Politik

FDP-Schatzmeister über Rückzug"Ich mache mir Sorgen um die Zukunft unseres Landes"

25.04.2022, 10:39 Uhr (aktualisiert)
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Christ bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages. (Foto: imago images/Mike Schmidt)

Der Unternehmer Harald Christ war anderthalb Jahre Schatzmeister der FDP. Jetzt gibt er den Posten ab. Warum, erklärt er im Gespräch mit ntv.

Der Unternehmer Harald Christ war anderthalb Jahre Schatzmeister der FDP. Jetzt gibt er den Posten ab. Warum, erklärt er im Gespräch mit ntv.

ntv.de: Herr Christ, Sie werfen als Bundesschatzmeister der FDP hin. Was ist der Grund? Die FDP-Performance innerhalb der Bundesregierung?

Harald Christ: Ich übergebe das Amt des Bundesschatzmeisters auf einem regulären Bundesparteitag geordnet an meinen Nachfolger. Es war von Anfang an das gemeinsame Verständnis zwischen Christian Lindner und mir, dass ich in erster Linie Unternehmer bin und die ehrenamtliche Rolle in einer Regierungspartei, die wir nun sind, eine neue Komplexität bedeutet, die ich so derzeit nicht weiter innehaben möchte. Ich habe diese Entscheidung selbst getroffen und sehe außerdem meine Aufgaben als erfüllt an. Die FDP ist wirtschaftlich gut aufgestellt und ich konnte in einer herausfordernden Phase meinen Beitrag leisten. Mit der Performance der FDP in der Bundesregierung bin ich im Großen und Ganzen zufrieden.

"Im Großen und Ganzen zufrieden" steht in einem Arbeitszeugnis für die Note „Mangelhaft“…

Mir steht es nicht zu, hier Noten zu vergeben und ich schreibe auch kein Arbeitszeugnis - aber im Klartext: Zufrieden ist bei mir eine positive Würdigung der Performance nach gerade einmal vier Monaten und allen Herausforderungen, die aktuell die Tagesordnung bestimmen.

Der Doppelbelastung aus Job in der Privatwirtschaft und der Politik stellten Sie sich 35 Jahre lang. Warum ausgerechnet jetzt nicht mehr?

Weil sich zunehmend die Verhältnismäßigkeit geändert hat. Die Rolle als Bundesschatzmeister ist sehr zeitintensiv und komplex in einer Regierungspartei. Hinzu kommt, dass die öffentliche und mediale Bewertung für dieses Amt zunehmend für einen nicht-Berufspolitiker es nahezu unmöglich macht, dieses Ehrenamt auszuführen.

Geht es genauer?

Es wird nicht differenziert. Es handelt sich ja nicht um eine exekutive Rolle in Regierungsverantwortung. Die Aufgabe wird nicht vergütet, sie ist auch kein Parlamentsmandat. Ich musste mich also entscheiden: Unternehmer sein oder im Ehrenamt politisch aktiv. Ich habe mich für den Unternehmer entschieden - ich trage Verantwortung für mehrere Unternehmen und das bedeutet vielfältige Verantwortung. Unabhängig davon ist Deutschland und sind die politischen Parteien auf keinen guten Weg, wenn sie überwiegend die klassischen politischen Berufskarrieren fördern. Auch wenn ich das nicht als qualitative Bewertung für diejenigen verstanden haben möchte, die als Berufspolitiker von der Uni ab einen anständigen Job machen.

Was müsste geschehen, damit Sie sich noch einmal politisch engagieren?

Das habe ich nicht vor. Sozusagen war es das! Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich mit jetzt 50 Jahren natürlich nichts gänzlich ausschließen will und kann. Ich fordere ja immer von Unternehmern und Managern ein, sich stärker einzubringen. Für unsere Gesellschaft bleibe ich aktiv, werde weiter Bücher und Beiträge schreiben. Mache meine Vorträge. Lade weiter zu meinem Berliner Salon ein und bringe spannende Menschen zusammen. Ich halte weiter meine Vorlesungen an zwei Hochschulen und habe mehr Zeit, mich um meine Stiftung für "Demokratie und Vielfalt" zu kümmern, die einmal mein gesamtes Vermögen übertragen bekommt. Es gibt also vielfältige Möglichkeiten, dem Land zu dienen und etwas Sinnvolles zu unternehmen. Ohne, dass ich mich dafür rechtfertigen muss, als Arbeiterkind geboren, heute zu den wenigen privilegierten, sehr Vermögenden in unserem Land zu zählen. In meinem Leben kommen immer neue Herausforderungen und nachdem bekannt geworden ist, dass ich mich politisch rausnehme, ist das Interesse groß. Wir werden sehen. Unternehmer bin ich und bleibe ich!

Was sind die größten Herausforderungen für die deutsche Wirtschaft in diesen Zeiten?

Ich mache mir Sorgen um die Zukunft unseres Landes. Ich habe dazu kürzlich mein Buch veröffentlicht mit dem Titel "Zukunftsfest". Es geht darum, die Herausforderungen der 20er-Jahre zu nutzen, weil wir uns Stillstand nicht länger leisten können. Corona und der schreckliche Krieg in der Ukraine, ausgelöst durch den schändlichen russischen Angriff, zeigen wie durch ein Brennglas, was in den letzten Jahren versäumt worden ist. Sei es in der Energiepolitik, der Digitalisierung und Infrastruktur, bei Lieferketten, in der Bildung, Hochschule und Forschung. Es wird zu viel politisch reagiert, bis sich was ändert - wir sollten aber mehr agieren. Ich könnte die Liste noch lange fortsetzen. Als optimistischer Mensch wünsche ich mir von der jetzigen Ampelkoalition in unser aller Interessen viele der Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Gut, dass die FDP Teil der Regierung ist.

Was wünschen Sie sich in diesem Zusammenhang von der Bundesregierung? Was muss die Politik besser machen als bislang?

Wie schon gesagt - mehr agieren, anstatt zu oft nur reagieren. Offener sein für Expertise von außen. Es geht am Ende weniger darum, wer was macht, sondern dass die, die etwas machen, auch in der Lage sind, es umsetzen zu können. Wir erleben sehr herausfordernde Zeiten und niemand kann wirklich sagen, was noch alles auf uns zukommt. Nur eines ist klar - es braucht Leadership und sehr viel Erfahrung - nennen wir es Exzellenz. Nur so wird unser Land führend bleiben in einem immer komplexeren globalen Umfeld. Das war es auch an persönlicher politischer Bewertung. Für mich beginnt nun eine neue Zeit!

Mit Harald Christ sprach Ulrich Reitz

(Dieser Artikel wurde am Samstag, 23. April 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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