Booster ja, Impfpflicht nein Reichen die Beschlüsse, um die Welle zu brechen?
05.11.2021, 18:48 Uhr
Noch ist das erlaubt: Dichtgedrängte Fans feiern Anfang Oktober auf der Bremer Fußballtribüne.
(Foto: imago images/Team 2)
Bund und Länder einigen sich - auf mehr und schnelleres Boostern, auf mehr Tests in der Pflege und Kontrollen für die 3G-Regel. Doch die Erfahrung lehrt: Bei der Umsetzung ist es mit der Einigkeit vorbei. Und reicht das überhaupt gegen die Wucht der vierten Welle?
An markigen Worten mangelt es nicht an diesem Nachmittag: Die Situation sei "dramatisch besorgniserregend und alles andere als entwarnend", erklärt der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek beim Pressetermin nach zwei Tagen Konferenz mit seinen Ressortkolleginnen und -kollegen aus Bund und Ländern. Erstmals seit Monaten ist man wieder in Präsenz zusammengekommen.
Bundesminister Jens Spahn legt nach: Es gebe nun die ersten Regionen im Land, von denen aus Covid-Patienten verlegt werden müssten, "weil die Stationen voll sind". Die vierte Welle komme "mit voller Wucht". Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts vom Tag - 37.120 Neuinfektionen, Inzidenz bei fast 170 - flankieren den düsteren Ausblick des Gesundheitsministers.
Von diesen mehr als 37.000 Neuinfizierten werden nach seiner Schätzung etwa 350 bis 400 in einigen Tagen ins Krankenhaus kommen. Die Zahl, hochgerechnet auf den täglichen Zuwachs, macht klar, dass die Kliniken "an eine kritische Grenze angestoßen sind", wie es Uwe Janssens nennt, Präsidiumsmitglied der Intensivmediziner-Vereinigung Divi, und ebenfalls Teilnehmer der Konferenz.
"Viele sind mittlerweile ausgebrannt"
Auf ihn und eine Intensivkrankenschwester, die Janssens zur Ministerkonferenz mitgebracht hat, beziehen sich nahezu alle Statements des Nachmittags: Offenbar hat die Dame es verstanden, der Politik eindrücklich zu schildern, wie schwer erträglich die Situation auf den Isolationsstationen bereits jetzt wieder ist. "Man merkt, die Pflegekräfte brennen für ihre Arbeit, aber viele sind mittlerweile auch ausgebrannt", fasst es Jens Spahn zusammen. "Vor uns liegen sehr schwere Wochen."
Soweit die Bestandsaufnahme, doch Ziel der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) sollte sein, effektive Maßnahmen für den Kampf gegen das Virus abzustimmen. Wichtig sei, "die Dynamik, die jetzt da ist, zu brechen", sagt der Bayer Holetschek. "Mit den Erfahrungen aus Israel" wolle man nun "ganz stark in diese Welle reingehen". Der Verweis auf Israel, das mit Booster-Impfungen auch für Jüngere die vierte Welle in den Griff bekommen hat, ist entscheidend: Er deutet an, dass es Jens Spahn offenbar gelungen ist, im Ringen um die Drittimpfung für Alle die Länderkollegen auf seine Seite zu holen. Die Kassenärztliche Vereinigung hatte sich noch Anfang der Woche vehement dagegen ausgesprochen, die dritte Impfung für Personen unter 70 Jahren anzubieten.
Das gemeinsame Vorgehen, "entschlossen und geschlossen" laut Holetschek, sieht nun folgendes vor: 3G - also geimpft, genesen oder getestet zu sein, soll als Teilnahmevoraussetzung an bestimmten Veranstaltungen strenger kontrolliert werden. Spahn verkündet darüber hinaus, es gebe "zum ersten Mal Konsens zwischen Bund und Ländern, dass es 2G geben muss", als Option für Regionen mit sehr hohem Infektionsgeschehen. Das Land Sachsen hat dieses Problem bereits und das Kabinett landesweite 2G-Regeln noch am Abend beschlossen.
Worüber ebenfalls Einigkeit herrscht: Die Testpflicht für Alten- und Pflegeheime soll ausgeweitet werden. Künftig sollen demnach auch Geimpfte und Genesene verpflichtet sein, vor Betreten einer Pflegeeinrichtung einen Schnelltest zu absolvieren. "Idealerweise" würde sich Jens Spahn eine tägliche Testung in den Heimen wünschen, sowohl für Personal wie auch für Besucher. Dies sei aber auch von der jeweiligen Inzidenz abhängig. Ein Ort, "wo besonders Verwundbare leben", brauche besonderen Schutz.
