Politik

Das Virus und der 8. Mai Gedenken im Corona-Notmodus

Vor dem Reichstagsgebäude war ursprünglich ein Staatsakt geplant.

Vor dem Reichstagsgebäude war ursprünglich ein Staatsakt geplant.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Planungen laufen seit Monaten. Mit einem Staatsakt soll des Kriegsendes gedacht werden. Doch wegen des Coronavirus wird vielfach Stille herrschen. Die Linke dringt nun im Bundestag auf einen Ausweichtermin - bislang ohne Erfolg. Dafür sorgt das Virus in einer heiklen Frage für Aufschub.

Das Coronavirus nimmt auf Jahrestage keine Rücksicht - und so wird in diesem Jahr nur in einer Art Not-Betrieb des Endes des Zweiten Weltkrieges gedacht. Die gefährliche Lungenkrankheit hat monatelange Planungen kurzerhand zunichte gemacht. Ein Staatsakt, zahlreiche Ausstellungen und Open-Air-Veranstaltungen, ein Jugendaustausch und Israel-Reisen - abgesagt oder zusammengestrichen. Doch es regt sich Unbehagen. Immerhin, die Krise verschafft der Bundesregierung Luft, in einer anderen heiklen Frage rund um den Jahrestag.

Noch vor fünf Jahren, zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, hatte der Historiker Heinrich August Winkler im Bundestag gesprochen. 1995 trat der damalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski ans Rednerpult und 1985 hielt der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Bundestag seine inzwischen historische Rede im Parlament.

In diesem Jahr aber findet die offizielle Gedenkzeremonie in deutlich abgespeckter Form gut eineinhalb Kilometer weiter östlich statt. In der Neuen Wache werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie die Präsidenten von Bundestag, Wolfgang Schäuble, von Bundesrat, Dietmar Woidke, und Bundesverfassungsgericht, Andreas Voßkuhle, Kränze niederlegen. Im Anschluss wird Steinmeier in der Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft sprechen. Wegen der strengen Hygieneauflagen sind die Spitzen der Verfassungsorgane unter sich.

Ursprünglich sollte bei einem Staatsakt vor dem Reichstagsgebäude des Kriegsendes gedacht werden. Anschließend stand ein Empfang im Paul-Löbe-Haus auf dem Programm. Zudem war eine internationale Jugendbegegnung geplant. Doch das Coronavirus durchkreuzte alle Vorhaben. Die Politik fuhr sich und das Land in den Notbetrieb herunter. Und auch wenn inzwischen die Rückkehr in eine Art Normalbetrieb deutlich an Fahrt gewinnt - öffentlich gedacht wird des Kriegsendes weiter nur in kleinem Format.

"Eigentlich nicht hinnehmbar"

Auch im Bundestag wird Stille herrschen. Das Plenum bleibt leer - nach zuvor zwei Tagen regulärer Sitzung im Corona-Modus. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte, sagt, er habe Verständnis dafür, dass der Staatsakt abgesagt wurde. Dass es im Bundestag aber keine Veranstaltung gebe, sei "eigentlich nicht hinnehmbar".

Korte dringt auf einen Ausweichtermin für ein würdiges Gedenken im Bundestag.

Korte dringt auf einen Ausweichtermin für ein würdiges Gedenken im Bundestag.

(Foto: picture alliance/dpa)

Sowohl im Ältestenrat und als auch in der Runde mit seinen Amtskollegen habe er vorgeschlagen, im Bundestag wenigstens in kleiner Runde zu gedenken. Immerhin sei der 75. Jahrestag ein "herausgehobenes Datum", sagt Korte ntv.de. Seine Anregungen "wurden aber leider nicht aufgenommen" - in beiden Runden nicht. Eine offizielle Antwort habe er nicht erhalten. Manche sagten, die Tagesordnung sei zu voll.


"Wir als Grüne Fraktion hätten eine eigene Gedenkveranstaltung im Bundestag wichtig gefunden. Leider konnte man diese angesichts der Corona-Pandemie nicht möglich machen", sagt Bundestagsvize Claudia Roth ntv.de. Zugleich verweist sie darauf, dass sich die Fraktionen nach der Absage des Staatsakts auf eine Würdigung des Gedenktags "durch den Bundespräsidenten mit Vertreterinnen und Vertretern der Verfassungsorgane in kleinem Rahmen" verständigt hätten. Gleichwohl "bedauern wir, dass es nicht möglich war, trotz der Corona-Schutzmaßnahmen ein anderes Format zu finden, um dem wichtigen Datum gerecht zu werden", sagt Roth weiter. Der Bundestag habe im Übrigen sitzungsfrei, weil der 8. Mai in Berlin ein einmaliger Feiertag ist. Aus der SPD-Fraktion heißt es, man sei nicht der Veranstalter. Gleichwohl gebe es wohl Initiativen für andere Gedenkformen.

Allein der Brandenburger Landtag gedenkt

Wie es anders gehen kann, zeigt derweil Brandenburg. In Potsdam ist der Landtag heute zu einer Sondersitzung anlässlich des Kriegsendes zusammengekommen. Es ist zugleich die einzige offizielle Gedenkstunde in einem Landesparlament. Morgen wird Ministerpräsident Dietmar Woidke als Bundesratspräsident zu den wenigen Politikern in Berlins Neuer Wache gehören.

