Kein ökumenisches Gastgeschenk Papst besucht das Luther-Land
23.09.2011, 20:42 Uhr
Von der kleinen Wallfahrtskapelle in Etzelsbach war nicht viel zu sehen.
(Foto: dapd)
Benedikt XVI. erteilt Forderungen nach schnellen Fortschritten in der Ökumene eine Absage. Erwartungen an ein solches Gastgeschenk sei ein "politisches Missverständnis". Die protestantische Seite lobt die Begegnung mit dem Papst, drängt aber auf die weitere Annäherung beider Kirchen. Am Abend sehen und hören rund 90.000 Pilger den Papst im Eichsfeld. Nach dem Ökumene-Treffen wird dies zum Heimspiel unter Gleichgesinnten.
Mit einem stimmungsvollen Abendgottesdienst im Eichsfeld hat Papst Benedikt XVI. den zweiten Tag seines Deutschlandbesuches abgeschlossen. Zur großen Marienvesper an der Wallfahrtskapelle Etzelsbach kamen 90.000 Gläubige und damit deutlich mehr als erwartet.
Benedikt warnte in seiner Predigt davor, Selbstverwirklichung als Ziel des Lebens zu sehen. "Nicht die Selbstverwirklichung, das Sich-selber-Haben- und -Machen-Wollen, schafft wahre Entfaltung des Menschen, wie es heute als Leitbild des modernen Lebens propagiert wird, das leicht in einen verfeinerten Egoismus umschlägt." Stattdessen habe die Gottesmutter Maria mit ihrer "Haltung der Hingabe" ein Vorbild für gelungenes Leben gegeben.
Der Pontifex wurde von den Gläubigen begeistert gefeiert. Er trug einen prächtigen Chormantel aus Goldbrokat und Seide und sang zum Auftakt nach dem traditionellen Ritus "O Gott, komm mir zu Hilfe".
Benedikt erinnerte an die wechselvolle Geschichte der Region Eichsfeld im Dreiländereck von Thüringen, Hessen und Niedersachsen. "In zwei gottlosen Diktaturen, die es darauf anlegten, den Menschen ihren angestammten Glauben zu nehmen, waren sich die Eichsfelder gewiss, hier am Gnadenort Etzelsbach eine offene Tür und eine Stätte inneren Friedens zu finden." Das Eichsfeld ist eine der wenigen katholischen Hochburgen in Ostdeutschland.
Zur Begrüßung wurde ihm ein Kreuz überreicht, das aus dem Zaun der ehemaligen Grenze gefertigt wurde. "Ich habe seit meiner Jugend so viel vom Eichsfeld gehört, dass ich dachte, ich muss es einmal sehen und mit Euch beten", sagte der Papst und wich dabei von seinem Redetext ab. Nach der Marienvesper traf Benedikt Thüringens ehemaligen CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus und dessen Frau. Dabei schüttelten sie sich die Hände und wechselten einige Worte. Althaus hatte den Papst bei Privataudienzen nach Thüringen eingeladen.
Im Eichsfeld sind rund 70 Prozent der Bevölkerung katholisch. Fast die Hälfte aller Katholiken im Bistum Erfurt lebt hier. Der Papst flog am Abend zurück in Erfurt, wo er am Samstagvormittag eine Heilige Messe auf dem Domplatz feiern will.
Kein "ökumenisches Gastgeschenk"

Der Papst beklagt den Fokus auf das Trennende der beiden Kirchen. Dabei sei der Glaube an Gott das Gemeinsame.
(Foto: dpa)
Zuvor waren die Hoffnungen von Katholiken und Protestanten auf mehr Miteinander von Benedikt XVI. bei seinem Besuch im Lutherland enttäuscht worden. Er rief aber dazu auf, die Gemeinsamkeiten zwischen beiden christlichen Kirchen in den Mittelpunkt zu stellen. Im Vorfeld seines Besuchs sei verschiedentlich von einem "ökumenischen Gastgeschenk" die Rede gewesen, dass man sich von der Reise erwarte, sagte der Papst bei einem Wortgottesdienst mit Protestanten in der Erfurter Augustinerkirche. Dies beruhe auf einem "politischen Missverständnis des Glaubens und der Ökumene". Der Glaube sei nicht etwas, "was wir ausdenken oder aushandeln".
