
Gottfried Curio bezeichnet Deniz Yücel als "Hassprediger".
(Foto: dpa)
Der Bundestag soll über journalistische Leistungen urteilen, findet die AfD - über die des freigelassenen Autors Deniz Yücel etwa. Der Partei geht es bei ihrem Antrag jedoch nicht darum, Politik zu machen. Sie will bloß eine große Bühne.
Deniz Yücel ist eine verhasste Figur bei der AfD und ihren Anhängern. Kurz nach der Inhaftierung des deutschen Journalisten in der Türkei begannen AfD-Politiker und deren Anhänger mantraartig aus zwei Satire-Artikeln, die der Hesse 2011 und 2012 geschrieben hatte, zu zitieren. In einem wünscht er Thilo Sarrazin einen Schlaganfall, im anderen sinnt er über deutschen Volkstod. In sozialen Medien wurde unter dem Motto #jaildeniz gefordert, Yücel lebenslang in der Türkei einzubuchten, ihm die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen. In diesen Chor stieg schließlich auch AfD-Fraktionschefin Alice Weidel ein, die zu wissen glaubt, Yücel sei wegen seiner Aussagen weder Deutscher noch Journalist.
Nun ist Yücel wieder frei und nach dem Willen der AfD soll sich der Bundestag mit den sechs beziehungsweise sieben Jahre alten Texten befassen. Die Partei möchte erwirken, dass die Bundesregierung sich von den Artikeln distanziert. Ein bisher einmaliger Vorgang. Denn es ist nicht Aufgabe des Bundestages, über journalistische Leistungen oder Fehlleistungen zu urteilen. Schon gar nicht, wenn ein Gericht das bereits getan hat. Nach einem Urteil des Landgerichts Berlin musste Yücel 20.000 Euro Entschädigung an Sarrazin bezahlen.
Es wäre also seitens der AfD dringend notwendig gewesen, den sonderbaren Antrag mit plausiblen Argumenten zu untermauern. Davon bleibt der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio in seiner Rede dann jedoch weit entfernt.
"Hassprediger", "Menschenfeind"
Curio beginnt und erklärt, auch die AfD sei über die Freilassung erleichtert. Dann kommt er in Fahrt. Die "politische Bevorzugung Yücels sei eine Billigung seiner deutschlandfeindlichen Äußerung". Diese "Ikone der Linkspresse" sei für Kanzlerin Angela Merkel ein Fall besonderer Dringlichkeit, die von Außenminister Sigmar Gabriel, dem "Chefkoch im Braten von Extrawürsten", aus dem Gefängnis geholt worden sei, so Curio. Yücel sei ein "Hassprediger", ein "Menschenfeind", seine Texte würden nur durch den Anspruch der Satire gedeckt, weil sie aus dem "antideutschen, linken Establishment" kämen. Wenn Yücel Deutschland so hasse, solle er seine deutsche Staatsbürgerschaft doch einfach abgeben, sagt er. Und schließlich: Man wisse ja nicht, wie viel Munition und Panzer die Türkei für diese "Top-Geisel" erhalten habe.
Die Chance, das Anliegen der AfD ernsthaft darzulegen, verpasst Curio. Er ist ein talentierter Rhetoriker und peitscht die Fraktion an. Immer wieder brechen Begeisterungsstürme los, ertönt lautes Gelächter. Aber offenkundig geht es Curio nicht darum, das Parlament von diesem Antrag zu überzeugen, sondern darum, Stimmung zu machen. Stimmung statt Politik. Er liefert eine drastische Zusammenfassung der Atmosphäre ab, die in AfD-Kreisen in den vergangenen zwölf Monaten gegen Yücel gemacht wurde. Und damit die Grundlage für eine hitzige Debatte.
Der Unions-Abgeordnete Alexander Throm etwa kritisiert, der Bundestag sei nicht der richtige Ort für die Bewertung von Satire, der Antrag der AfD sei "nicht patriotisch, sondern erbärmlich". SPD-Politiker Lars Castelucci sagte, er begrüße – so wie die AfD ja auch – die Freilassung Yücels "aus der Haft, in die er von Ihrem (gemeint ist die AfD) Bruder im Geiste – Erdogan – gesteckt wurde". Der Abgeordnete der Linken, Jan Korte, kritisiert, der Antrag der AfD sei ein Angriff auf Pressefreiheit und Grundrechte. Die Partei erhebe den Anspruch, darüber entscheiden zu dürfen, wer deutsch sei und wer nicht.
Ausgerechnet eine AfD-Abgeordnete fehlt
Hätte die AfD an diesem Abend im Bundestag einen ergebnisorientierten Antrag eingebracht, man hätte sie dafür loben müssen, die Debatte im Parlament zu einer Lautstärke gebracht zu haben, die es in den vergangenen Jahren selten gab. Da den Abgeordneten jedoch offensichtlich nicht daran gelegen war, die übrigen Parlamentarier von ihrer Politik zu überzeugen, erinnert das Ganze eher an politisches Kabarett.
Das den zweiten Höhepunkt - nach der reißerischen Rede Curios – dann mit dem Auftritt von Grünen-Chef Cem Özdemir erreicht, dem regelrecht der Kragen platzt. In einem Land wie Deutschland würden im Parlament keine journalistischen Leistungen besprochen, das geschehe in Diktaturen mit Gleichschaltung – "von der Sie nachts träumen". Die Art und Weise, wie die AfD sich an dem Schicksal Yücels abgearbeitet habe, zeuge davon, dass inzwischen "Rassisten" im Parlament säßen. Die AfD verachte Deutschland zutiefst, seine Vielfalt, seine Erinnerungskultur und wolle aber darüber bestimmen, wer deutsch ist und wer nicht. Özdemir redet sich in Rage. "Sie sind aus dem selben faulen Holz geschnitzt wie Erdogan. Die AKP hat in Deutschland einen Ableger und sie sitzt hier", sagt, ja brüllt Özdemir schon fast und zeigt in Richtung der AfD-Fraktion.
Was sich während der Debatte bereits abzeichnet - es gibt erheblichen lautstarken Widerstand gegen den Antrag der AfD - setzt sich in der Abstimmung fort: Mit großer Mehrheit wird der Antrag abgelehnt. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass es der AfD gar nicht darum ging, das Parlament zu überzeugen, sondern es als Bühne zu nutzen. Fundamentalopposition statt Realpolitik eben.
Eine, deren Stimme bei der namentlichen Abstimmung fehlt, ist übrigens ausgerechnet Fraktionschefin Alice Weidel, die vergangene Woche in einem scharf kritisierten Statement mehr oder minder die Ausbürgerung Yücels forderte.
Quelle: ntv.de