In drei weiteren Ländern immerhin tagen am 8. Mai die Landesparlamente. In Thüringen wird Regierungschef Bodo Ramelow in einer Sondersitzung eine Regierungserklärung abgeben - mit dem Schwerpunkt Corona. "Es ist keine Gedenkveranstaltung zum 8. Mai, sondern eine Regierungserklärung am 8. Mai", sagt ein Regierungssprecher. Der Linke-Ministerpräsident werde dabei kurz Bezug auf das Datum nehmen. Auch in Sachsen-Anhalt, und in Schleswig-Holstein tagen die Volksvertretungen. Nirgends aber steht ein Gedenken an das Kriegsende als eigener Punkt auf der Tagesordnung. Möglich, dass die Parlamentspräsidenten zumindest zur Eröffnung ein paar Worte finden.

Wer fährt wann nach Moskau?

Und außerhalb Deutschlands? "Außerordentlich" bedaure er die Debatte, wer zu den Feierlichkeiten in die russische Hauptstadt Moskau reise, sagt Korte. Eine Teilnahme wäre "sinnvoll gewesen, trotz aller berechtigter Kritik" am Agieren Russlands. In dem Land gebe es keine Familie, die keine Opfer im Zweiten Weltkrieg zu beklagen habe. Es müsste eigentlich eine "Selbstverständlichkeit sein, dass die Kanzlerin ihre Teilnahme an den Feierlichkeiten" erkläre, sagt er weiter.

Der Rote Platz in der russischen Hauptstadt ist wegen der Corona-Pandemie menschenleer.

Der Rote Platz in der russischen Hauptstadt ist wegen der Corona-Pandemie menschenleer.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Bundesregierung hat sich dazu bislang nicht geäußert. 2015 war Merkel der traditionellen Weltkriegsgedenkfeier in Moskau ferngeblieben. Angesichts der Entwicklung in der Ukraine sei es für die Bundeskanzlerin unmöglich, am 9. Mai an der traditionellen Militärparade Russlands auf dem Roten Platz teilzunehmen, hatte es damals geheißen. Immerhin, einen Tag später legten sie und Präsident Wladimir Putin in Moskau einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten nieder. An der geopolitischen Gemengelage hat sich seitdem nichts geändert. Der Ukraine-Konflikt ist weiter ungelöst und die Halbinsel Krim annektiert. Das Coronavirus verschafft nun allen Zeit, in diesem Jahr vielleicht eine neue kreative Lösung zu suchen.

Denn Moskau hat unter nationalen Schmerzen die traditionelle und symbolträchtige Militär-Parade zum Ende des Großen Vaterländischen Krieges gestrichen. "Das Datum 9. Mai ist für uns heilig, aber auch das Leben jedes Menschen ist heilig", hatte Putin Mitte April gesagt. Die Parade soll noch in diesem Jahr nachgeholt werden. Wahrscheinlich ist nun der 3. September. Auf diesen Tag hat Putin jüngst das Ende des Zweiten Weltkriegs datiert - ein Tag später als bislang festgelegt.

Zum ursprünglichen Termin hatte die russische Regierung Gäste aus vielen Ländern eingeladen, darunter eben auch Merkel, Steinmeier und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. US-Präsident Donald Trump hatte bereits abgesagt. Zur Entscheidung Berlins hinsichtlich einer Teilnahme teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken lediglich mit, dass die Russische Föderation die Verschiebung des Termins erklärt habe.

Ausweg Internet

Doch nicht nur der Staatsakt ist in Deutschland dem Coronavirus zum Opfer gefallen. In ihrer Antwort an die Linke listet Kulturstaatsministerin Monika Grütters etliche Veranstaltungen auf, die abgesagt wurden. Etwa ein Jugendaustausch mit mehr als 500 Teilnehmern, der nun eventuell im kommenden Jahr nachgeholt werden wird, und mehrere Studienreisen nach Israel.

Zudem können etliche Veranstaltungen nicht in ihrer ursprünglich geplanten Form stattfinden. Das Deutsch-Russische Museum in Berlin-Karlshorst etwa kann seine Sonderausstellung nur online präsentieren. Hier wurde in der Nacht vom 8. auf dem 9 Mai die bedingungslose Kapitulation besiegelt.

Rund um das Brandenburger Tor sollte mit einer großen Feier an das Kriegsende erinnert werden. Geplant war zudem eine große Open-Air-Ausstellung rund um das Tor sowie am Reichstag. Insgesamt wurden über mehrere Tage rund 100.000 Besucher erwartet, wie Moritz von Dülmen, Geschäftsführer der Kulturprojekte Berlin GmbH, jüngst im RBB sagte. Nun gebe es alles online - auch den Stadtspaziergang. "Es ist jetzt ein digitales Projekt", das zeigen soll, was im Mai 1945 in Berlin, Deutschland und in Europa passierte. Neben dem Erinnern geht es den Machern aber auch ums Mahnen. Am Anfang standen "demokratische Wahlen. Demokratie heißt auch Verantwortung", sagt von Dülmen.

Linke-Bundespolitiker Korte plädiert derweil mit Blick auf den Bundestag eindringlich für ein Nachholen der Gedenkveranstaltung und schlägt dafür zur Not einen Termin nach der Sommerpause vor. Dies wäre ein "zwingendes Zeichen", auf das er in einer interfraktionellen Initiative dringen werde. Zudem fordert er, "endlich dahin zu kommen, einen zentralen Gedenkort für die Opfer des NS-Vernichtungskrieges in Osteuropa zu errichten", sowie den 8. Mai zu einem bundeseinheitlichen Feiertag zu machen.

Quelle: ntv.de

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