Angst vor der Atomkatastrophe Osten Russlands bereitet Evakuierung vor
16.03.2011, 12:52 UhrDie Lage im japanischen Fukushima scheint immer aussichtsloser und auch im Osten Russlands steigt die Angst vor einer atomaren Katastrophe. Für den Notfall laufen bereits Vorbereitungen zur Evakuierung möglicherweise betroffener Regionen. Aber die Verunsicherung ist groß.

Durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl sollen hunderttausende Menschen ums Leben gekommen sein.
(Foto: picture alliance / dpa)
Mit den immer neuen Hiobsbotschaften aus dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima wächst auch im fernen Osten Russlands die Nervosität. Angespannt verfolgen die Menschen im rund tausend Kilometer entfernten Wladiwostok alle Informationen zu austretender Radioaktivität und der aktuellen Windrichtung. Die russische Armee bereitet für den Notfall bereits die Evakuierung der an Japan grenzenden Inseln vor. Nach der verheerenden Reaktorkatastrophe von Tschernobyl vor bald 25 Jahren herrscht allseits Angst und Misstrauen.
Das russische Katastrophenschutzministerium gab sich am Dienstag betont ruhig: Seit den Atomunfällen in Japan, die am Freitag durch ein schweres Erdbeben und einen Tsunami ausgelöst wurden, habe sich die Radioaktivität um Wladiwostok nicht erhöht, sie liege vielmehr unter dem Normalmaß. Doch den Menschen in der Region nimmt das nicht die Angst. Mehr als 70 Wetterstationen sowie die Küstenwache der grenznahen Insel Sachalin messen stündlich die Radioaktivität, die Ergebnisse werden alle zwei Stunden über Internet und Medien verbreitet.
Spielt Japan die Katastrophe herunter?
Die russische Armee bereitet sich bereits auf die Evakuierung der Insel Sachalin und der Kurilen-Inselkette vor, die selbst nur über begrenzte Transportmöglichkeiten verfügen. Sie werde dafür ihre Pazifik-Flotte und Militärmaschinen mobilisieren, teilte ein Sprecher mit. Die russischen Behörden trauen Japans Informationspolitik nur begrenzt, wie ein russischer Diplomat gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax durchblicken lässt. Moskau hat demnach die japanischen Behörden im Verdacht, das Ausmaß der Katastrophe herunterzuspielen. "Wir erwarten zuverlässigere Informationen", fordert der Diplomat gegenüber Interfax.
Durch die Reaktorkatastrophe im ukrainischen Tschernobyl im April 1986 waren in der Sowjetunion nach Angaben von Nicht-Regierungsorganisationen hunderttausende Menschen ums Leben gekommen. Experten und Behörden werden aber nicht müde zu beteuern, dass sich Tschernobyl und die Lage im japanischen AKW Fukushima nicht vergleichen lassen. Und doch sind den Menschen in Russland die Erinnerungen noch zu präsent, um blindes Vertrauen in die Behörden - die eigenen und die japanischen - zu haben.
Abgeordnete nur unzureichend informiert
"Selbst ich als Abgeordnete bin nur unzureichend informiert", beklagt sich die Abgeordnete von Sachalin, Swetlana Iwanowa, gegenüber dem russischen Radiosender "Moskauer Echo". Sie befürchtet, dass die russischen Behörden nur unzureichend für den Notfall gewappnet sind: "Früher gab es mal ein Schutzsystem - heute wissen nur wenige Menschen, wo sie bei erhöhter radioaktiver Strahlung Schutz suchen können und was sie tun sollen", klagt sie.
Ähnlich sieht es auch Wladimir Kusnezow, einer der "Liquidatoren", die nach der Tschernobyl-Katastrophe zu Hunderttausenden für die Aufräumarbeiten in das verstrahlte Gebiet herangezogen worden waren. "Ich bezweifle stark, dass Russland im Falle einer Kontaminierung angemessen reagieren kann", sagt der Wissenschaftler. Er empfiehlt, schon jetzt dafür zu sorgen, dass die Bevölkerung für den Fall einer radioaktiven Verstrahlung ausreichend mit Hilfsmitteln wie etwa Jod versorgt wird.
Nachfrage nach Jod steigt
Kusnezow teilt die Sorge der Menschen in der Region. Sie greifen bereits seit Tagen zur Selbsthilfe: Seit Sonntag explodiere die Nachfrage nach Mitteln, die bei Verstrahlung helfen sollen, berichtete der Vertreter einer Lieferfirma für pharmazeutische Produkte der russischen Nachrichtenagentur RIA Nowosti. Vor allem Produkte auf der Basis von Jod seien stark nachgefragt.
Die gefährliche Lage in Japan lässt die Russen auch an der Sicherheit ihrer eigenen Atomkraftwerke zweifeln. Regierungschef Wladimir Putin ordnete am Wochenende die Überprüfung der Notfallpläne für die AKW im fernen Osten des Landes an. Atom-Experte Kusnezow fordert weitere Konsequenzen. Die Atomanlagen Kola und Nowoworonesch entsprächen nicht den internationalen Sicherheitsnormen, kritisiert er. Und die Atomkraftwerke Balakowo und Rostow seien in einem Erdbebengebiet gebaut worden.
Quelle: ntv.de, Vera Negdanova, AFP