Wieduwilts Woche Aufpassen: Zu viel Sonne macht die Deutschen braun!
21.07.2023, 13:16 Uhr Artikel anhören
Zwei AfD-Wortspiele binnen weniger Wochen: Verträgt Merz die Hitze nicht?
(Foto: picture alliance / SVEN SIMON)
Im Sommer 2023 schwebt eine Frage über dem Land: Wie sehr rücken wir nach rechts? Die Hitze hilft nicht, ganz im Gegenteil. Und während die AfD weiter an Zustimmung gewinnt, zündet CDU-Chef Merz einen irritierenden braunen Bengalo.
Gute Orte, um den Sommer zu überstehen: Berlin. Während ich im "Chagall" tippe, herrschen in Prenzlauer Berg etwa 17 Grad, für Freitag ist etwas Regen angesagt, alles recht angenehm und erträglich. Schlechte Orte, um den Sommer zu überstehen: Death Valley, Kalifornien. Da sind um die 50 Grad und trotzdem zog sich dort nun ein Mann Anfang 50, wie schon seit über zehn Jahren, ein Darth Vader-Kostüm an und joggte durch die Hitze. Na, werden Sie vielleicht sagen, wenn der so etwas macht, kann das mit dem Klimawandel doch nicht so schlimm sein!
Wie sieht es in Europa aus? Italien: Mittelgut. In Rom sind es gerade um die 30 Grad. Der medienaffine Bundesalarmminister Karl Lauterbach urlaubt dort allerdings und hat die örtlichen Wetterverhältnisse gewohnheitsmäßig hochpolitisiert. Da stürben nun Tourismusorte, warnte der Minister unter anderem, eine "Ära" ginge da zu Ende. Drama, Baby!
Das Gejammer ging den Italienern nun wieder dermaßen auf die Pasta, dass sich sogar die italienische Tourismusministerin zu Wort meldete. Sie zeigte sich gegenüber der F.A.Z. "irritiert", man sei sich sicher, "dass die Deutschen den Italienurlaub immer mehr schätzen werden". Was man eben so sagt, als Tourismusministerin eines Glutofens: alles in Burrata. Vielleicht erinnert sie sich an Gerhard Schröder, der vor Empörung über italienische Deutschenkritik einmal Hannover der Adria vorzog.
Der Klimawandel und der Rechtsruck
Man könnte das Gerede von der Hitze nun achselzuckend als Sommerloch-Kapriziose hinfortfächern, doch das Wetter ist leider mehr als ein Ferienphänomen. Es wird zum politischen Katalysator eines sich seit Wochen einbräunenden Deutschlands. Indiz hierfür sind, offensichtlich, die Umfragewerte der AfD. In Baden-Württemberg käme die AfD Stand jetzt auf knackige 19 Prozent, womit die Fantasie, die AfD als ostdeutsches Problem zu singularisieren, ein paar unangenehme Risse durchziehen.
Es geht ein Rechtsruck durch Deutschland und der Klimawandel dürfte ihn verstärken. Wesenskern des rechten Rands ist die Zurückweisung, das Zukurzkommen, eine enorme Lust auf Normalität, Letzteres hat niemand so schön auf den Punkt gebracht wie die AfD mit dem Slogan "Deutschland, aber normal". Nun kündigt sich nach dem nicht mehr ganz so neuen "New Normal" der Pandemiezeiten schon das nächste Normal an, "Newer Normal" quasi, eine Welt, in der wir Kälteräume brauchen, das Wasser rationieren und fossile Brennstoffe verteuern. Politische Veränderungen, die tief in den Lebensalltag greifen - schon wieder.
Für die AfD ist der Klimawandel ein sich jährlich erneuerndes Wahlkampfgeschenk. Rechtspopulisten sind nicht eben als Klimaschützer bekannt, aber die AfD macht im Vergleich zu ihren bräunlichen Schwestern in Europa noch einmal eine schlechtere Figur: Bei ihr finden sich regelrechte Leugner des menschgemachten Klimawandels, nicht nur Skeptiker. Und wenn etwas nicht durch Menschen gemacht ist, muss es auch nicht durch Menschen verhindert werden. Macht eine Regierung es trotzdem, geht es auf Kosten des "Volkes". Die da oben gegen uns hier unten, das alte, öde Lied.
