Netanjahus "Putschversuch" Geht's noch, Bibi?
22.11.2019, 17:56 Uhr
Unterstützer des israelischen Premiers skandierten am Donnerstag: "Wir sind alle Netanjahu".
(Foto: REUTERS)
Israels Premier Netanjahu - nicht nur klebt er an seinem Posten und macht Israel unregierbar in der Hoffnung, sich vor einer Verurteilung wegen Korruption zu schützen. Nun unterstellt er auch noch der Justiz, einen Putsch zu betreiben. Das ist selbstherrlich und verantwortungslos.
Bestechlichkeit, Betrug, Untreue - so lauten die Vorwürfe, wegen derer Benjamin Netanjahu vor Gericht muss. Wird er im ersten Punkt schuldig gesprochen, so drohen Israels Premier zehn Jahre Haft, für Betrug gibt es maximal drei Jahre. Die mögliche Anklage stand seit Monaten im Raum, hinderte Netanjahu jedoch nicht daran, seinen Likud-Block in zwei Wahlen zu führen. Er bestand darauf, weiter Ministerpräsident zu bleiben. Auch wenn das bedeutete, dass keine Regierung zustande kommen konnte. Der mögliche Koalitionspartner "Blau-Weiß", derzeit stärkste Kraft in Israel, akzeptierte keinen Ministerpräsidenten, der womöglich bald abwechselnd auf der Regierungs- und dann wieder auf der Anklagebank sitzen würde. Nach zwei gescheiterten Regierungsbildungen steuert Israel gerade auf die dritte Wahl zu.
Als wäre das nicht schon Schaden genug, den der amtierende Ministerpräsident seinem Land und dem Vertrauen seiner Bürger in die politische Führung zufügt. Am Donnerstag setzte "Bibi" Netanjahu noch einen drauf. Nach der Mitteilung des Generalstaatsanwalts, er habe "schweren Herzens, aber auch mit ganzem Herzen" gegen Netanjahu Anklage erhoben, erklärte der Premier die Anklage zum Putschversuch. Zeugen seien erpresst, Beweise erfunden worden. Man müsse gegen die Ermittler ermitteln, denn Israel sei kein "glaubwürdiger Rechtsstaat" mehr. "Sie waren nicht hinter der Wahrheit, sondern hinter mir her."
Wäre er nur Minister, müsste er zurücktreten
Da stellt sich ein Staatschef hin, diskreditiert die eigene Justiz und Polizei und ruft die Bevölkerung dazu auf, an seiner Seite gegen ihr Vorgehen zu rebellieren. Weil die Justiz es gewagt hat, aufgrund einer offenbar bedrückenden Beweislage, dreifache Anklage gegen ihn zu erheben. "Ich habe mein Leben für dieses Land gegeben, ich habe für dieses Land gekämpft, wurde verwundet", zählte der 70-jährige Netanjahu am Donnerstag auf. Mag alles sein. Aber nach zehn Jahren im Amt ist der Premier offensichtlich nur noch damit beschäftigt, den eigenen Kopf aus diversen Schlingen zu ziehen. Mit jedem Mittel, das verfügbar ist. Auch wenn es das Grundvertrauen der Israelis in ihren Staat, ihr Justizsystem und letztlich den nationalen Zusammenhalt gefährdet.
Oppositionsführer Benny Gantz rief den Regierungschef zum Rücktritt auf. Ein solcher Schritt kommt aber für Netanjahu nicht in Frage. "Ich werde den Staat weiter führen, im Einklang mit dem Gesetz", erklärte er, und tatsächlich ermöglicht die israelische Gesetzeslage ihm das Verharren im Amt. Wäre er nur Minister, dann müsste er zurücktreten. Wie sehr Netanjahu dem Ansehen seines Landes schadet, als in schwerwiegenden Vergehen angeklagter Ministerpräsident, scheint ihn nicht weiter zu beschäftigen.
Ehre und Verantwortung - nicht Bibis Kategorien
Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit sprach bei der öffentlichen Begründung seiner Entscheidung von einem "harten und traurigen" Tag für Israel. Strafverfolgung ließe keine Wahl. "Es ist keine Frage von Links oder Rechts. Es ist keine Frage der Politik." Für Netanjahu wäre es jetzt eine Frage der Ehre und der Verantwortung gewesen, die Unabhängigkeit der israelischen Strafverfolgung und Justiz anzuerkennen, gerne nochmals seine Unschuld zu beteuern, aber dann sein Amt als Ministerpräsident zur Verfügung zu stellen. Doch Ehre und Verantwortung sind offensichtlich nicht die Kategorien, an denen dieser Staatschef sein Verhalten misst. "Wir sind alle Netanjahu" skandierten seine Anhänger am Donnerstagabend vor seinem Amtssitz. Zum Glück nicht.
Quelle: ntv.de