"Wir brauchen mehr Tempo"
Und schließlich die Auffrischungs-Impfungen: Der "Booster nach sechs Monaten sollte die Regel werden, nicht die Ausnahme", sagt Spahn. Einig sei man sich auch, dass es zusätzlich zu den Arztpraxen auch öffentliche Stellen für Impfangebote brauche, wie Impfzentren oder Impfbusse. "Wir brauchen mehr Tempo."
"Einig", "geschlossen", "gemeinsam" - so oft die anwesenden Vertreter von Bund und Ländern diese Begriffe in ihre Statements einstreuen, wird doch auch auf der Konferenz deutlich, wie wenig das im Detail bedeutet. "Ich werde es nicht tun", sagt rundheraus Monika Bachmann, Gesundheitsministerin aus dem Saarland, auf die Frage, ob sie die Impfzentren in ihrem Bundesland wieder eröffnen wolle. "Wenn ich es tun würde, dauert es etwa 14 Tage, bis die aus dem Standby wieder nach oben gefahren werden", führt sie aus. Zugleich habe die Kassenärztliche Vereinigung versichert: "Wir Ärzte, wir schaffen das".
Auf den ersten Blick wirkt das wie ein direkter Widerspruch auf Spahns Ankündigung, die Länder wollten wieder öffentliche Impfmöglichkeiten schaffen. Doch hat das Saarland mit 74 Prozent nicht nur die zweithöchste Impfquote deutschlandweit, sondern betreibt auch schon den ganzen Herbst über diverse Impfmobile im Bundesland. Anders als viele andere Länder hat man also die öffentlichen Stellen nie ganz runtergefahren und kann sich entsprechend auf eine funktionierende Infrastruktur stützen.
In anderen Bundesländern werden andere Konzepte verfolgt. Nordrhein-Westfalen etwa überlässt es den Landkreisen, über sogenannte "Koordinierende Covid-Impfeinheiten" das lokale Impfgeschehen zu überwachen und "flächendeckende Auffrischungsimpfungen der Allgemeinbevölkerung" zu planen. Da hängt es also von der Agilität des Kreises ab, ob ein Impfmobil durch die Gegend fährt, oder die Impfwilligen sich um einen Termin in einer Arztpraxis bemühen müssen. In Zeiten von Herbstinfektionen und Grippe-Impfung bedeutet das auch für Betagte oftmals mehrere Wochen Wartezeit.
So wird sich erst in den kommenden Wochen entscheiden, ob diese GMK einen messbaren Effekt auf die Inzidenzen haben wird, und vor allem, ob dieser ausreicht, um tatsächlich "die Dynamik zu brechen", wie es Minister Holetschek einleitend formuliert hat. Denn den drei zentralen Beschlüssen - mehr Kontrolle bei 3G, strengeres Testregime für Alten- und Pflegeheime, Ausweitung der Booster-Impfung - stehen mindestens zwei Register gegenüber, die offensichtlich derzeit nicht gezogen werden.
Kostenlose Tests werden nicht kommen
Es wird keine Wiedereinführung der kostenlosen Corona-Tests geben. Dies wird von vielen Seiten gefordert, da durch viele Tests zum einen mehr Kontrolle über etwaige Ausbrüche möglich ist, zum anderen auch Geimpfte und Genesene weiterhin ein Infektionsrisiko tragen. Das Kalkül, durch kostenpflichtige Tests Impfskeptiker zur Impfung zu bewegen, ist außerdem nicht aufgegangen. Das Instrument "Kostenlose Tests" wollen die Länder jedoch nicht nutzen.
Ebenso wenig sind Bund und Länder derzeit bereit, eine verpflichtende Impfung für Pflegepersonal einzuführen. Frankreich und die USA haben das bereits getan. Nach zunächst wütenden Protesten ist jedoch bislang in beiden Ländern keine Kündigungswelle von Pflegekräften zu verzeichnen. Dennoch scheut sich Spahn vor der Impfpflicht aus Sorge vor einer Spaltung der Gesellschaft. Die Spannungen beim Thema Impfung sind aus seiner Sicht schon jetzt sehr stark. Doch "solange noch ein Gespräch miteinander möglich ist, bleibt eine Gesellschaft zusammen".
Zusammenhalt zu demonstrieren, ist auch am Freitag spürbares Ziel der Vertreterinnen und Vertreter von Bund und Ländern. Wie weit die gemeinsamen Beschlüsse reichen, wenn es an die Umsetzung geht, ist erfahrungsgemäß aber noch sehr offen. Ebenso wie die Frage, ob die Maßnahmen, auf die man sich nun geeinigt hat, tatsächlich ausreichen im Kampf gegen die Delta-Variante. Denn eine Ministerpräsidentenkonferenz ist aktuell nicht in Planung. Die Beschlüsse der GMK sind derzeit alles, was Deutschland gegen das Corona-Virus auffährt.
Quelle: ntv.de