Afrikas größte Demokratie wählt Kein Bargeld, kaum Benzin, Nigeria wählt trotzdem
19.02.2023, 13:19 Uhr
Da Nigerias amtierender Präsident Muhammadu Buhari nicht für eine dritte Amtszeit antreten kann, steht sein Parteifreund Bola Tibubu (Bild) zur Wahl.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Gut eine Woche vor der Präsidentschaftswahl spitzt sich die Lage in Nigeria zu: Gewaltsame Proteste mehren sich, Bankfilialen werden in Brand gesetzt. Grund ist die zunehmende Frustration angesichts einer Benzin- und Bargeldknappheit, die das krisengebeutelte Land weiter destabilisiert.
Über 93 Millionen Nigerianer sind am 25. Februar aufgerufen, in Afrikas größter Volkswirtschaft einen neuen Präsidenten zu wählen. Nigeria befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, geprägt von Rekordinflation und steigender extremer Armut. Das Land ist zudem durch eine prekäre Sicherheitslage in fast allen Landesteilen gekennzeichnet: von islamistischem Terrorismus über gewaltsam geführte Landnutzungskonflikte hin zu Sezessionsbestrebungen. Die schlecht ausgebildeten und ausgestatteten Sicherheitsorgane können kaum angemessen reagieren. Schließlich hemmen eine endemische Korruption, Elitenpolitik und Nepotismus die Entwicklung des Landes.
Nur wenige Tage vor den voraussichtlich richtungsweisenden Wahlen im bevölkerungsreichsten Land Afrikas erlebt Nigeria eine zunehmende Destabilisierung. Seit rund einem Jahr gibt es regelmäßig nicht ausreichend Benzin. Obwohl das Land eines der größten Erdölexporteure Afrikas ist, verfügt es über keine einzige funktionierende Raffinerie und importiert veredeltes Erdöl aus dem Ausland. Hinzu kommt, dass seit einigen Wochen nicht mehr genug Bargeld im Umlauf ist. Kurz vor Jahreswechsel hat die Zentralbank überraschend die Ausgabe neuer Scheine der Landeswährung Naira angekündigt. Die Frist für die Einzahlung alter Scheine lief vergangene Woche ab, ohne dass rechtzeitig ausreichend neue Noten ausgegeben wurden. Aktuell warten die Menschen überall im Land stundenlang vor den Banken, meist vergeblich.
In den vergangenen Wochen haben sich diese beiden akuten Krisen gegenseitig potenziert. Wurde vor wenigen Wochen noch auf typisch nigerianische Art lakonisch über die schleppend umgesetzte Bargeldreform gescherzt, bestimmen heute Chaos und Tumulte die Lage. Sie gipfelten in dieser Woche in gewaltsamen Ausschreitungen und Brandanschlägen auf Bankfilialen im ganzen Land; Medien berichten in diesem Zusammenhang von drei Toten. Aufgrund ausbleibender oder teilweise widersprüchlicher Kommunikation von verschiedenen staatlichen Stellen herrscht derzeit Unklarheit, welche Scheine als Bargeldmittel aktuell (noch) akzeptiert sind und welche nicht. Derweil hungern Menschen, während der Parallelhandel mit den neuen Scheinen boomt.
Ende des Zweiparteiensystems ist möglich
In dieser Gemengelage besteht die Gefahr, dass die Wahlen nicht wie geplant durchgeführt werden können. Während sich die Situation im Land weiter verschlechtert, beharrt die Wahlbehörde darauf, die Wahlen wie geplant stattfinden zu lassen. Sie arbeitet gemeinsam mit der Regierung mit Hochdruck daran, die Wahl ungehindert vorbereiten und durchführen zu können. Auch eine niedrige Wahlbeteiligung steht zu befürchten, da viele Nigerianer nicht an ihrem registrierten Wahlort leben und Reisen zu den Wahllokalen wegen der Benzin- und Bargeldkrise echte Hürden darstellen.
