Politik

Reiseziel: Kims Reich "Die Regeln in Nordkorea sind sehr speziell"

Wer nicht mit der Staatsmacht aneckt, verlebt in Nordkorea eine relativ sichere Zeit.

Wer nicht mit der Staatsmacht aneckt, verlebt in Nordkorea eine relativ sichere Zeit.

(Foto: AP)

Reisen nach Nordkorea sind eine besondere Erfahrung: Kein Schritt ist ohne Aufpasser möglich. Sie versuchen, Touristen eine perfekte Welt vorzugaukeln. Nordkorea-Kenner Rüdiger Frank gibt in seinem Buch "Unterwegs in Nordkorea: Eine Gratwanderung" Tipps, wie Besucher trotzdem spannende Beobachtungen machen können, ohne mit dem Staat anzuecken.

Rüdiger Frank ist Ostasien-Experte der Universität Wien. Er reist seit fast drei Jahrzehnten regelmäßig nach Nordkorea.

Rüdiger Frank ist Ostasien-Experte der Universität Wien. Er reist seit fast drei Jahrzehnten regelmäßig nach Nordkorea.

(Foto: picture alliance / ---/Rüdiger F)

n-tv.de: Urlaub in Nordkorea - das klingt mindestens originell, wenn nicht sogar ein bisschen verrückt. Sind Reisen dorthin nicht gefährlich?

Rüdiger Frank: Ja und nein. Unter einem gewissen Aspekt sind sie sogar weniger gefährlich als in andere Länder. Man ist ständig unter Bewachung und in Begleitung. So muss man sich etwa nicht vor Überfällen und Diebstählen fürchten. Das Problem ist aber, dass es ein Staat ist, in dem es kein unabhängiges Rechtssystem gibt. Mit diesem Staat sollte man auf keinen Fall in Konflikt geraten.

So, wie es etwa Otto Warmbier ergangen ist, der dort ins Arbeitslager geschickt wurde, weil er angeblich ein Propaganda-Poster mitgehen ließ?

Das ist ein besonders tragischer Fall. Warmbier hat sich nicht sehr klug verhalten, aber das rechtfertigt die Verurteilung zu 15 Jahren nicht und schon gar nicht seinen Tod. Im echten Arbeitslager landen Ausländer aber üblicherweise nicht, und die meisten wurden auch nach einigen Monaten wieder freigelassen. Das verleitet zum Verharmlosen. Der Fall Warmbier war in dieser Hinsicht ein Weckruf.

Das klingt nicht gerade nach einem entspannten Reiseziel …

Entspannend ist eine Reise nach Nordkorea auf keinen Fall, eher aufregend und intensiv. Reisende brauchen eine vernünftige Begleitung und eine gute Vorbereitung, um die Regeln Nordkoreas zu kennen und diese nicht zu verletzen. Das gilt im Prinzip in jedem anderen Land der Welt auch. Nur sind die Regeln in Nordkorea sehr speziell.

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Welche sind die wichtigsten Regeln?

Stark vereinfacht: Die Führer sind tabu. Das System ist tabu. Religion ist tabu. Wer nach Nordkorea fährt, um sich eine Meinung zu bilden, der wird keine Probleme haben. Wer dorthin fährt, um diese Meinung aktiv zu kommunizieren, zu agitieren und zu kritisieren, der wird schnell Probleme bekommen.

Warum lohnt es sich dennoch, dorthin zu reisen?

Viele Leute reisen aus Gründen der politischen Bildung dorthin. Schön gemütlich zuhause im Sessel, da kann man sich schnell ein einfaches Bild machen. Doch wer wenigstens ansatzweise verstehen will, was da wirklich passiert, muss hinfahren. Am Ende kommt man mit mehr Fragen zurück als vor der Reise. Aber das ist ja genau der Fortschritt in der Erkenntnis, den man möchte.

Den Porträts der beiden ehemaligen Führer Nordkoreas, Kim Il-Sung und Kim Jong-Il, begegnet man überall - so wie hier in der Lobby eines Hotels.

Den Porträts der beiden ehemaligen Führer Nordkoreas, Kim Il-Sung und Kim Jong-Il, begegnet man überall - so wie hier in der Lobby eines Hotels.

(Foto: AP)

Sie bereisen das Land seit 1991. Wie hat sich Nordkorea gewandelt seit Ihrem ersten Besuch?

