Euro-Kritiker kratzen an der Fünfprozenthürde AfD macht Deutschland "blau"
22.09.2013, 22:26 Uhr
Bernd Lucke macht sich kurz nach Schließung der Wahllokale noch Hoffnungen auf den Einzug ins Parlament.
(Foto: dpa)
Die Alternative für Deutschland schafft es ganz dicht bis an die Fünf-Prozent-Hürde. Das allein ist schon ein gewaltiger Erfolg. Dennoch sind die Anhänger bei der Wahlparty hin und her gerissen zwischen Jubel und Enttäuschung.
Jubelgebrüll: Die erste Prognose sieht die FDP nicht mehr im Bundestag. Sekunden später schallt ein entsetztes "Oooohh!" durch den Saal im Maritim proArte Hotel in Berlin-Mitte. 4,9 Prozent der Stimmen, so heißt es im Fernsehen, soll die Alternative für Deutschland erhalten haben. Haarscharf vorbei an der Fünf-Prozent-Hürde. Trotzdem ruft Parteisprecher Bernd Lucke wenig später freudig-kämpferisch ins Mikrofon: "Wir haben die anderen Parteien wahrhaft das Fürchten gelehrt!"
Das prognostizierte Ergebnis der eurokritischen Partei ist tatsächlich außergewöhnlich gut: Die AfD wurde erst im Februar gegründet. Nur wenige Monate später könnte sie es aus dem Stand in den Bundestag schaffen. Selbst wenn es bei den 4,9 Prozent bleiben sollte, wäre dies ein großer Erfolg für eine so junge Partei, sagt Lucke. Als die Piratenpartei 2009 ihr Debüt bei einer Bundestagswahl in Deutschland gab, holte sie gerade einmal 2 Prozent der Stimmen.
"Lucke! Lucke!"-Rufe
"Lucke! Lucke!", rufen die Parteianhänger ihrem Sprecher auf der Bühne zu. Der resümiert euphorisch, aus der Mitte einer "mündigen Bürgerschaft" heraus habe sich eine Partei gegründet, die erfolgreich gewesen sei, wie noch nie eine andere zuvor. "Wir haben die Demokratie gestärkt."
"Wir wissen bereits jetzt, dass die Parteien gelernt haben, dass sie sich nicht alles erlauben können", meint Lucke. Trotzdem hoffe er natürlich, "dass die Alternative für Deutschland in diesem Bundestag vertreten sein wird."
Dann greift Sprecherin Frauke Petry mit Kind auf dem Arm das Mikrofon. Aufgewühlt sei sie, weil sie nicht wisse, wie der Abend ausgehe, sagt sie. In der Aufregung rutscht ihr ein wohl ungewollter Wortwitz heraus: "Deutschland ist mit der AfD blau geworden." Gemeint ist natürlich nicht der Alkoholkonsum auf der Wahlparty, sondern die Parteifarbe.
Stimmen von ehemaligen FDP-Wählern
Überzeugt hat die AfD wohl insbesondere Wähler der FDP. Auch die Union und sogar die Linke verlor Wähler an die neue Partei. Dabei war zuvor der Vorwurf aufgekommen, die AfD öffne sich auch für ehemalige Mitglieder rechtspopulistischer Parteien. Das weist Lucke später in der Sendung von Günther Jauch zurück. Die Vorwürfe seien Teil einer Diskreditierungsstrategie, die auch eine gewisse Wirkung erzielt habe. Allerdings hatte Lucke selbst just auf der Wahlparty eine fragwürdige Formulierung verwendet: In den vergangenen Jahren habe es "soviel an Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus" gegeben, sagte er.
Mit ihrem eurokritischen Parteiprogramm hat es die Partei an diesem Tag geschafft, Wähler aus allen politischen Lagern zu gewinnen. "Wir fordern eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes", heißt es darin. "Deutschland braucht den Euro nicht." Anderen Ländern schade er gar. Darum fordere die Partei die Wiedereinführung nationaler Währungen. In den ostdeutschen Bundesländern kam die AfD einer Hochrechnung des MDR zufolge damit gar auf 5,9 Prozent, im Westen dagegen nur auf 4,6 Prozent.
Etwas später am Abend macht sich trotzdem noch eine gewisse Enttäuschung breit. Hochrechnungen sehen die AfD weiter knapp unter 5 Prozent. Es sei wie verhext, stöhnt eine Parteianhängerin. Nichts bewege sich, bemerkt ein Mann mit AfD-Anstecker zerknirscht.
Keine Koalitionsaussagen
Lucke bleibt optimistisch. Die 4,9 Prozent seien ja noch kein Ergebnis, sondern nur der in diesem Moment aktuelle Stand der Hochrechnung. "Aber es kann sich ja ohne Weiteres noch verändern im Laufe des Abends", sagt er der ARD. Die AfD habe es geschafft, nur wenige Monate nach ihrer Gründung und trotz aller Widerstände mehr Stimmen zu erhalten, als die FDP. Wieder Jubel im Saal.
Seine Partei habe eine Alternative formuliert, für Menschen, die enttäuscht seien - nicht nur von der FDP, sondern auch von allen anderen Parteien. Zwar habe er gehofft, dass das Ergebnis seiner Partei deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde liege, sagt Lucke. Sollte es nicht reichen, werde sich die AfD auf zukünftige Wahlen konzentrieren. Die Themen der AfD seien schließlich gerade auch bei der Europawahl relevant.
Zu Aussagen über mögliche Koalitionen - sollte die Partei die Fünf-Prozent-Hürde doch nehmen - lässt sich Lucke aber nicht bewegen. Auch die Frage, ob er Fraktionsvorsitzender werde, wehrt er ab. Über die Spitze der Fraktion werde bei der AfD in einer demokratischen Wahl entschieden und nicht in einem Interview bekanntgegeben. Doch dann sinken die hochgerechneten Zahlen auf 4,6 Prozent.
Quelle: ntv.de, mit dpa/rts