Jahrespressekonferenz im Kreml Putin nimmt Deutschland aufs Korn - und räumt Probleme in Kursk ein
19.12.2024, 11:04 Uhr Artikel anhören
Auf seiner groß inszenierten Jahrespressekonferenz widmet Wladimir Putin gleich zu Beginn Deutschland viel Aufmerksamkeit. Wegen der anstehenden Bundestagswahl? Einer Anruferin aus der von der Ukraine besetzten Region Kursk mag er kein Datum für eine Rückeroberung nennen.
Gleich zum Auftakt seiner Jahrespressekonferenz hat Russlands Machthaber Wladimir Putin Deutschland aufs Korn genommen. "In Deutschland haben wir null Prozent Wirtschaftswachstum, im nächsten Jahr wahrscheinlich auch null Prozent", sagte Putin, als es in der ersten Frage um die wirtschaftliche Entwicklung Russlands ging. In der landesweit übertragenen Live-Sendung ist jede Frage orchestriert und so hakte einer der Moderatoren nach, was das mit der Souveränität zu tun habe?
Putin erzählte daraufhin eine Anekdote von einer Geburtstagsfeier in Hannover, bei der er zu Gast gewesen sei: Bis auf einen von Putin mitgebrachten Kosakenchor aus Kuban hätten auf der Feier alle Künstler auf Englisch gesungen. Gäste der Feier von Gerhard Schröder seien auf ihn, Putin, zugekommen: "Die haben mir gesagt, wir schämen uns, dass nur die Kosaken aus der Kuban-Region auf Deutsch gesungen haben", behauptete Putin und dozierte: "Souveränität ist sehr wichtig, sie muss im Herzen sein." In Deutschland ist das seiner Meinung nach nicht der Fall. "Nach der Nachkriegszeit hat man in Deutschland das Gefühl der Heimat ausgelöscht, das Gefühl der Souveränität."
Bestätigung von AfD-Positionen
Scheinbar zufällig vor den Bundestagswahlen in Deutschland widmete sich Putin damit einem der wichtigsten Unterstützer der Ukraine, gegen die er seit bald drei Jahren Krieg führt. Die Behauptung, Deutschland sei nicht souverän und müsse sich dem Willen der USA und NATO unterwerfen, ist insbesondere bei der AfD, zum Teil aber auch beim BSW populär. Zuletzt hatte AfD-Chef Tino Chrupalla einen NATO-Austritt ins Spiel gebracht und gefordert, Russlands Interessen zu respektieren. Immer wieder wird berichtet, dass Russland im Rahmen seiner hybriden Kriegsführung massiv die öffentliche Stimmung in Deutschland und anderen westlichen Staaten beeinflussen wolle.
Auf seiner traditionellen Pressekonferenz zum Jahresende beantwortet Putin Fragen von Journalisten und Vertretern der Öffentlichkeit zu unterschiedlichsten Themen - von der Geopolitik bis zu Alltagsthemen. Laut Kremlsprecher Dmitri Peskow sind neben russischen auch internationale Medien zugelassen. Im vergangenen Jahr hatte die Pressekonferenz mehr als vier Stunden gedauert. Die im Fernsehen übertragene Veranstaltung findet vor dem Hintergrund russischer Erfolge in der Ukraine statt.
"Jeden Tag gibt es Fortschritte"
"Jeden Tag gibt es Fortschritte, je nachdem, wo das ist", sagte Putin über die Kämpfe in der Ukraine und im von der Ukraine besetzten Kursk. "Wir kommen voran, nicht um 200, 300 Meter pro Tag, sondern wir können das in Quadratkilometern pro Tag darstellen", sagte Putin. "Wir nähern uns unserem Ziel, welches wir auch zu Beginn unserer militärischen Sonderoperation abgesteckt haben", behauptete Putin, der nicht von Krieg spricht. "Es gibt immer wieder Grund zu sagen, dass unsere Jungs echte Helden sind."
