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Woher stammt der Muschel-Helm? Mit Sütterlin auf der Spur von Raubkunst

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Oussounou Abdel-Aziz Sandja begutachtet im Depot des Museums einen zeremoniellen Kopfaufsatz aus Togo.

Oussounou Abdel-Aziz Sandja begutachtet im Depot des Museums einen zeremoniellen Kopfaufsatz aus Togo.

(Foto: dpa)

Wer in Afrika Germanistik studiert, der lernt Sütterlin. Das Entziffern der Schrift ist ein Schlüssel zu Erschließung deutscher Kolonialgeschichte. Ein Mann aus Togo nutzt seine Kenntnisse, um in Mannheim Raubkunst aus Afrika zu identifizieren.

Mit blauen Schutzhandschuhen nimmt Oussounou Abdel-Aziz Sandja eine Rattankappe vorsichtig aus einem Metallschrank. Der mit Tierhörnern und Kaurimuscheln geschmückte Ritualtanzhelm ist eines der 40.000 Objekte, die in den Depots der Mannheimer Reich-Engelhorn-Museen (rem) schlummern. "Der Helm wurde vor mehr als 100 Jahren bei Initialisierungszeremonien für Jugendliche im Norden von Togo getragen", weiß Sandja, der aus Togo stammt. Der Kopfaufsatz gehört zu 200 Gegenständen, die bei einer Strafexpedition während der deutschen Kolonialherrschaft in Togo 1884 bis 1916 erbeutet wurden und auf verschlungenen Wegen nach Mannheim fanden.

Die Aufgabe des jungen Provenienzforschers ist es, sogenannte Erwerbsketten zu erstellen und somit Licht in die Herkunft von geraubter Kunst aus Afrika sowie in die deutsche Kolonialgeschichte zu bringen. Grundlagen seiner Arbeit sind Inventarlisten von Sammlern und Museen, Tagebücher und Briefe. Für das Studium der Quellen sind Sütterlin-Kenntnisse von großem Vorteil. Der 27-Jährige beherrscht nicht nur diese alte deutsche Schreibschrift, sondern auch die deutsche Sprache so hervorragend, dass er sich gegen die Konkurrenz um eine zweijährige Volontärsstelle beim rem durchsetzte.

Die Deutschen gingen in Ost- wie in Westafrika brutal mit den Einheimischen um, erzählt Sandja. Unter dem Vorwand, die eingenommenen Regionen seien "Schutzgebiete", in denen sie sicher vor Feinden seien, versuchten die Kolonialisten, ihre wahren Interessen zu verschleiern - Ausbeutung von Rohstoffen und Versklavung. "Die Leute merkten schnell, dass sie eigentlich den Schutz vor den Deutschen gebraucht hätten." Eine weitere Begründung für die Enteignung afrikanischer Völker lautete, deren Kulturen sei dem Untergang geweiht und müssten "gerettet" werden.

"Transparenz ist mir sehr wichtig"

Einiges hat der Germanist und Kulturwissenschaftler dem Muschel-Helm schon entlocken können: Er ist über 100 Jahre alt, hat rituelle Bedeutung und wurde von einem deutschen Offizier gekauft oder gestohlen. 1935 taucht das Stück im badischen Landesmuseum in Karlsruhe auf, das es in einem Ringtausch nach Mannheim weitergibt. Eine große zeitliche Lücke, die Sandja noch füllen will. "Damit die Dinge - wenn alles geklärt ist - wieder dahin zurückkehren, wo sie hingehören", beschreibt er das Ziel seiner Arbeit. Bei den Benin-Bronzen aus anderen Museen hat die Rückführung nach Nigeria bereits geklappt.

Für solche Rückgaben müssen die Herkunftsgesellschaften aber erstmal erfahren, dass ihre Kulturgüter weit weg noch existieren. Dafür sorgt Sandja, indem er jedes Objekt mit den verfügbaren Angaben in die Deutsche Digitale Bibliothek einstellen wird. "Transparenz ist mir sehr wichtig." Zu erwarten seien keine umfassenden Rückforderungen. Vor allem seien Gegenstände gefragt, die Autoritäten zugeordnet werden können und damit Teil der Erinnerungskultur sind.

Bislang hat noch niemand beim rem Ansprüche angemeldet. Sandja hat bereits 1300 Objekte der Sammlung des Kolonialisten in Ostafrika Theodor Bumiller (1864-1912) aufgearbeitet. Die Kollektion umfasst 450 Waffen - etwa Speere und Pfeil und Bogen - sowie Schmuck, Musikinstrumente und Kleidung. Hinzu kommen in Sütterlin verfasste Kriegstagebücher, zu Sandjas Enttäuschung fast ohne Hinweis auf die nach Deutschland verfrachtete "Beute", für die Bumiller sich als Held feiern ließ. Der einzige in dieser Hinsicht aufschlussreiche Eintrag lautet: "Waffen, Speere, Zeug, Pulver, Schmuck, gefangene Weiber und Kinder werden in unzähliger Menge herbeigeschafft."

Kolonialgeschichte ist "unterbelichtetes Kapitel"

Der sich als Kosmopolit gerierende Sohn eines Pfälzer Kaufmannes trat nach Jura-Studium und Militärdienst 1889 in die "kaiserliche Schutztruppe" ein, die eine Widerstandsbewegung an der ostafrikanischen Küste bekämpfen sollte. In den Folgejahren beteiligte sich Bumiller nach Information des Arbeitskreises Kolonialgeschichte Mannheim an weiteren Eroberungsfeldzügen, die mit der Plünderung von Dörfern und der Ermordung von Einheimischen einhergingen. Das Haus von Bumiller in Mannheim soll einem kleinen Museum geglichen haben. Seine Frau übergab der Stadt 1920 die Sammlung als Geschenk.

Die Kolonialherrschaft ist in Deutschland ein unterbelichtetes Kapitel, meint die Abteilungsleiterin Weltkulturen des rem, Corinna Erckenbrecht. "Sie ist wegen der Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Deutschland in den Hintergrund geraten." In der Schule werde Kolonialgeschichte kaum vermittelt. Nach mehr als einem Jahrhundert habe die Diskussion über den Umgang mit gestohlenen Kunstobjekten die Kolonialherrschaft zum Thema gemacht.

"Vieles aus dieser Zeit bestimmt das Leben in den ehemaligen Kolonien noch heute, etwa willkürliche Grenzziehungen, aufgezwungene Sprachen der Kolonialherren und landwirtschaftliche Monokulturen", so Erckenbrecht. Für Forscher wie Sandja gibt es noch viel zu tun. Von seiner Familie erfährt er Unterstützung für seine Arbeit: "Alle finden das gut."

Quelle: ntv.de, Julia Giertz, dpa

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