Ein Drittel der Stellen vakant Moskauer Beamte fliehen vor Einberufung
27.10.2022, 11:33 Uhr (aktualisiert)
Kein Sehnsuchtsort der Moskauer Beamtenschaft: Rekruten werden im Patriot Park in der russischen Hauptstadt trainiert.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Ein Moskauer Abteilungsleiter stirbt wenige Tage nach der Einberufung an der Front in der Ukraine. Die Nachricht löst eine Massenflucht in der Verwaltung der Hauptstadt aus. Bis zu 30 Prozent der männlichen Angestellten sollen die Heimat bereits verlassen haben.
Beamte der Moskauer Stadtverwaltung und föderaler Behörden in der russischen Hauptstadt fliehen einem Medienbericht zufolge vor der Teilmobilmachung im Land. "In einigen Abteilungen der Moskauer Stadtverwaltung beläuft sich die Zahl der männlichen Mitarbeiter, die Russland verlassen haben, auf 20 bis 30 Prozent aller Angestellten", berichtete das Internetportal "Wjorstka". Vor allem IT-Spezialisten verließen das Land in Richtung der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan, hieß es.
Hintergrund ist demnach, dass gerade auf unterer Verwaltungsebene viele Beamte keinen Schutz vor der Einberufung als "unabkömmliche" Kader bekämen. Der Tod eines Abteilungsleiters aus dem Moskauer Rathaus in der Ukraine wenige Tage nach der russischen Teilmobilmachung rief nicht nur landesweit Schlagzeilen hervor, sondern auch Panik bei seinen Kollegen. Die Fluchtbewegung hat dem Bericht zufolge dazu geführt, dass die Arbeit in mehreren Abteilungen paralysiert ist. Als Beispiele werden die Wohnungsverwaltung, das Gesundheitsamt und das Bildungsreferat angeführt. Der Personalmangel soll auch in Einrichtungen, die föderalen Ministerien unterstellt sind, spürbar sein.
Die politische und militärische Führung in Moskau hat mehreren Kategorien russischer Bürger versprochen, sie von der Einberufung auszunehmen. IT-Spezialisten zählen eigentlich dazu, allerdings ist der Nachweis mit bürokratischen Hindernissen verbunden. Offiziell haben die russischen Behörden den Bericht über die Flucht von Beamten nicht kommentiert.
Standesämterdaten verraten: Fast eine halbe Million rekrutiert
Der russische Präsident Wladimir Putin bezifferte die Zahl der Rekruten Mitte Oktober auf 220.000. In zwei Wochen werde die geplante Anzahl von 300.000 erreicht sein. Daten von russischen Standesämtern legen indes nahe, dass fast eine halbe Million Männer in Russland für den Krieg gegen die Ukraine mobilisiert wurden. Das berichtete die russische Exil-Nachrichtenseite Mediazona am Montag. Die angebliche Teilmobilmachung von bis zu 300.000 Rekruten wäre damit deutlich umfangreicher als von der russischen Führung behauptet.
Wer in Russland mobilisiert wurde, kann dem Bericht zufolge sofort heiraten, statt einen Monat warten zu müssen. Die Mobilmachung löste einen Hochzeitsboom in Russland aus: Die Witwe eines Soldaten erhält eine Entschädigung, die Freundin dagegen nicht. Auch Krankenhausbesuche sind für Verheiratete einfacher. Aus den Hochzeitsdaten aus 75 russischen Regionen folgerte Mediazona, dass bis Mitte Oktober mindestens 492.000 Menschen in Russland mobilisiert wurden.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 25. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, mau/dpa