Gegner ruft Gegenregierung aus Afghanischer Präsident Ghani wiedergewählt
18.02.2020, 17:04 Uhr
Der afghanische Präsident Aschraf Ghani war vor wenigen Tagen bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
(Foto: dpa)
Bereits im vergangenen September wählen die Afghanen ihren Präsidenten. Betrugsvorwürfe überschatten die Abstimmung. Nun erklärt die Wahlkomission Amtsinhaber Ghani zum Sieger. Sein wichtigster Herausforderer erkennt das Ergebnis nicht an und will eine eigene Regierung aufstellen.
Afghanistan droht eine Verschärfung der politischen Krise. Mehr als vier Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan hat die Unabhängige Wahlkommission Aschraf Ghani zum Sieger erklärt. Sein schärfster Konkurrent, der Regierungschef Abdullah Abdullah, erkennt das Ergebnis jedoch nicht an und hat eine eigene Regierung ausgerufen. "Die Betrüger sind die Schande der Geschichte." Bei einer Pressekonferenz in Kabul erklärte Abdullah, "auf der Grundlage sauberer und biometrischer Stimmen ist unser Team der Gewinner, und wir erklären unseren Sieg".
Der Kommission zufolge erhielt der amtierende Präsident Ghani 50,64 Prozent der Stimmen. Damit hat er die Wahl bereits im ersten Durchgang gewonnen, es ist keine Stichwahl notwendig. Abdullah kam den Resultaten zufolge auf 39,52 Prozent der Stimmen. Von den weiteren Kandidaten kam niemand auch nur auf fünf Prozent der Stimmen.
Abdullah hatte bereits im Vorfeld gedroht, das Ergebnis nicht anzuerkennen. Angesichts der Kontroverse über das Ergebnis droht Afghanistan nun eine innenpolitische Krise zur Unzeit. Die USA und die militant-islamistischen Taliban stehen an der Schwelle zu einem Abkommen über Wege zu Frieden, die auch innerafghanische Friedensgespräche einleiten sollen. Um in den Verhandlungen mit den Islamisten zu bestehen, ist Beobachtern zufolge vor allem Einigkeit auf der anderen Seite vonnöten.
Ghani verspricht Fortschritte beim Friedensprozess
Ghani reagierte euphorisch. Sein Wahlsieg sei ein "Sieg des Volkes und der Republik", sagte er in einer Ansprache im Präsidentenpalast, bei der sich seine Stimme immer wieder überschlug. Gleichzeitig versprach er, sich für die Rechte der afghanischen Bürger einzusetzen und den Friedensprozess voranzutreiben. Es sei an der Zeit, Frieden in jeder Ecke des Landes sicherzustellen.
Die Präsidentenwahl hatte am 28. September stattgefunden. Ende Dezember hatte die Wahlkommission nach wochenlangen Verzögerungen wegen technischer Probleme und nach Vorwürfen der Wahlfälschung vorläufige Ergebnisse verkündet. Auch danach wurde für Ghani ein Wert von 50,64 Prozent der Stimmen ermittelt. Abdullah sowie weitere Präsidentschaftskandidaten hatten das vorläufige Resultat nicht anerkannt. Abdullah hatte 300.000 Stimmen beanstandet, die seiner Ansicht nach ungültig waren. Ghanis Umfeld wiederum beschuldigte die Opposition, Vorwürfe aufzubauschen, um an der nächsten Regierung beteiligt zu werden.
Insgesamt waren nach den vorläufigen Ergebnissen mehr als 16.500 Beschwerden an die Wahlbeschwerdekommission (IECC) gegangen. Nach wochenlangen Prüfungen empfahl die IECC Anfang Februar eine Teilprüfung von fast 240.000 der rund 1,8 Millionen Stimmen. Offenbar folgte die Unabhängige Wahlkommission (IEC) allerdings den Empfehlungen der IECC nur bedingt. Nur ein Bruchteil der empfohlenen Nachzählungen wurden durchgeführt.
Geringste Wahlbeteiligung seit Taliban-Sturz
Die Wahlbeteiligung war mit 1,8 Millionen Stimmen die geringste seit dem Fall des Taliban-Regimes im Jahr 2001. Mehr als 9,6 Millionen der geschätzt 35 Millionen Afghanen waren zur Wahl registriert. Auch aus diesem Grund urteilen Beobachter, dass Ghanis Mandat schwach sein wird.
Thomas Ruttig von der Kabuler Denkfabrik Afghanistan Analysts Network sagt, eine Wahlbeteiligung von knapp über 15 Prozent sei "nicht überzeugend". Schwerer wiegt Ruttig zufolge allerdings, dass die Wahlkommission mit "dubiosen Prozeduren" pauschal die 300.000 umstrittenen Stimmen für gültig und damit Ghani zum Sieger erklärt und ihm eine Stichwahl erspart habe. Das wirke gerade zum jetzigen Zeitpunkt - kurz vor einem möglichen Beginn von Friedensgesprächen mit den Taliban - verdächtig.
"Das sieht nach politischem Druck aus, um Ghani zum einzig legitimen Verhandlungspartner zu machen", sagte Ruttig. Damit dürfte sich die politische Krise weiter vertiefen - dabei wäre ein breiter politischer Konsens notwendig, um gegen die Islamisten nicht unter die Räder zu kommen.
Bei der vorangegangenen Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren hatte es ein Patt gegeben: Sowohl Ghani als auch Abdullah erklärten sich damals zum Sieger. Erst durch Vermittlungen des damaligen US-Präsidenten Barack Obama einigten sich die beiden Kontrahenten auf einen Kompromiss: Ghani wurde Staats- und Abdullah Regierungschef.
Quelle: ntv.de, hul/dpa/AFP