Auf einen Fleischkäs' in Calw "Du kannst Deutschland nicht einzäunen"
21.06.2017, 11:12 Uhr
Mirko in der Calwer Fußgängerzone: Der Gitarrenverkäufer mag die Stadt, aber "hier ist nicht allzuviel los."
(Foto: Julian Vetten)
Der Nordschwarzwald ist ein Musterbeispiel für politische Toleranz: Hier können ein linksalternativer Gitarrenhändler und ein strammer AfD-Wähler mit steilen Thesen in aller Ruhe über Politik diskutieren, ohne sich gegenseitig zu zerfleischen.
In Deutschland leben mehr als 82 Millionen Menschen - und doch kommen viel zu oft nur die üblichen Verdächtigen oder die mit den lautesten Parolen zu Wort. Um das zu ändern, reisen wir bis zur Bundestagswahl am 24. September durch Deutschland und bitten Menschen um ihre Meinung, die sonst damit hinter dem Berg halten würden. Die Artikel erscheinen immer mittwochs. Diese Woche sind wir zu Gast im Nordschwarzwald.
Fußgängerzonen sind ein zweischneidiges Schwert. Klar, die Idee von der verkehrsberuhigten Flaniermeile im Herzen der Stadt hat was, aber die meisten Exemplare sind dann doch entweder hoffnungslos überfüllt oder auf traurige Weise entvölkert. Calws Fußgängerzone ist dagegen der Traum jedes Städteplaners, hier geht die Formel exakt auf: Einheimische und Touristen schlendern an den Geschäften vorbei, genießen einen Kaffee in der warmen Mittagssonne und tauschen den neuesten Klatsch und Tratsch aus. Ab und an findet dann auch mal ein ungleiches Pärchen zusammen, um über Politik zu reden - so wie Mirko und der Mann mit dem roten Käppi, die vor der örtlichen Metzgerei gerade einen Fleischkäs' zum Mittag gegessen haben.

Würde die Offenheit der politischen Diskussion wahrscheinlich begrüßen: Herrmann Hesse, der in Calw geboren wurde - und der hier auch mit einem Denkmal verewigt wurde.
(Foto: Imago)
"Ich bin gegen die zunehmende Islamisierung und all die Flüchtlinge", sagt der Mützenträger, der zwar offen seine Meinung sagt, aber um seinen Namen ein Geheimnis macht. "Deshalb wähle ich keine von den alten Parteien, sondern die, die sich traut, die Wahrheit zu sagen", schiebt Käppi hinterher. Sein Gesprächspartner denkt kurz nach und entscheidet sich dann für eine diplomatische Antwort: "Klar, in der Flüchtlingspolitik ist nicht alles ganz reibungslos gelaufen. Aber das Problem ist doch, dass man mit der AfD fünfzig Jahre in der Politik zurückgeht." Nach einer kurzen Pause fügt Mirko hinzu: "Vielleicht sogar siebzig, wenn man ganz ehrlich ist."
Der Gitarrenverkäufer mit dem halblangen weißblonden Haar und den fröhlichen Augen setzt zu einer Erklärung an: "In den nächsten Jahren werden viele Leute ihre Jobs durch die Digitalisierung verlieren. Daran wird aber auch die AfD nichts ändern, da mag sie noch so viel mit Versprechen um sich werfen - und das ist auch das Einzige, was sie bislang getan hat."
Ein RFID-Chip für jeden Flüchtling?
Just in diesem Moment kommt eine junge Frau in einem Sommerkleidchen vorbei. Ihr dunkler Teint verrät, dass ihre Wurzeln nicht im Schwarzwald liegen. Käppi scheint sie trotzdem zu kennen. "Was für ein schöner heißer Tag, da kann man schon mal Bein zeigen", ruft er ihr nach, erhält allerdings keine Reaktion. Dann leert er mit einem letzten, tiefen Schluck die rote Bierdose, die vor ihm auf dem Plastiktischchen steht, und steht auf: "Ich muss dann auch mal los. Aber zwei Dinge noch: Man sollte jedem Flüchtling einen RFID-Chip unter die Haut pflanzen, dann weiß man immer, wo die sind. Und eine Frau als Verteidigungsministerin, das geht gar nicht - dafür werden wir im Ausland doch ausgelacht." Sagt es, stapft los und wird wenige Sekunden später von einer der vielen Seitengassen verschluckt, die von der Fußgängerzone Richtung Bergstadt abzweigen.
Mirko braucht einen Moment, um sich wieder zu sammeln. Käppis Abgang ist ihm sichtlich unangenehm, aber er kann seine Position auch nachvollziehen. So ist das eben in kleinen Städten wie Calw: Es gibt schlicht nicht genug Mitmenschen, um wie in den Metropolen in der eigenen Filterblase zu verschwinden. Hier kennt jeder jeden - und im besten Fall merkt man schnell, dass die politische Meinung nur bedingt mit dem Menschen zu tun hat, der dahintersteckt.
Wenn man Mirko fragt, ist es vor allem Unsicherheit, die seinen Bekannten antreibt: "Viele Menschen haben Angst vor dem Fremden. Und in Calw ist es eben so, dass wir einen ziemlich hohen Ausländeranteil haben." Tatsächlich besitzen knapp 20 Prozent der rund 23.000 Calwer keinen deutschen Pass, der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund ist entsprechend noch höher. Trotzdem müsse man sich dem Neuen öffnen, ist Mirko überzeugt: "Du kannst Deutschland ja nicht einzäunen."
Außerdem helfe ein Blick in die Vergangenheit: "Heute ist vieles besser als früher, auch wenn die Menschen oft das Gegenteil behaupten: Vor fünfzig Jahren waren unsere Flüsse verseucht und die Gleichberechtigung steckte noch in den Kinderschuhen." Was sich noch ändern sollte? "Wir brauchen eine Steuer auf Finanztransaktionen und gute Ideen, wie wir die Armut bekämpfen." Dann muss auch Mirko los, den Laden aufsperren: "Die Gitarren verkaufen sich ja auch nicht von alleine."
Quelle: ntv.de