Der Papst rief dazu auf, bei einer ökumenischen Begegnung nicht nur die Trennungen und Spaltungen zu beklagen. Die grundlegende Einheit bestehe im Glauben an Gott und somit in einer "Einheit durch Liebe". Den lebendigen Gott zu bezeugen sei die gemeinsame Aufgabe. Entsprechend müssten die Christen gemeinsam die unantastbare Würde des Menschen verteidigen. Dies betreffe Fragen von der Empfängnis bis zum Tod – etwa die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik oder die Sterbehilfe.
Papst lässt drängende Fragen unbeantwortet
Das Treffen mit den Protestanten an einer frühen Wirkungsstätte des Reformators Martin Luther war mit Spannung erwartet worden. Zu den im Vorfeld von der evangelischen Kirche, aber auch von katholischen Laien angemahnten Fragen wie etwa den Umgang mit konfessionsverschiedenen Paaren oder gemeinsamen Abendmahlfeiern äußerte sich der Pontifex in seinen offiziellen Ansprachen nicht.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sagte, vor allem Gläubige in konfessionsverbindenden Ehen und Familien sehnten sich danach, dass die Kirchen ihren "Eigen-Sinn" überwinden. "Für uns alle wäre es ein Segen, ihnen in absehbarer Zeit eine von Einschränkungen freiere eucharistische Gemeinschaft zu ermöglichen", sagte Schneider. Der Papst antwortete: "Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken uns aushandeln."
Fokus auf das Trennende trennt
Auch in einer Rede vor EKD-Vertretern im Augustinerkloster hob der Papst lediglich auf die schon bestehenden Gemeinsamkeiten ab: "Das Notwendige für die Ökumene ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen und die uns als Gabe und Auftrag geblieben sind." Ein Fehler des konfessionellen Zeitalters sei gewesen, dass weithin nur "das Trennende" gesehen worden sei.
Mauern werden aufbrechen
Die Vorsitzende der EKD-Synode, Katrin Göring-Eckardt, verwies bei dem Gottesdienst auf Lehren aus der Teilung Deutschlands. "Wenn man Mauern zu lange bewacht ... dann brechen sie von innen auf", mahnte die Bundestags-Vizepräsidentin. Zum richtigen Zeitpunkt würden katholische und evangelische Christen "gemeinsam und füreinander den Tisch decken", zeigte sie überzeugt. Schneider warb dafür, den Reformator Martin Luther als Bindeglied zwischen den Kirchen zu sehen. Er lud den Papst persönlich dazu ein, das Reformationsjubiläum 2017 "mit den Kirchen der Reformation zu feiern, so dass wir in ökumenischer Verbundenheit Christus bezeugen".
Treffen mit Missbrauchsopfern
Außerhalb des offiziellen Programms traf sich der Papst mit Opfern des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Das Kirchenoberhaupt habe sein tiefes Mitgefühl und Bedauern bekundet für alles, was den Opfern und ihren Familien angetan worden sei, teilten der Vatikan und die Deutsche Bischofskonferenz am Abend mit. Er habe versichert, dass den Verantwortlichen in der Kirche an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen sei. Die Kirche sei bemüht, wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu fördern.
Ein Treffen mit Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester und kirchliche Mitarbeiter hatte im Vorfeld der Reise bereits als wahrscheinlich gegolten. Ort und Zeitpunkt waren aber geheim gehalten worden. Auch bei Reisen in andere Länder hatte der Papst Missbrauchsopfer getroffen.
Muslime prägen Deutschland
Am Vormittag war Benedikt in Berlin mit islamischen Spitzenvertretern zusammengetroffen. Dabei bezeichnete er Muslime als ein Merkmal, das Deutschland seit Beginn der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts präge. Das Gespräch in der Vatikanbotschaft in der Hauptstadt fand nach Aussage eines Sprechers der Deutschen Bischofskonferenz in herzlicher Atmosphäre statt. Vor einem Jahr hatte Bundespräsident Christian Wulff gesagt, der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland, und dafür nicht nur Zustimmung, sondern auch heftige Kritik geerntet. In Deutschland leben 3,8 bis 4,3 Millionen Muslime, 45 Prozent sind deutsche Staatsbürger. Etwa zwei Drittel haben in der Türkei ihre Wurzeln.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts