der Popmusik oder Ella Fitzgerald im Jazz.

Maria Callas ist auch vielen Menschen, die sonst gar nichts mit Oper am Hut haben, ein Begriff. Woran liegt das?

Sie war in ihrer Zeit unglaublich berühmt. Es wird oft gesagt, sie sei die berühmteste Frau der Welt gewesen. Sie war der erste moderne weibliche Superstar in der Klassikszene und das auf einem Level, das nach ihr nicht mehr erreicht worden ist. Da kam vieles zusammen, was nicht nur mit ihrer künstlerischen Leistung zu tun hat. Zum Beispiel ihre enorme Metamorphose, die körperliche Veränderung von einer wuchtigen, nicht sehr attraktiven Opernsängerin hin zu einer wunderschönen, schlanken Stilikone der 50er-Jahre. Dann diese unglaubliche Ausstrahlung: Auf der Bühne hat sie als charismatische Figur sofort alle anderen in den Schatten gestellt. Aber um ein Publikum jenseits der klassischen Musik zu erreichen, brauchte es natürlich auch die Skandale, die großen öffentlichen Auftritte und insbesondere die Liaison mit Aristoteles Onassis, einem der reichsten Männer der damaligen Welt. Und die Tatsache, dass Onassis sie dann hat sitzenlassen, um Jackie Kennedy, die Witwe des ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy, zu heiraten. Das war eine mediale Konstellation, die es so auch nie wieder gegeben hat.

Mit dem Namen Maria Callas verbindet man ja tatsächlich viele Skandale und Geschichten aus ihrem Privatleben. Wie sind diese Mythen entstanden?

Die meisten der Legenden haben durch die Presse eine so starke Verstärkung erfahren, dass der ursprünglich relativ harmlose Kern dieser sogenannten Skandale immer weiter aufgebauscht worden ist. Außerdem herrschten in der Realität der 50er-Jahre ganz andere Vorstellungen. Gerade als Frau war Maria Callas dem mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert. Vieles, was ihr damals angetan wurde, würde man heute als extrem übergriffig bezeichnen. Aber sie hatte niemals eine professionelle PR-Abteilung, sondern war mehr oder weniger auf sich selbst gestellt. Und sie hat persönlich Vorwürfe erwidert, häufig auch sehr ungeschickt, das hat die Sache dann nur verschlimmert. Heute wäre sie umgeben von Pressesprechern und PR-Leuten, die sie abschirmen würden.

Wir können natürlich nicht über Maria Callas sprechen, ohne einmal den Begriff "Diva" zu nennen. Auch als "Tigerin" wurde sie bezeichnet. Was ist dran an diesen Zuschreibungen?

Die Diva ist ja "die Göttin" und Maria Callas wurde auch "La Divina", also die Göttliche, genannt. Was natürlich auf die Einzigartigkeit zielt, ebenso wie der Begriff der "Primadonna assoluta", die erste Sängerin nicht nur einer Operntruppe, sondern der ganzen Welt. Und natürlich hat Maria Callas das kultiviert, sie war sehr ehrgeizig und hat schon als junge Gesangsschülerin unglaublich geackert. Zu der Vorstellung von Diva gehören die Skandale und die Presse hat geradezu darauf gelauert, welche Angriffsflächen und Zeichen der Divenhaftigkeit sie präsentieren wird. Aber Maria Callas war nicht nur diese göttinnengleiche Sängerin, sondern eben auch eine "Tigerin", das heißt eine durchaus auch aggressive, zumindest impulsive, temperamentvolle, zu großen Ausbrüchen neigende Persönlichkeit. Und diese "Tigerin", die in ihr steckte, war nötig, um diese unglaublichen Explosionen auf der Bühne zu zünden, die sie künstlerisch so einzigartig machen.

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Maria Callas wird oft als Opfer dargestellt, als Opfer von Medien, ihrer Mutter, ihrem Ehemann Giovanni Battista Meneghini und Onassis.

Das ist auch ein Mythos, der viele Wurzeln hat. Sie hat auf der Bühne fast immer tragische Rollen verkörpert, in denen sie ein Opfer war. Und man hat dann häufig die tragische Primadonna auch auf ihr Privatleben übertragen. Das sind Kurzschlüsse, die man gleichsam automatisch vollzieht, um sich ein Bild von einer Persönlichkeit zu machen. Aber natürlich ist an all diesen Geschichten auch viel Wahres dran.