"AfD mit Substanz"
Vor diesem Hintergrund ist der verbreitete, bemühte Klima-Spott am rechten Rand besonders unlustig. "Witzige" Bemerkungen zu jeder Form der Klimapolitik werden garniert mit den immer gleichen hysterisch lachenden Boomer-Emojis, meistens gleich mehrere derselben Art. Seht her, wie lustig das alles ist! Sommer hatten wir doch damals schon, ihr seid zu weich, zu hysterisch, zu grün, zu blöd. Als RTL (Transparenzhinweis: ntv gehört zu dieser Familie) eine Sondersendung zu Hitze ausstrahlte, kommentierte das ein Twitter-Nutzer als "so durchschaubar". Vermutlich, weil die Medien und die Eliten die Umvolkung durch … Hitzedebatten befördern? "Leute, man nennt es Sommer" kommentiert ein anderer mit, natürlich, schrägem Lachtränengesicht.
Macht die Hitze also die Deutschen braun? Wählen bald noch mehr Menschen AfD? Die CDU scheint das zu glauben und hat sich entschlossen, die Rechtspopulisten zu kopieren. Nachdem sie ihr Grundsatzprogramm "Agenda für Deutschland" nannte, AfD also, hatten viele Beobachter an einen etwas verdächtigen Zufall geglaubt, vielleicht sogar eine "Dog Whistle" (Hundepfeife), ein dezentes Zeichen also an rechtspopulistische Zielgruppen. Ärgerliches Missverständnis!
Damit auch der Letzte versteht, wo die Partei hinsoll, hat Merz die Sache nun klargestellt: Die CDU wolle "eine Alternative für Deutschland mit Substanz" sein, sagte er nun auf einer Pressekonferenz.
Hier hat einer die Hundepfeife weggelegt und einen braunen Bengalo gezündet.
Dass Merz bisweilen flirtende Blicke ins Lager rechtspopulistischer Klimawandelleugner wirft, hatte er übrigens schon früh deutlich gemacht. "Nein, die Welt geht morgen nicht unter", rief er kürzlich und kombinierte das auch gleich mit einem Verweis darauf, dass man in der linken Twitterblase ja nichts mehr sagen dürfe.
Zielt Merz auf eine GroKo?
Mit wem soll diese Alternative für Deutschland mit Substanz eigentlich regieren können? Mit den Grünen kann die AfDmS nicht rechnen, dafür drischt die Partei zu sehr auf Herzensthemen der Partei ein. Die FDP wiederum schrammt an der 5-Prozent-Hürde und ist damit ein unsicherer Kantonist. Selbst, wenn die Liberalen es ins Parlament schaffen, wird die CDU sich strecken müssen - eventuell fehlen ihr nämlich auch noch die CSU-Stimmen, da die Schwester wegen der Wahlrechtsreform als Alliierter entfallen könnte.
Bleibt also die SPD. Dort kennt man zwar die soziale Komponente des Klimawandels, ist aber auch aufgrund vielfältiger Verflechtungen zu Gewerkschaften, Kohlekumpeln und Energiewirtschaft zurückhaltend in Sachen Klimapolitik. Zudem könnten die Sozialdemokraten glaubwürdig gegen Rechtspopulisten argumentieren, die Klimapolitik als Elitenprojekt zulasten des hart arbeitenden Volkes begreifen. "It’s a match", hieße so etwas bei Dating-Apps.
Insofern ist die spannende Frage gar nicht, wohin sich die CDU bewegt. Das ist nun sommersonnenklar, jedenfalls solange die Partei keine wichtigen Wahlen vergeigt und Merkelianer den Aufstand proben. Die viel interessantere Frage lautet: Wie findet die SPD eigentlich diese neue, gebräunte CDU?
Scholz und das Volk
Eine Antwort gibt womöglich der Kanzler zu Beginn der Sommerpause. Während Vizekanzler Robert Habeck bekanntlich meint, dass Beliebtheit nicht Ziel seines Regierungshandelns ist, sagte Olaf Scholz auf seiner Sommer-Pressekonferenz einen ganz und gar bemerkenswert volksnahen Satz: "Wer Klimapolitik machen will, muss sich zutrauen, dass jede einzelne gesetzliche Regelung in einer Volksabstimmung eine Mehrheit fände."
Es ist nicht ganz klar, was Scholz damit meint. Aber ist das, hm, nicht ein bisschen … populistisch?
Quelle: ntv.de