Das ägyptische Militär sorgt vor Geschickt eingefädelt
15.06.2012, 11:54 Uhr
Das Militär hielt aufgebrachte Bürger davon ab, das Verfassungsgericht zu stürmen. Viele interpretieren dessen Entscheidungen vom Donnerstag als Quasi-Staatsstreich des Militärrates.
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Viel spricht für die Vermutung aufgebrachter Ägypter, der Militärrat habe sich mit einem Quasi-Staatsstreich die Macht im Land weiter gesichert. Denn mit der Auflösung des Parlaments wird die Rolle des Militärs als Übergangsregierung verlängert. Damit könnte es auch einen islamistischen Präsidenten in Schach halten.

Ahmad Schafik soll stürzen, fordert dieser Demonstrant.
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Von einem Staatsstreich sprechen die aufgebrachten Anhänger der islamistischen Parteien in Ägypten. Die ersten Wahlen nach dem Sturz von Autokrat Husni Mubarak hatte den Parteien der Muslimbrüder und der Salafisten - "Freiheit und Gerechtigkeit" und "Licht" - eine Zweidrittelmehrheit im Parlament beschert. Nun entschied das Verfassungsgericht in Kairo, ausgerechnet zwei Tage vor der Stichwahl um das Präsidentenamt, das Wahlgesetz sei in Teilen verfassungswidrig. Es geht dabei um eine Regelung, wonach auch parteilose Abgeordnete ins Parlament einziehen können. Die Konsequenz: Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Zeitpunkt: ungewiss.
Für nicht zwingend hielt das Gericht zugleich das Gesetz, wonach Politiker aus dem alten Regime nicht erneut hohe Ämter im Staat einnehmen dürfen. Es hätte eigentlich schon vor der ersten Runde der Präsidentenwahl vor drei Wochen dazu führen müssen, dass der ehemalige Mubarak-Minister Ahmad Schafik nicht hätte antreten dürfen. Auf andere Weggefährten des ehemaligen Machthabers wurde das Gesetz nämlich angewandt. Nun steht Schafik in der Stichwahl dem Muslimbruder Mohammed Mursi gegenüber, dem allerdings bessere Wahlchancen zugerechnet werden.
Militär hat sich die Macht gesichert

Seine Zeit sollte doch eigentlich vorbei sein. Jetzt fürchten die Ägypter, dass die Gefolgsleute von Mubarak erneut alle Macht an sich reißen.
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Doch wer in Ägypten glaubt jetzt noch an eine faire Wahl? Es spricht viel für die Diagnose der Anhänger der Islamisten, es handle sich um einen geschickt eingefädelten Staatsstreich des de facto immer noch regierenden Militärrates. Der sollte Ende des Monats endgültig die Macht an die dann mit gewähltem Parlament und gewähltem Präsident vollständige neue Staatsführung übergeben. Jetzt haben die Militärs sich ihre Rolle als "Übergangsregierung" erst einmal gesichert: Sie müssen wieder das nicht vorhandene Parlament ersetzen, das unter anderem für die Kontrolle des Präsidenten zuständig ist.
So ist vorgesorgt für jeden möglichen Ausgang der Präsidentenstichwahl an diesem Wochenende. Gewinnt Schafik, ist alle Macht im Staat wieder in den Händen derer, die schon zu Mubaraks Zeiten mit am Ruder saßen. Gewinnt Mursi, hat das Militär immer noch den Joker einer neuen Parlamentswahl in der Hand und regiert bis dahin weiter als übergangsmäßige Legislative. Die Variante, dass ein gewählter islamistischer Präsident ein islamistisch dominiertes Parlament hinter sich hat, ist jedenfalls fürs erste vom Tisch.
Erinnerungen an Algerien 1991
Der Militärrat hat allen Grund, einen islamistischen Präsidenten zu verhindern. Ein Präsident wie Schafik würde den Militärs ihre Privilegien und ihre große Macht im Staat gar nicht erst streitig machen. Es ist nicht so, dass Schafik im Volk nicht auch viele Anhänger hätte. Sollte er ohne Manipulation die Wahl gegen Mursi gewinnen, würden dessen Anhänger trotzdem auf die Barrikaden gehen, weil sie die Manipulation unterstellen würden.
Das Spiel des Militärrates könnte sich damit als ein sehr fahrlässiges erweisen. Bricht nun Chaos in Ägypten aus, wird er umso mehr gebraucht und kann sich als Schutzmacht aufspielen. Da kommt es gerade gelegen, dass das Militär nun doch wieder willkürlich Bürger verhaften darf, was mit der Aufhebung des Ausnahmezustandes Ende Mai eigentlich vorbei sein sollte. Wohlgemerkt: Die seit 1981 geltenden Ausnahmegesetze wurden nie aufgehoben.
So wird die ägyptische Bevölkerung gespalten, die doch zum allergrößten Teil eigentlich nur auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände hoffte. Euphorisch waren viele im Winter zur Parlaments- und jetzt zur Präsidentenwahl gegangen. Das Ergebnis ist ernüchternd. Die ersten Erinnerungen an Algerien 1991 werden wach. Damals hatten ebenfalls Islamisten die Parlamentswahl gewonnen. Sie wurde für ungültig erklärt; was folgte, war ein jahrelanger brutaler Bürgerkrieg.
Quelle: ntv.de