Krisenprävention Kann Deutschland Kriege verhindern?
09.03.2015, 18:32 Uhr
UN-Soldaten im Kongo. An der Mission zur Stabilisierung des Landes (Monusco) beteiligen sich auch Experten des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZIF).
(Foto: REUTERS)
Außenminister Frank-Walter Steinmeier spezialisiert sein Ministerium auf Konfliktprävention. Die Direktorin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF), Almut Wieland-Karimi, sieht darin große Chancen. Noch mache die internationale Gemeinschaft zu oft die immer gleichen Fehler.
n-tv.de: Kann man von Deutschland aus verhindern, dass in anderen Staaten Konflikte aufbrechen?
Almut Wieland-Karimi: Grundsätzlich kann man dazu beitragen. Wenn es Unzufriedenheit gibt, Unruhen oder neue Gewaltakteure, müsste man frühzeitig in Prävention investieren. Damit beendet man selten einen Konflikt, kann aber oft die Gewalt einschränken.
Woran erkennt man, dass ein offener Konflikt droht?
Es gibt sogenannte "early warning"-Systeme und darüber hinaus politische Beobachter, zum Beispiel Medien und Botschafter. Wir haben zu vielen Ländern gute Lageeinschätzungen. Das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass man Investitionen in Prävention nur sehr schlecht sichtbar machen kann. Wir können kaum Erfolgsgeschichten erzählen. Wenn man meint, dass man etwas verhütet hat, ist das immer eine hypothetische Aussage. Aber alle Studien und alle Erfahrungen sagen uns, dass ein Mehr an Krisenprävention viele Opfer verhindern helfen würde.
Was sind das für Einsätze, mit denen Sie Konflikte eindämmen wollen?
Es gibt derzeit gut 50 Friedenseinsätze weltweit, hauptsächlich in Afrika, in Zukunft sicher auch zunehmend im Nahen Osten und in Zentralasien. Unsere Aufgabe ist, deutsche zivile Experten auszubilden und in diese Friedenseinsätze zu entsenden.
Und dort arbeiten sie dann als Richter, Regierungsberater...
Genau. Deutsche Richter arbeiten zum Beispiel im Kosovo. Andere Experten beobachten die Menschenrechtslage in Ländern wie Afghanistan. Es gibt Ingenieure, die im Südsudan die UN unterstützen. Andere sind ausgebildet in Friedensmediation und leisten ihren Beitrag in Ländern mit internen Spannungen – wie etwa in Libyen. Das sind also Leute mit unterschiedlichen Berufsbildern, aber alle bringen einen soliden beruflichen Hintergrund mit.
Und bemerken Ihre Leute Fortschritte? Können Sie eine Erfolgsgeschichte erzählen?
Die kleinen, alltäglichen Fortschritte sind leicht zu bemerken. Am besten berichte ich von meiner eigenen Geschichte: Ich habe vier Jahre in Afghanistan gearbeitet und dort eine Gruppe von jungen Nachwuchskräften aufgebaut. Anfangs hielten sie alle Politik für ein dreckiges Geschäft, das nur Ärger verursacht. Über die Jahre haben sie gelernt, dass gerade in der Politik die besonders gut ausgebildeten Leute gebraucht werden. Der eine oder die andere aus dieser Gruppe ist mittlerweile in wichtiger Regierungsfunktion und leistet dort einen Beitrag. Unsere Leute sehen aber natürlich auch die großen Herausforderungen. Heute gibt es dreimal mehr gewaltsame Konflikte auf der Welt als 2008. Das ist natürlich frustrierend.
Konnten Sie voraussehen, dass in der Ukraine ein derart heftiger Konflikt ausbricht?
Die Experten wussten, dass es viel Unzufriedenheit in der Bevölkerung gibt. Aber die Auswirkungen, die das hatte, hat niemand vorausgesehen. Historisch betrachtet sind wir jetzt in einer frühen Form des Konflikts. Er ist ja erst ein Jahr alt. Dass es in Europa wieder Krieg gibt, hätte vor anderthalb Jahren niemand vorhergesagt.
