Senat und Weißes Haus in Gefahr Demokraten-Rebell Manchin grätscht gegen die eigene Partei
10.11.2023, 21:03 Uhr Artikel anhören
Joe Manchin, Senator der Demokraten in West Virginia.
(Foto: dpa)
Ein Senator entscheidet, nicht mehr anzutreten, und die US-Demokraten zittern noch mehr um ihre Mehrheit in der Kongresskammer. Doch es könnte 2024 noch dicker kommen. Joe Manchin wird nachgesagt, eine Präsidentschaftskandidatur gegen US-Präsident Biden zu erwägen.
Während die US-Demokraten noch über ihre Wahlerfolge vom Dienstag jubelten, setzte am Donnerstag Joe Manchin mit ausgestrecktem Bein zur Blutgrätsche gegen die eigene Partei an. "Ich werde nicht zur Wiederwahl antreten", kündigte der Senator in einer Videobotschaft an. Er habe erreicht, was er für West Virginia wollte. Stattdessen will der 76-Jährige durchs Land reisen und herausfinden, ob es Interesse an einer neuen Bewegung gibt, "um die Mitte zu mobilisieren". Heißt: Kein Rückzug aus der Politik, sondern möglicherweise ein neues Projekt.
Die Demokraten und die Parteilosen, die üblicherweise mit ihnen stimmen, haben im Senat eine knappe Mehrheit von 51 zu 49 Sitzen der Republikaner. Noch. Die Demokraten haben laut Umfragen ein wesentlich höheres Risiko, bei der Wahl im kommenden Jahr ihre Mehrheit in der Kongresskammer zu verlieren. Sollte zugleich US-Präsident Joe Biden wiedergewählt werden, hätten er und die Demokraten ein immenses Problem: Obwohl sie das Weiße Haus halten, könnten die Republikaner allein Gesetze verabschieden. Für eigene Projekte bräuchten sie den Segen konservativer Abtrünniger.
West Virginia ist tiefrot republikanisch, aber Manchin hatte seit 2010 den Sitz für die Demokraten inne und gehalten. Sein Rücktritt erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Mehrheitsverlusts nochmals; es ist damit so gut wie sicher, dass der Senatssitz bis 2030 in die Hände der Republikaner fällt, namentlich in die Hände des derzeitigen Gouverneurs Jim Justice. Der 72-Jährige darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut antreten. Justice war 2017 von den Demokraten zu den Republikanern übergelaufen, wird von der Partei und auch Ex-Präsident Donald Trump unterstützt. Trump ist der wahrscheinlichste Präsidentschaftskandidat der Republikaner.
Kohle für West Virginia und die eigene Tasche

Manchin (links) bei der Unterzeichnung des historischen Klima-Gesetzespakets mit US-Präsident Joe Biden (2.v.r.)
(Foto: REUTERS)
Bekannt wurde Manchin auch deshalb, weil er eine ungewöhnliche Position hatte: Die Demokraten sind zum politischen Fluchtpunkt vieler Klimaschützer geworden, aber West Virginia ist nach Wyoming der zweitgrößte Kohleproduzent-Bundesstaat in den USA. Die Vereinigten Staaten verfeuern für rund 20 Prozent ihres Stroms Kohle, für 40 Prozent Gas und fast 20 Prozent kommt aus Atomkraftwerken. Trump und die weiteren republikanischen Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur vertreten offensiv die Ansicht, fossile Energieträger müssten stärker gefördert werden und der Umweltschutz sei zweitrangig. "Bohren, fracken, verbrennen!", ist etwa einer der Wahlkampfsprüche von Vivek Ramaswamy, einem Unternehmer, der sich bewirbt. Die USA sind nach China der größte Luftverschmutzer der Welt.
Manchin war schon lange ein Rebell in den Reihen der Demokraten. Mit seiner über ein Jahr andauernden Ein-Mann-Blockade im Senat gegen die Anstrengungen, angesichts der Klimakrise mehr Erneuerbare Energien und Elektromobilität zu fördern, trieb er die Partei und insbesondere dessen progressiven Flügel zur Weißglut. Manchin argumentierte, das Paket sei schlecht für West Virginias Wirtschaft. Seine Spender kommen aus der fossilen Energiewirtschaft. Was er verschwieg: Er hatte wohl auch Angst um seine Privatgeschäfte. Eine seiner Firmen belieferte jahrzehntelang exklusiv ein Kohlekraftwerk, womit er allein zwischen 2010 und 2020 insgesamt 5,6 Millionen Dollar Profit machte.
Am Ende ließ sich Manchin zwar erweichen, stopfte jedoch zugleich konservative Interessen ins historische Klimapaket der Demokraten: Steuerentlastungen für Reiche blieben, weitere staatliche Gebiete werden zur Ausbeutung fossiler Energieträger ausgeschrieben. Beschäftigte der Kohleindustrie werden dabei unterstützt, im neuen Energiesektor Fuß zu fassen. Die Umweltorganisation Sunrise Movement, ohne deren Wahlkampf 2020 Biden wohl nicht im Weißen Haus säße, nannte Manchin zuletzt einen "Kohlebaron".
Abgeschlagen in Umfragen
Nachdem der dem Gesetzespaket im August 2022 seine Zustimmung gegeben hatte, fing er selbst an, es kritisch zu kommentieren. Im August sagte der Senator, er werde nun einen "unnachgiebigen Kampf gegen die Anstrengungen der Biden-Regierung führen, das Gesetz als radikale Klima-Agenda umzusetzen". Er unterstrich, dass durch das historische Gesetzespaket – und seinetwegen - auch der fossile Energiesektor wachse. Doch nach der Verabschiedung nahm die Beliebtheit des Senators in seinem Bundesstaat ab. In Umfragen lag Manchin fast schon abgeschlagen hinter Jim Justice, zuletzt 13 Prozent. Er hätte bei der Wahl im kommenden Jahr also kaum Chancen gehabt.
Laut US-Medien könnte Manchin stattdessen erwägen, als Präsidentschaftskandidat anzutreten, etwa für die "No Label"-Zentristen um den gemäßigten Republikaner Larry Hogan. Die wollen jene Wähler anlocken, die sich weder mit Biden noch den republikanischen Bewerbern anfreunden wollen. Eine deutliche Mehrheit der US-Amerikaner bewertete in einer Umfrage im Juni die fehlende Fähigkeit zur Zusammenarbeit von Demokraten und Republikaner als "sehr großes Problem" des Landes. Sowohl Republikaner als auch Demokraten würden 2024 laut Umfragen gerne einen anderen Kandidaten ihrer Partei sehen als Trump und Biden.
Manchins Ankündigung, eine potenzielle politische Mitte im Land auszuloten, gibt den Gerüchten um eine Kandidatur weitere Nahrung. Es käme zu einem historischen Vierkampf um die US-Präsidentschaft. Auch der linke Intellektuelle Cornel West tritt an. Das allein schon besorgt die Demokraten. In hart umkämpften Bundesstaaten könnte West ihnen alles entscheidende Stimmen von links abjagen – und sollte Manchin dazu kommen, möglicherweise weitere von Wechselwählern oder Anti-Trump-Republikanern.
Bidens Wahlchancen sind laut Umfragen ohnehin schon überaus wacklig. In fünf der sechs besonders umkämpften Bundesstaaten führt derzeit Trump in Umfragen gegen Biden. Manchins Grätsche kann der Präsident gar nicht gut gebrauchen.
Quelle: ntv.de