Kritik nach Thüringer Abstimmung SPD sieht Tabubruch, Merz soll klare Kante zeigen
15.09.2023, 15:28 Uhr Artikel anhören
Nur mit den Stimmen der AfD kann die Thüringer CDU ihr Vorhaben, die Grunderwerbssteuer zu senken, bei der Abstimmung durchsetzen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Linke hält die Brandmauer gegen rechts von den Christdemokraten nur für einen Vorhang, die Grünen machen CDU-Chef Merz verantwortlich. Eine Thüringer Landtagsentscheidung mit Stimmen der AfD schlägt auch auf Bundesebene hohe Wellen. Von der FDP kommt Kritik an ihrem Ableger in Erfurt.
Die gemeinsame Verabschiedung eines Gesetzes im Thüringer Landtag durch CDU, AfD und FDP ist bundesweit auf scharfe Kritik gestoßen. Spitzenpolitikerinnen und -politiker von SPD, Grünen und der Linken verurteilten das Vorgehen der Thüringer CDU. Zudem sehen Teile der Bundes-FDP auch die Rolle der Thüringer FDP kritisch.
"Die CDU in Thüringen hat gestern mit der Höcke-AfD gemeinsame Sache gemacht", erklärt der SPD-Parteivorstand in Berlin. "Mit diesen Demokratiefeinden darf es keine Zusammenarbeit geben", betonte die SPD-Spitze auf X (vormals Twitter).
"Diese Abstimmung war ein ganz besonderer politischer Tabubruch", sagte auch SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast dem "Spiegel". Sie warf der CDU vor, "von Anfang an mit den Stimmen der AfD geplant" zu haben. Dies sei "ein historisches Versagen der CDU", sagte sie weiter. "Jede und jeder, der jetzt bei der CDU noch von einer Brandmauer spricht, lügt sich selbst in die Tasche", fügte Mast hinzu.
Faeser hält Vorgehen der CDU für gefährlich
Bundesinnenministerin Nancy Faeser warf der CDU einen "irrlichternden Umgang mit der AfD" vor. "Die CDU reißt die Brandmauer nach rechts außen immer weiter ein", sagte die SPD-Politikerin. Der gemeinsame Beschluss mit der von Thüringer AfD unter Björn Höcke im Landtag sei "ein gefährlicher Beitrag zur Normalisierung von Rechtsextremen". Faeser warf die Frage auf, ob man sich in diesem für die Demokratie so wichtigen Punkt noch auf die CDU und ihren Vorsitzenden Friedrich Merz verlassen könne. Die Innenministerin ist Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl in Hessen am 8. Oktober.
Im Thüringer Landtag war am Donnerstag eine Grunderwerbsteuersenkung von 6,5 Prozent auf 5 Prozent beschlossen worden. Die Initiative zur Senkung der Steuer, die beim Kauf von Immobilien fällig wird, ging auf die CDU-Fraktion zurück, die in Thüringen in der Opposition ist. Der Entwurf erhielt eine Mehrheit, weil auch Abgeordnete von FDP, AfD und Fraktionslose dafür stimmten. In Thüringen regiert ein Bündnis aus Linke, SPD und Grünen, das jedoch im Landtag keine Mehrheit hat.
Söder verteidigt Thüringer CDU
Die CDU verteidigte hingegen ihr Vorgehen in Thüringen. Es sei infam, der CDU eine Nähe zur AfD zu unterstellen, sagte CDU-Vizechefin Karin Prien im Deutschlandfunk. Es habe im Erfurter Landtag keinerlei Absprachen mit der AfD gegeben. Die CDU müsse in der Lage sein, konstruktive Oppositionsarbeit zu leisten, ohne sich dafür gleich Vorwürfe anhören zu müssen. Ähnlich hatte sich zuvor auch der CDU-Vorsitzende Merz geäußert.
Rückendeckung bekam die CDU von CSU-Chef Markus Söder. Merz habe recht, wenn er sage, die CDU mache sich bei inhaltlichen Initiativen wie einer Senkung der Grunderwerbssteuer nicht von anderen Fraktionen abhängig, sagte Söder bei RTL.
Grüne: Merz soll Klarheit schaffen
"Die Entscheidung der CDU in Thüringen ist fatal", schrieb Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann auf X. Dies sei "ein weiterer Schritt zu einer Normalisierung der gesetzgeberischen Zusammenarbeit mit der antidemokratischen AfD". Haßelmann machte für diese Entwicklung Merz persönlich verantwortlich.
Grünen-Parteichefin Ricarda Lang forderte Merz auf, in der Angelegenheit für Klarheit zu sorgen. "Unsere Demokratie braucht eine stabile konservative Kraft, die klar steht, wenn es um die Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien geht", schrieb sie auf X. "Doch die Union ist das im Moment nicht", wie sich am Donnerstagabend in Thüringen gezeigt habe, kritisierte sie weiter. Grünen-Bundesgeschäftsführerin Emily Büning wies auf X darauf hin, dass die thüringische AfD vom Landesverfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft wird.
Scharfe Kritik übte auch die Linken-Bundesvorsitzende Janine Wissler: "Die 'Brandmauer' der CDU nach rechts ist ein Vorhang, der nach Belieben zur Seite geschoben wird", schrieb sie auf X. "Die Thüringen-CDU hat mit der Partei des Faschisten Höcke ein Steuergesetz durchgesetzt, das vorrangig den Reicheren nutzt", übte sie auch inhaltliche Kritik. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei hatte nach der Abstimmung im Landtag von einem "Pakt mit dem Teufel" gesprochen.
Strack-Zimmermann distanziert sich von Thüringer Liberalen
Aus der FDP im Bund kommt Kritik am Vorgehen der Partei in Thüringen, wo die FDP-Abgeordneten gemeinsam mit CDU und AfD die Gesetzesänderung beschlossen hatten. Dafür gebe es "keinerlei Unterstützung der Bundespartei", sagte die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die die FDP im kommenden Jahr in den Europawahlkampf führen soll, dem "Spiegel". Sie erinnerte dabei an die umstrittene Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich, der 2020 in Thüringen mit Unterstützung von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden war. Er trat kurz darauf auch auf Druck der Bundes-FDP wieder zurück. Seither gilt das Verhältnis zwischen der FDP im Bund und in Thüringen als schwierig.
Kritik an dem erneuten gemeinsamen Vorgehen vor allem der CDU mit der AfD übte auch die Vorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann. "Es verbietet sich für aufrechte Demokraten, politische Initiativen zu starten, deren Gelingen von der Unterstützung durch Rechtsextreme abhängig ist", sagte sie dem ARD-Hauptstadtstudio. Genau dies sei jetzt aber in Thüringen passiert.
FDP-Chef Christian Lindner hatte zuvor ebenfalls die CDU für den Vorgang verantwortlich gemacht. "Es war ein Antrag der CDU-Landtagsfraktion", sagte Lindner der "Augsburger Allgemeinen". "Deshalb ist das jetzt die Verantwortung der CDU." Der Gesetzesbeschluss mit den Stimmen der AfD sei "kein gutes Signal". Kritik daran, dass auch die FDP im Landtag für die Gesetzesänderung gestimmt hatte, übte Lindner jedoch ausdrücklich nicht.
Quelle: ntv.de, hul/dpa/AFP