Hätte man etwas tun können mit den Mitteln der Konfliktprävention?
Wenn wir die Stimmung in der Ostukraine besser verstanden hätten, hätte die Friedensvermittlung erfolgreicher sein können. Ob wir damit den Krieg verhindert hätten? Das vermag ich nicht zu beurteilen.
Das andere aktuell viel diskutierte Beispiel ist der Krieg, den der "Islamische Staat" im Nahen Osten führt. Im Nachhinein lastet man die Eskalation dem damaligen Ministerpräsidenten des Irak Nuri al-Maliki an.
Der IS ist kein ganz neues Phänomen. Seine Wurzeln stammen unter anderem aus dem Jahr 2003, als nach der Invasion durch die USA alle Beamten aus Saddam Husseins Baath-Partei ohne Perspektive entlassen wurden. Das hat viel Wut und ein großes Gewaltpotenzial entstehen lassen. Dazu kommt der Ausschluss der Sunniten aus hohen Staatsämtern, der Krieg in Syrien. Es gibt also viele Ursachen, einige davon haben mit großen Fehlern zu tun.
Und diese Fehler sind auch Fehler der internationalen Gemeinschaft?
Eine Regierung tut erst einmal, was sie selbst für richtig hält. Der Fehler der internationalen Gemeinschaft ist dann, dass sie einen Machthaber zu lange unterstützt, obwohl sich herausstellt, dass der es nicht schafft, sein Land zu befrieden, und obwohl er bestimmte Gruppen aus der Politik ausschließt. Ein häufiger Fehler der internationalen Gemeinschaft ist, zu lange an solchen Leuten festzuhalten.
Der Trend geht in den letzten Jahren wieder dahin, dass man Machthaber akzeptiert, solange sie nur einigermaßen für Stabilität sorgen.
Klar. Aber das ist etwas, das wir uns sicherlich vorwerfen müssen: Wir haben gerade im Nahen Osten jahrzehntelang Regime unterstützt, weil sie stabil waren und angeblich eine Machtergreifung von Islamisten verhinderten. Aus Sicht der Bevölkerungen ist diese Politik nicht glaubwürdig. Sie wird sicher häufig so gedeutet, dass wir uns nicht wirklich für Demokratie, Frieden, Freiheit und Menschenrechte interessieren. Wir haben ja gesehen, dass in diesen Regimen Leute unterdrückt wurden, dass Leute ohne Gerichtsverhandlungen in Gefängnissen saßen. Wir verschließen die Augen vor Problemen, solange die Lage stabil ist. Das müssen wir vollkommen neu überdenken.
In Bezug auf Staaten wie Katar und Saudi-Arabien wird diese Politik weiterhin betrieben. Muss auch das überdacht werden?
Auf jeden Fall. Die Frage ist doch, wie lange sich so ein Regime wie das in Saudi-Arabien halten kann.
Die Bundesregierung will sich außenpolitisch mehr engagieren. Die entscheidende Frage scheint dabei zu sein, ob man auf Stabilität oder auf Menschenrechte setzt.
Ich befürchte, die Antwort ist nicht schwarz oder weiß. Es gibt kein Entweder-oder. Wenn in Saudi-Arabien so etwas wie ein saudischer Frühling ausbräche – was hätte das für Wirkungen in der Region? Wäre das Leben für die Menschen danach besser oder schlechter? Wir haben die Erfahrung mit dem arabischen Frühling gemacht: Nach der großen Euphorie 2011 sehen wir nun, dass es vielen Menschen in der Region viel schlechter geht. Das ist eine bittere Erkenntnis.
Mit Almut Wieland-Karimi sprach Christoph Herwartz
Quelle: ntv.de