Warum Geheimdienste versagten Hamas-Terroristen bekamen erst am Morgen des Überfalls das Kommando
08.11.2023, 16:02 Uhr Artikel anhören
Durch Lücken im Zaun drangen die Hamas-Terroristen nach Israel ein.
(Foto: picture alliance / AA)
Eine der quälenden Fragen nach dem Massaker des 7. Oktober: Warum hat der israelische Geheimdienst nichts von dem Plan der Hamas-Terroristen mitbekommen? Ein Bericht zeichnet nun nach, wie es dazu gekommen ist. Nur wenige Hamas-Führer wussten Bescheid. Hunderte Terroristen wurden dagegen erst am Morgen des 7. Oktober zusammengerufen und in letzter Minute in die Pläne eingeweiht.
Einem Bericht des britischen "Guardian" zufolge wussten nur wenige Hamas-Terroristen vorab von den Angriffen des 7. Oktober. Eine Rekonstruktion der Ereignisse zeigt, dass die Hamas-Führung erst im Morgengrauen die Angreifer über die genauen Pläne für die Gräueltaten informiert hat.
Es ist der frühe Morgen des 7. Oktober: Mitglieder, die an regulären Trainingseinheiten der Hamas teilgenommen hatten, wurden angewiesen, sich nach dem Morgengebet um 5 Uhr mit allen verfügbaren Waffen und Munition an bestimmten Orten einzufinden. Wozu, wurde ihnen nicht gesagt.

Das Nova-Festival mit seinen 3000 Feiernden liegt plötzlich mitten im Kriegsgebiet.
(Foto: ntv.de Karten)
Die Anweisungen wurden hauptsächlich mündlich weitergetragen. Die Operation Al-Aqsa-Flut, die die größte in der Geschichte der Hamas werden sollte seit der Kontrollübernahme in Gaza 2007, war noch immer streng geheim.
Der Plan selbst wurde nur von einer Handvoll erfahrener Hamas-Führer geplant. Lange im Voraus, Monate, Jahre. Die Hamas-Führer wurden dabei wahrscheinlich aus dem Ausland unterstützt. Die Männer, die den perfiden Plan aber schließlich ausführten und mehr als 1400 israelische Babys, Kinder und Familien abschlachteten, wussten bis zur letzten Minute nichts von ihrem Auftrag.

Die Teilnehmer der Trance-Feier sind von marodierenden Hamas-Trupps umzingelt. An der Ausfahrt zur Straße Richtung Beeri und Sderot bildet sich schnell ein Stau. Kaum einer entkommt den mordenden Terroristen.
(Foto: © twitter.com, @OSINTtechnical)
Das jedenfalls legen die Informationen des "Guardian" nahe. Sie beruhen auf mehreren Quellen. Darunter Gespräche mit israelischen Geheimdienstmitarbeitern, Experten, Quellen mit direkter Kenntnis der Vernehmungsberichte von Hamas-Terroristen, die während der Anschläge gefangen genommen wurden, sowie von der Hamas und dem israelischen Militär freigegebenes Material.
Jede Einheit bekam eigenes Ziel
Die Entscheidung, den Tausenden Hamas-Terroristen, die unter den 2,3 Millionen Anwohnern über den ganzen Gazastreifen verteilt waren, nur mündliche Anweisungen zu erteilen, ist einer der Gründe, warum eines der besten Überwachungssysteme der Welt nichts von den Plänen der Terroristen mitbekam. Die Informationskette durch ganz Gaza verbreitet sich demnach so: Zuerst wurden die Kommandeure der "Bataillone" von hunderten Personen in den Plan eingeweiht. Anschließend wurden die Anführer von militärischen Zügen mit einer Mannstärke von 40 informiert, die wiederum den Truppenkommandeuren an der Spitze von einem Dutzend Bescheid gaben. Am Ende wussten dann auch Freunde und Familienmitglieder Bescheid.
Als die Männer sich schließlich mit ihren Waffen versammelt hatten, wurden zusätzliche Munition und stärkere Waffen verteilt. Ausgestattet mit Hand- und Raketengranaten, schweren Maschinen- und Scharfschützengewehren und Sprengstoff wurden dann um 6 Uhr morgens die letzten Befehle erteilt. Diese wurden auch verschriftlicht: Die Terroristen sollten durch Lücken des eine Milliarde Dollar teuren Zauns stürmen und Zivilisten und Soldaten auf der anderen Seite angreifen. Jeder Einheit wurde dabei ein eigenes Ziel zugewiesen. Eine Militärbasis, ein Kibbuz oder eine Stadt. Das Musikfestival, bei dem 260 Menschen starben, gehörte laut "Guardian" vermutlich nicht zu den ursprünglichen Zielen.
Auch wenn die Angaben nur schwer zu überprüfen sind, haben unabhängige und angesehene Hamas-Experten sie als durchaus plausibel bezeichnet. Es erklärt zudem das Versagen der israelischen Sicherheitskräfte, das den Tod von mehr als 1400 Landsleuten und 240 Geiseln nicht zu verhindern vermochte.
Israel nimmt an, dass den Hamas-Einheiten ein präziser Plan vorgelegt wurde, der von zwei Männern ausgearbeitet wurde: Yahya Sinwarder, Oberbefehlshaber der Hamas in der Enklave, und Mohammed Deif, der Kommandeur der militärischen Gruppe der Hamas.
Planung soll zwei Jahre gedauert haben
Die bestialische Gewalt, die den Zivilisten angetan wurde, Vergewaltigungen oder Folter, hat die Hamas "Kriminellen" zugeschrieben, die den Terroristen gefolgt seien. Die Mission habe darin bestanden, "jeden zu töten, den wir sahen", sagte ein gefangener Angreifer in einem von den israelischen Streitkräften veröffentlichten Video. Darin sagte der Terrorist aber auch, dass sie Menschen enthaupten und so viele Geiseln wie möglich nehmen sollten.
Die Entführung von Säuglingen, Kindern und älteren Menschen soll dabei die Aufgabe von ganz bestimmten Einheiten gewesen sein. Sie sollten so viele Geiseln wie möglich zurück zu den Lücken im Zaun bringen, wo spezielle Trupps darauf warteten, sie in ihre riesigen Tunnelsysteme zu verschleppen.
Israelische Sicherheitsbeamte gehen davon aus, dass die politische Führung der Hamas im Ausland nur bedingt über die Einzelheiten der Operation informiert wurde. Die Planung für den Angriff hat laut Hamas-Beamten vor zwei Jahren begonnen, nachdem die israelische Polizei Razzien in der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem durchgeführt hatte. Israelische Quellen gehen von einer kürzeren Dauer aus - 12 oder 18 Monaten.
Viele Experten äußerten die These, dass die Hamas von ihrem Erfolg selbst überrascht wurde. Die langsame Reaktion der israelischen Streitkräfte habe es einigen Einheiten ermöglicht, mehrmals von Gaza nach Israel zurückzufahren, um weitere Geiseln zu holen, sagten israelische Beamte. Als die israelischen Streitkräfte begannen, sich zu sammeln, habe die Hamas einigen Angreifern befohlen, sich zurückzuziehen. Viele hochrangige Kommandeure sind demnach nach Gaza zurückgekehrt, was bedeutet, dass die meisten Terroristen noch am Leben sind.
Quelle: ntv.de, vmi