Knapper Sieg für Scholz/Geywitz Gewinner, die zittern müssen
26.10.2019, 21:11 Uhr
Den Sieg haben sie eingefahren, aber dass es so knapp würde, hat kaum jemand gedacht: Für die Favoriten Scholz und Geywitz wird das Rennen um den Parteivorsitz eng. Die Basis meint es mit der Erneuerung der SPD offenbar ernst und traut Scholz die Mammutaufgabe nicht zu.
Die SPD kann Duell: Nicht der erwartete Vorsprung für das Favoritenduo Scholz/Geywitz war heute das Ergebnis. Stattdessen könnten der Bundesfinanzminister und die Brandenburger SPD-Frau nun in die Defensive geraten. Mehr als die Hälfte der SPD-Mitglieder, die am ersten Wahlgang teilgenommen haben, entschieden sich für eines der vier unterlegenen Paare. Und die liegen gerade in ihrer Position zur Frage "Bleiben wir in der Großen Koalition?" näher bei den Gegnern Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
"Der ewige Kompromiss nimmt uns allen die Luft zum Atmen", schrieb die Bundestagsabgeordnete Esken während der Bewerbungsphase und unterstrich nun in Berlin, sie sehe "keine Chance", gemeinsam mit der Union "Strategien für Zukunftsfragen zu entwickeln". Ihr Partner Walter-Borjans will die Chancen der Groko noch einmal ausloten, sieht ihre Zukunft aber ebenfalls "sehr kritisch". Demgegenüber plädierten Olaf Scholz und seine Partnerin als einzige der sechs Kandidatenpaare immer wieder für eine Fortsetzung des Regierungsbündnisses. "Die SPD ist am besten in der Lage, Probleme zu lösen, wenn sie gestalten kann", sagte Klara Geywitz nachdem das Abstimmungsresultat feststand.
Zu dem knappen Ergebnis für das Favoritenteam - 22,7 Prozent für Scholz/Geywitz gegenüber 21 Prozent Prozent für Esken/Walter-Borjans haben die 23 Regionalkonferenzen stark beigetragen. Hier hatten "No Names" wie Saskia Esken oder Christina Kampmann Gelegenheit, sich auf der Bühne zu profilieren. Sie nutzten sie und zeigten, dass nicht nur diejenigen fähig wären, die Partei zu führen und zu vertreten, die auch in der Vergangenheit schon eine Rolle gespielt haben. Sie erhielten für frische Reden und authentisches Auftreten tosenden Applaus, wenn Olaf Scholz eher höflich beklatscht wurde.
Die Basis gibt Scholz die Schuld an der Misere der SPD
Wenn bei den Konferenzen als letzter Programmpunkt die Publikumsrunde startete, wurde oft deutlich: Die Basis macht Scholz als Vizekanzler mitverantwortlich – für die immer deutlichere Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland, für das mutlose Klimapaket, für die Misere der SPD. Wie jemand glaubwürdig seine Kandidatur erklären könne, "der uns in dieses Tal der Tränen geführt hat", fragte ein SPD-Mitglied beim ersten Kandidaten-Casting in Saarbrücken. Da konnte Scholz noch so oft erklären, er sei ja nicht von Beruf Finanzminister, sondern "Rechtsanwalt für Arbeits- und Sozialrecht" und ein "truly Sozialdemokrat". Die Wahrnehmung bei vielen an der Parteibasis ist offenbar eine andere.
Das könnte bedeuten, dass Scholz und Geywitz Mühe haben werden, die Unterstützer der vier Verlierer-Duos, die sich nun neu entscheiden müssen, auf ihre Seite zu ziehen. Wer vorher für die Groko-Gegner Lauterbach und Scheer gestimmt hat, wird jetzt nicht zwei Befürworter wählen. Wer vorher den Erneuerern Kampmann und Roth seine Stimme gab, wird jetzt nicht das Kreuz bei den Etablierten machen. Inhaltlich am nächsten an Scholz und Geywitz waren wohl Boris Pistorius und Petra Köpping, sie erreichten knapp 15 Prozent.
Es wird also im November ein echtes Duell werden zwischen den beiden Paaren "Pro-Groko" und "Kontra-Groko", denn die SPD-Basis meint es tatsächlich ernst mit ihrer Forderung, die Partei zu erneuern. Sie hat nicht bei der ersten Gelegenheit den sicheren Weg gewählt, denjenigen zum Chef zu machen, von dem man weiß, dass er es kann. Große Teile der Partei scheinen bereit, sich auf das Risiko eines Neuanfangs einzulassen.
Und auch wenn sich Olaf Scholz und Klara Geywitz am Ende durchsetzen sollten, werden sie gelernt haben, dass ein "Weiter so" von ihrer Partei nicht gewünscht ist. Das wiegt die mäßige Wahlbeteiligung auf - fast die Hälfte der SPD-Mitglieder befanden keines der sechs Kandidatenpaare für würdig, ihre Stimme zu erhalten. Die 53 Prozent, die mitwählten, haben dafür gesorgt, dass es bei der SPD - zumindest bis Ende November - spannend bleibt. Das Beste, was der Partei dieser Tage passieren kann.
Quelle: ntv.de