Nordkorea 1991 und 2018, das sind zwei komplett verschiedene Länder. Die wesentliche Veränderung ist, dass Geld dort wieder die gleiche Funktion hat, wie es sie im Rest der Welt ausübt. Wer genug davon hat, kann sich im Prinzip kaufen, was er möchte. Und dementsprechend ist das Leben vieler Menschen wie bei uns darauf ausgerichtet, möglichst viel davon zu erwerben. 1991 war das nicht der Fall. Da hat Geld genau gar nichts genützt, sondern es ging um den Zugang zu bestimmten Gütern. Und der war alleine auf politischem Wege zu erreichen. Dieser Unterschied hat tausende Auswirkungen auf das persönliche Leben der Menschen, auf das Miteinander und die Organisation des Staates.

Sie geben viele praktische Hinweise in Ihrem Buch. Einer davon ist: Schließen Sie sich einer Reisegruppe an! Warum?

Reisende haben in Nordkorea immer zwei Begleiter, auch wenn sie nur allein unterwegs sind. Einzelreisende werden maximal überwacht. Bei einer Gruppe verteilt sich die Aufmerksamkeit der Begleiter. Zudem begegnet man in Nordkorea vielen Dingen, die man nicht versteht und die einen verstören, und über die man sich gerne mit anderen austauschen möchte. Acht oder zehn Augen sehen auch immer mehr als zwei. Mitreisende können einen auf Dinge hinweisen, die man vielleicht übersehen hätte. In Nordkorea wird man überflutet mit neuen Eindrücken, die man niemals allein wahrnehmen oder verarbeiten kann.

Auch wenn das Regime das "schöne Nordkorea" zeigen will, gewinnen Besucher einen Eindruck von den Lebensbedingungen der Menschen.

Auch wenn das Regime das "schöne Nordkorea" zeigen will, gewinnen Besucher einen Eindruck von den Lebensbedingungen der Menschen.

(Foto: AP)

Ist es überhaupt möglich, ein authentisches Bild von Land und vor allen Dingen Leuten zu bekommen angesichts der Begleitung durch die Aufpasser?

Alles, was sie dort sehen, ist auf seine Art authentisch und gleichzeitig Teil einer Inszenierung. Die Realität ist komplex. Es wird natürlich versucht, einem etwas vorzumachen. Aber genau das ist ja auch spannend - zu erkennen, was sie wollen, dass ich sehe. Und wir sind ja nicht dumm und haben unsere eigenen Augen im Kopf. Und wenn man jemanden dabei hat, der einem erklärt, worauf man vielleicht auch noch achten sollte - nicht nur auf das nächste Monument, sondern vielleicht auch auf die geänderte Propaganda-Losung um die Ecke - dann sieht man doch eine ganze Menge. Nicht alles, aber jedenfalls viel mehr, als wenn man überhaupt nicht hinfahren würde.

Sind Reisen in ein autoritäres System moralisch vertretbar?

Ich widme dieser Frage ein ganzes Kapitel. Es ist eine persönliche Entscheidung, wie Sie die Auswirkungen gewichten, die eine solche Reise hat. Einerseits bringt es Geld für das Regime - man weiß nicht so ganz genau, wofür das verwendet wird, aber man hat ja da so seine Vermutungen. Und es gibt dem Regime Prestige. Ausländer, die sich vor einer Statue der Führer verneigen, können propagandistisch ausgeschlachtet werden. Andererseits fördern Sie mit dem Geld, das Sie nach Nordkorea bringen, die Marktwirtschaft, die der Gegenpol ist zur Kontrolle durch den Staat. Und nicht zu vergessen ist, dass wir die einzigen Westler sind, die viele Nordkoreaner jemals zu sehen bekommen.

Was kann das bewirken?

Wenn wir nicht hinfahren, haben sie vom Ausland nur das Bild, das ihnen über die Staatsmedien vermittelt wird. Ich denke immer an meine Erfahrungen als Leipziger vor der Wende. Zwei Mal im Jahr hatten wir Hunderte von Besuchern aus der westlichen Welt zu Gast. Das war spannend zu sehen - der Wohlstand, vor allem aber das Selbstbewusstsein und das Auftreten dieser Leute. Ich glaube, dass diese Erfahrungen dazu beigetragen haben, dass wir 1989 die friedliche Revolution in der DDR hatten. Es ist sicher kein Zufall, dass die wichtigsten Demonstrationen in Leipzig und Berlin waren. Das waren die beiden Städte mit den meisten westlichen Besuchern. Wer nach Nordkorea reist, trägt auch dort zu einem solchen Effekt bei.

Mit Rüdiger Frank sprach Johannes Graf

Quelle: ntv.de

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