Für das Amt des Präsidenten stehen Kandidaten von 18 politischen Parteien zur Wahl, realistische Chancen haben aber nur drei. Die Kandidaten der beiden großen Parteien, Bola Tinubu für den All Progressives Congress (APC) und Abubakar Atiku für die Peoples Democratic Party (PDP), sind beide politische Schwergewichte und stehen für die bisherige Elitenpolitik. Neben den beiden Kandidaten der APC und PDP gibt es mit Peter Obi von der Labour Party (LP) erstmals einen weiteren ernstzunehmenden Kandidaten, der das seit der Demokratisierung des Landes 1999 faktisch bestehende Zweiparteiensystem aufbrechen könnte. Obi schafft es als einziger, die junge Wählerschaft zu mobilisieren, die sich mehr Repräsentation wünscht. Da Parteien in Nigeria weitestgehend nur mit schemenhafter Programmatik agieren, ähneln sich die Programme der drei Kandidaten. Die Kernthemen Sicherheit, Wirtschaft sowie Korruption bleiben die entscheidenden Themen für die Bürger im Land.

Ein Anhänger des Labour-Kandidaten Peter Obi auf dem Weg zu einer Wahlkundgebung. Obi könnte das Zweiparteiensystem aufbrechen, hat allerdings eher Außenseiterchancen.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Andere Aspekte sind neu. Erstmalig kann beispielsweise die Gruppe der jungen Wähler mit wahlentscheidend sein. Fast 40 Prozent der registrierten Wähler sind unter 34 Jahre alt. Die Stabilität und Entwicklung Nigerias werden auch davon abhängen, ob diese Wählergruppe ihre Anliegen in politische Macht wird übersetzen können. Die bevorstehenden Wahlen unterscheiden sich außerdem dadurch, dass zahlreiche technische Neuerungen zur Vermeidung von Wahlmanipulationen eingeführt wurden. Unter anderem erfolgt die Personenidentifikation diesmal digital und auch die Wahlergebnisse werden digital übermittelt.
Auf dem Weg zum drittbevölkerungsreichsten Land der Erde
Inmitten der ohnehin schlechten Sicherheitslage hat die wahlbezogene Gewalt im vergangenen halben Jahr zugenommen: Es sind mehr Anschläge auf Einrichtungen der Wahlbehörde als bei den letzten Wahlen zu verzeichnen. Diese Gewalt könnte während und vor allem nach den Wahlen weiter eskalieren, denn jedes denkbare Wahlergebnis trägt das Potenzial von Unruhen in sich. Wie sehr die ethnische, religiöse und regionale Identität der Kandidaten - eine wichtige Kategorie in Nigeria - die Stimmabgabe beeinflussen werden, ist schwer vorauszusehen. Diese Aspekte haben die Wählerschaft polarisiert. Experten sagen, das Land sei so gespalten wie nie zuvor.

Anhänger feiern Abubakar Atiku, der von 1999 bis 2007 nigerianischer Vizepräsident war.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Der Ausgang der Wahlen wird für Nigeria, die gesamte Region Westafrika und darüber hinaus enorme Bedeutung haben. Eine umstrittene oder von Gewalt begleitete Abstimmung könnte die Regierungsprobleme Nigerias verschärfen und seine Stellung als demokratisches Vorbild auf dem Kontinent schmälern. Eine friedliche Wahl ist sowohl für den Zusammenhalt des Landes als auch die positive Ausstrahlungswirkung auf die von Militärputschen und Instabilität geprägte Region entscheidend. Für Deutschland und Europa ist die weitere Entwicklung Nigerias allein schon deshalb von Bedeutung, weil das Land bis 2050 nach Indien und China das drittbevölkerungsreichste Land der Welt sein wird. Der sprichwörtliche "Giant of Africa" ist außerdem schon heute Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner und größter Absatzmarkt auf dem Kontinent und birgt großes Innovations- und Wachstumspotenzial. Für Nigeria, den afrikanischen Kontinent und seinen Nachbarn Europa steht viel auf dem Spiel.
Marija Peran ist Leiterin des Auslandsbüros Nigeria der Konrad-Adenauer-Stiftung in Abuja.
Quelle: ntv.de