Politik

Bolivien Die Rückkehr der Bibel

Indigene Abgeordnete von Morales' Partei MAS im Kongress von La Paz

Indigene Abgeordnete von Morales' Partei MAS im Kongress von La Paz

(Foto: REUTERS)

Eine fragwürdige Wahl, gewaltsame Proteste auf den Straßen; die linke Ikone Evo Morales im November ins Exil geflohen, eine Interimspräsidentin von der Armee ins Amt gehoben. Linksorientierte Regierungen der Region werten die Vorgänge als Staatsstreich, andere nicht; Die Grenzen zwischen Putsch und verfassungsmäßigem Machttransfer sind in Bolivien undeutlich. Klar ist, dass Morales nach 14 Jahren sein autoritärer Führungsanspruch zum Verhängnis wurde. Nach und nach hatte er die demokratischen Spielregeln außer Kraft gesetzt, etwa gegen die Verfassung und ein Referendum gehandelt, als er zum vierten Mal in Folge zur Präsidentschaftswahl antrat.

Nach Wahlunregelmäßigkeiten formierte sich gegen den ersten indigenen Präsidenten des Kontinents Widerstand, vor allem im weiß geprägten Tiefland. Wochenlange Proteste legten das Land lahm. Teile der Polizei sowie der Armeechef entzogen Morales ihre Unterstützung, der Präsident floh erst nach Mexiko und dann über Kuba nach Argentinien.

Zum Verhängnis geworden war Morales, dass er linke Politik gepredigt hatte, aber zugleich Privatunternehmen immer mehr Freiheiten und Schürfrechte verlieh. Er verprellte damit Teile seiner Wählerbasis, die ihm Verrat an den linken Idealen vorwarfen. Zudem ist die Hälfte der bolivianischen Bevölkerung jünger als 30 Jahre, viele wollten einen Wandel. Weil Morales und seine Partei Movimiento al Socialismo (MAS) sich an die Macht klammerten, wurden sie nicht als fortschrittlich, sondern zunehmend als konservativ wahrgenommen.

Eines der neoandinen Bauwerke in El Alto, Bolivien.

Eines der neoandinen Bauwerke in El Alto, Bolivien.

(Foto: REUTERS)

Die historische Bedeutung von Morales' Präsidentschaft ist nicht zu unterschätzen: Bolivien ist zwar noch immer das Armenhaus des Kontinents, aber Morales hob dank permanenten Wirtschaftswachstums große Teile der Bevölkerung aus der Armut, laut Weltbank sank die Armutsrate in dessen Amtszeit von rund 60 auf 35 Prozent, zugleich stieg die Lebenserwartung um mehr als fünf auf 71 Jahre. Bolivien gilt als eines der Länder mit den größten Lithiumvorkommen der Welt; ein Rohstoff, der für den Globalen Norden wegen Autobatterieproduktion von elementarer Bedeutung ist.

Rund 40 Prozent der bolivianischen Bevölkerung sehen sich selbst als indigen, und mit ihnen entstand unter Morales eine neue Mittelschicht. Dies ist etwa in der Hochlandmetropole El Alto sichtbar, wo die auffälligen neoandinen Bauwerke des aymarischen Architekten Freddy Mamani stehen. Die derzeit regierende Interimspräsidentin Jeanine Áñez gehört hingegen zur alten, weißen, christlichen Elite und zog mit einer Bibel in den Präsidentenpalast. Laut Verfassung hat sie 90 Tage, also bis Februar 2020, um Neuwahlen anzusetzen.

(Stand: 15. Dezember 2019)

Für mehr Informationen zu einzelnen Ländern klicken sie auf die Karte und den entsprechenden Link in der Infobox. Dort finden Sie für die aufgeführten Länder ein ausführliches Porträt des Jahres 2019.

Quelle: ntv.de

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