Auf einen Kaffee am Bodensee "Alle Politiker haben Dreck am Stecken"
28.06.2017, 14:29 Uhr
Hier campt Moni von Ende März bis Ende Oktober.
(Foto: Julian Vetten)
Moni verbringt ihre Sommer auf einem idyllischen Campingplatz. La dolce vita? Fehlanzeige: Auch im Dauerurlaub lassen sich düstere Bilder einer verrotteten Republik zeichnen, angeführt von Kanzlerkandidaten mit furchtbaren Bärten.
In Deutschland leben mehr als 82 Millionen Menschen - und doch kommen viel zu oft nur die üblichen Verdächtigen oder die mit den lautesten Parolen zu Wort. Um das zu ändern, reisen wir bis zur Bundestagswahl am 24. September durch Deutschland und bitten Menschen um ihre Meinung, die sonst damit hinter dem Berg halten würden. Die Artikel erscheinen immer mittwochs. Diese Woche sind wir zu Gast am Bodensee.
Es gibt sage und schreibe 2873 Campingplätze in Deutschland: Manche von ihnen sind lediglich bessere Parkplätze mit einem Dixie-Klo in der Mitte, die allermeisten taugen ein paar Tage lang als Basis für Ausflüge in die nähere Umgebung. Und dann gibt es noch die, auf denen man tatsächlich auf nichts verzichten muss - auch wenn man vorher vielleicht gar nicht wusste, dass man es beim Campen brauchen könnte. Eingerahmt von sonnenverwöhnten Weinhängen im Norden und den türkisfarbenen Fluten des Bodensees im Süden, ausgestattet mit schmucken Sanitäranlagen, einer eigenen Pizzeria und einem campexklusiven Strand gehört der Campingplatz Schloss Kirchberg definitiv zur letzten Kategorie - ein Paradies für Dauercamper.
Politik ist für die meisten Menschen eine Privatangelegenheit, abseits vom Stammtisch darüber zu sprechen noch immer ungewöhnlich. Unsere Gesprächspartner in dieser Serie sagen ihre Meinung frei heraus, manche von ihnen befürchten aber, deswegen zum Thema für den Nachbarschaftstratsch zu werden - und bitten uns, auf Fotos zu verzichten. Wir respektieren diesen Wunsch.
Auf einem der 328 Stellplätze hat Moni gerade ihr zweites Frühstück beendet und setzt wie fast jeden Morgen von März bis Oktober den Kaffee für den nächsten Ordnungspunkt ihrer alltäglichen Routine auf. Die stämmige Rentnerin mit dem praktischen Kurzhaarschnitt kramt im Vorraum ihres Zeltpalastes herum, als sie bemerkt, dass ein Besucher den akkurat getrimmten Rasen ihres Grundstücks betreten hat. "Student oder Vertreter?", fragt Moni und lugt dabei misstrauisch aus der halbgeöffneten Zeltklappe hervor. "Ein Reporter, der mit mir über Politik sprechen will?", wiederholt sie die Antwort ungläubig. "Aber davon verstehe ich doch nichts." Sagt es und legt los.
Eine klassische Unentschlossene
"Alle Politiker haben Dreck am Stecken", erklärt Moni. "Und die von der CSU drüben in Bayern sind die allerschlimmsten: Die rennen sonntags in die Kirche, tun auf lammfromm und gehen hinterher nach Hause, um Steuern zu hinterziehen." Die 70-Jährige hat in ihrem langen Leben zu viele Skandale mitbekommen, um für Volksvertreter noch die Unschuldsvermutung gelten zu lassen. In Monis Augen gehören Politiker nicht nur einer anderen, unerreichbaren, Klasse an. Sie stehen auch ausnahmslos unter Generalverdacht.
Aber gibt es da wirklich niemanden, auf den man sich noch verlassen kann, der nicht völlig korrupt ist? Moni überlegt kurz, dann hellt sich ihre Miene auf: "Naja, Angela Merkel ist von allen Schlechten die Beste, sie kämpft wenigstens fürs Vaterland", sagt die Rentnerin und verbessert sich gleich selbst: "Tatsächlich muss man seinen Hut ziehen vor dem, was Frau Merkel leistet: Sie ist ja aus der ehemaligen DDR, die sind ganz anders aufgewachsen und halten einfach mehr aus."
Dass Moni deswegen am 24. September CDU wählen wird, ist trotzdem alles andere als sicher: Ein Wahlforscher würde die Rentnerin wohl in die schwer greifbare Gruppe der Unentschlossenen einsortieren - dem aktuellen Stern-RTL-Wahltrend zufolge sind es derzeit 22 Prozent, die sagen, sie wollten keinesfalls oder möglicherweise nicht wählen.
Wo Moni bei der Bundestagswahl schließlich ihr Kreuzchen macht, wird maßgeblich von den Ereignissen der letzten Wahlkampfwochen abhängen - und vom Sympathiefaktor der jeweiligen Kanzlerkandidaten. Das hört sich bei Moni so an: "Früher habe ich eigentlich immer SPD gewählt, aber mit dem Neuen geht das nicht mehr, der ist einfach unmöglich. Alleine sein Gesicht, dieser Schulz hat einen furchtbaren Bart!" Wie repräsentativ diese Position ist, weiß man nicht, da die Umfrageinstitute nicht nach Bärten fragen. Allerdings würden sich laut Forsa bei einer Direktwahl derzeit nur 22 Prozent der Wahlberechtigten für Martin Schulz entscheiden. Selbst unter den Arbeitern sind es nur 30 Prozent - und 36 Prozent für Merkel.
"Leben's wohl!"
Ein Thema gibt es dann allerdings doch, in dem für Moni die Inhalte zählen: "Ich habe acht Enkelkinder, die sind jetzt alle gerade in der Schule. Und die Zustände, die da teilweise herrschen, sind ja unvorstellbar. Für eine bessere Bildung, für die müssen wir kämpfen!" Ein zentrales Schulsystem und die flächendeckende Abschaffung von G8 wären ein Anfang, vor allem aber: "Wir brauchen gleiche Rechte für alle und bloß keine Sonderbehandlungen mehr. Letztes Jahr hat zum Beispiel ein Arztsohn seine Prüfungen nicht bestanden und trotzdem sein Abitur bekommen. Die haben das gekauft!" Dass das Bildungssystem korrupt und kaputt ist, ist für Moni keine Möglichkeit, sondern ein Fakt.
Ob sie bei so viel Sehnsucht nach sozialer Gerechtigkeit und indirekter Kapitalismuskritik schon mal darüber nachgedacht hat, ihr Kreuzchen bei der Linken zu machen? Moni reißt die Augen weit auf, kämpft um ihre Fassung und beendet das Gespräch: "Ich muss mich dann jetzt auch mal um den Kaffee kümmern", sagt die Rentnerin mit unüberhörbarer Endgültigkeit in der Stimme. "Leben's wohl!"
Quelle: ntv.de