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Die Kindheit und Jugend von Maria Callas war herausfordernd mit der Übersiedlung der Eltern nach New York, dann der Trennung der Eltern und der Rückkehr nach Griechenland in Begleitung der Mutter und ihrer Schwester, der Vater blieb in Amerika. Die Mutter war sicherlich eine schwierige, unerbittliche Person und für Maria Callas eine unglaubliche Belastung. So sehr, dass sie bereits 1950 den Kontakt zu ihr abbrach und sie bis an ihr Lebensende kein einziges Mal mehr persönlich getroffen hat. Der Mutter hat sie allerdings auch ihre Gesangslaufbahn zu verdanken. Man muss sie in all ihrer Ambivalenz betrachten, aber ihr letztlich dankbar sein, dass sie Maria Callas auf diesen Weg gebracht hat.

Arnold Jacobshagen ist Professor an der Hochschule für Musik Köln.

Arnold Jacobshagen ist Professor an der Hochschule für Musik Köln.

(Foto: privat)

Mitte der 1950er-Jahre, mit Anfang 30, war Maria Callas auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, danach ging es rapide bergab. Dafür wird oft auch ihre Beziehung zu Onassis mitverantwortlich gemacht. Stimmt das?

Nein, die Callas-Legende des Karriereeinbruchs infolge einer gescheiterten Liebesbeziehung ist völlig abwegig. Entscheidend für ihren stimmlichen Abbau dürfte ihre Dermatomyositis gewesen sein, eine tückische Autoimmunkrankheit, die damals noch wenig erforscht war und die einen schleichenden Muskelabbau nach sich zieht. Die ganzen privaten Geschichten haben letztlich mit der künstlerischen Leistung nichts zu tun. Onassis lernte sie erst kennen, als ihre Karriere längst ihren Höhepunkt überschritten hatte. Aber das passte natürlich sehr gut zu diesem Opferbild, dass eine Frau ihre Karriere für einen Mann aufgibt und dann verlassen wird. Das sagt viel über die Art und Weise aus, wie man weibliche Stars damals gesehen hat. Niemand würde Ähnliches über einen Mann schreiben, aber bei einer Frau machte man das fast automatisch. Das ist eine doch sehr traditionelle und überkommene Sichtweise, von der wir uns schleunigst verabschieden sollten. Und Maria Callas bietet so viele Möglichkeiten, sie anders zu sehen als in diesen im Grunde frauenfeindlichen, fast schon sexistischen Klischeevorstellungen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass einige Verhaltensweisen von Maria Callas, die als divenhaft empfunden wurden, oft auch darauf zurückzuführen sind, dass sie sich in einer patriarchalen Umgebung behaupten musste - und behauptet hat.

Genau, das ist sehr bewundernswert. Gerade wenn man sich in der Klassikszene umsieht, die ja so was von männlich dominiert war: Alle Dirigenten, Regisseure, Manager und Produzenten waren Männer. Und da kam jetzt einfach mal eine Frau, die denen Paroli bot. Das haben viele nicht erwartet, aber die allermeisten haben das aufgrund von Maria Callas' Professionalität und ihrer künstlerischen Leistungen zumindest akzeptiert. Aber eben nicht alle in der Gesellschaft und so ist es kein Wunder, dass ein solches Divenbild entsteht. Und letztlich hat auch Maria Callas davon profitiert. Diese langfristige Strahlkraft, die sie bis heute hat und auch noch in Zukunft haben wird, beruht ja zu einem großen Teil auch auf diesen Mythen. Dass sie dafür einige Opfer bringen musste, ist natürlich die Kehrseite der Medaille.

Was haben uns Maria Callas und ihre Stimme heute noch zu sagen?

Sie ist einzigartig, was die Ausdruckskraft, Virtuosität und schiere Größe der Stimme betrifft. Und deswegen werden wir sie auch in Zukunft noch hören. Bestimmte Aufnahmen von Maria Callas werden nie übertroffen werden. Aber die Persönlichkeit selbst hat uns natürlich viel zu sagen. Ich habe an der Musikhochschule viele junge Sängerinnen kennengelernt, für die Maria Callas noch heute das große Vorbild ist. Einige haben sogar gesagt, erst seit sie Maria Callas kennen, hatten sie den Wunsch, selbst Sängerin zu werden. Das hat mich zutiefst bewegt.

Mit Arnold Jacobshagen sprach Katja Sembritzki

Quelle: ntv.de

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