"Ich kann nicht sagen, wann das Gebiet Kursk komplett befreit wird", sagte Putin. Er präsentierte eine von Soldaten unterschriebene Flagge des 155. Regiments, das im russischen Gebiet Kursk gegen die Ukrainer kämpfe. Russland "arbeitet daran, dass der Gegner unser Staatsgebiet verlässt". Putin versprach einer Anruferin, die aus dem Gebiet geflohen ist, eine Wiederherstellung aller Häuser und der Infrastruktur. Dafür stünden 800 Milliarden Rubel zur Verfügung. "Natürlich ist die Situation gerade ganz prekär, es gibt Verluste", sagte Putin. "Seien Sie gewiss, wir werden das alles wieder herstellen."
Putin sieht Wirtschaft gut aufgestellt
Mit Blick auf die russische Wirtschaft zog Putin eine insgesamt zufriedenstellende Wirtschaftsbilanz des abgelaufenen Jahres - vor allem im Vergleich zu westlichen Industrienationen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde 2024 um 3,9 Prozent, "vielleicht sogar vier Prozent" wachsen, prognostizierte der Kremlchef. In den vergangenen beiden Jahren habe das BIP sogar um acht Prozent zugelegt. Im gleichen Zeitraum habe Deutschland null Prozent Wachstum gezeigt, sagte er. In der Eurozone liege das Wachstum bei einem Prozent.
"Wenn die Eurozone einschläft, gibt es andere Regionen der weltweiten Entwicklung", sagte Putin. Er räumte ein, dass es Probleme bei der Bekämpfung der Inflation gebe. Seinen Angaben nach sind die Preise im Jahresverlauf um 9,2 bis 9,3 Prozent gestiegen. Dies hänge aber etwa bei den Lebensmitteln damit zusammen, dass der Verbrauch gestiegen sei. Zudem behauptete Putin, die Löhne seien auch nach Abzug der Inflation um neun Prozent gestiegen.
Das erwartete Wachstum der russischen Wirtschaft 2025 bezifferte Putin "irgendwo bei 2 bis 2,25 Prozent". Putin sprach von einer "weichen Landung". Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat der Westen gegen Russland zahlreiche Sanktionen verhängt, die das Land aber zumindest teilweise umgehen kann - etwa beim Verkauf von Öl und Gas.
Ökonomen warnen vor einem deutlichen Einbruch der Wachstumsraten im kommenden Jahr. Neben der hohen Inflation macht der russischen Wirtschaft auch der sehr hohe Leitzins Probleme, der bei 21 Prozent liegt. Auch das von Putin zitierte Wachstum ist relativ: Es basiert vor allem auf der Kriegswirtschaft. Der Zuwachs ist damit komplett staatlich finanziert. Das gilt auch laut Putin für die Arbeitslosigkeit, die so niedrig wie nie sei. Viele Männer sind zum Krieg gegen die Ukraine eingezogen, Frauen ersetzen die in den Betrieben fehlenden Männer.
Putin schlägt Westen Raketen-Duell vor
Putin drohte dem Westen zudem erneut mit der Schlagkraft der russischen Mittelstreckenrakete "Oreschnik". Diese sei eine neue Entwicklung, die von westlichen Flugabwehrsystemen nicht abgefangen werden könne. "Es gibt keine Chance, diese Raketen abzuschießen", sagte der Kremlchef. Wenn der Westen an der Leistungsfähigkeit der Rakete zweifle, könne er gern ein von allen verfügbaren Flugabwehrwaffen geschütztes Ziel in Kiew benennen, das von Oreschnik beschossen werden solle. Putin sprach von einem "Experiment, einem hochtechnologischen Duell des 21. Jahrhunderts".
Der Westen könne dort alle Flugabwehrwaffen und Raketenschirme stationieren, die er habe. Dann werde sich herausstellen, ob sie die Mittelstreckenrakete aufhalten könnten. Russland sei zu so einem Experiment bereit. Putin reagierte damit auf die Frage des russischen Armeesenders Swesda, der eine angebliche Einschätzung westlicher Experten dazu zitiert hatte, dass Oreschnik im Anfangsstadium leicht zu bekämpfen sei. Russland hatte im November erstmals eine solche prinzipiell atomar bestückbare Rakete auf die Ukraine abgefeuert. Damals war die Industriestadt Dnipro getroffen worden. Der Schaden war allerdings gering. Das Geschoss trug keine nuklearen Sprengköpfe.
Quelle: ntv.de, shu/dpa/rts/lar