Politik

Ex-Grüne wechselt Seiten So könnte Melis Sekmen der CDU helfen

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Melis Sekmen wurde in der Unionsfraktion freundlich empfangen. Deren Vorsitzender Merz bescheinigte ihr Teilnehmern zufolge "eine beeindruckende Familiengeschichte".

Melis Sekmen wurde in der Unionsfraktion freundlich empfangen. Deren Vorsitzender Merz bescheinigte ihr Teilnehmern zufolge "eine beeindruckende Familiengeschichte".

(Foto: picture alliance/dpa)

Eine Abgeordnete der Grünen wechselt die Seiten. Die Mannheimerin Melis Sekmen ist bei ihrer alten Partei ausgetreten und Mitglied bei der CDU geworden. Die heißt die 30-Jährige willkommen. Zumindest auf dem Papier ist sie der perfekte Neuzugang.

So etwas kommt nicht alle Tage vor, aber es kommt vor: Ein Mitglied des Bundestages tritt aus seiner Partei aus und schließt sich einer anderen an. Die CDU bekommt nun auf diese Weise Verstärkung. Die bisherige Grünen-Abgeordnete Melis Sekmen möchte sich der Fraktion der Union anschließen, die dann 196 Mitglieder hat. Ihre neue Partei heißt sie willkommen, so sagte es der Vorsitzende Friedrich Merz. Der Parlamentarische Geschäftsführer Thorsten Frei tat es ihm am Dienstagmorgen vor Journalisten in Berlin gleich. In der Fraktionssitzung am Nachmittag stellte sie sich vor - noch als Gast. Sie bekam langen Applaus von den Abgeordneten, wie ntv.de von Teilnehmern erfuhr.

Sie präsentierte sich demnach in Mundart als "Monnemerin" und erzählte von ihrer Familiengeschichte. Ihr Großvater sei als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, auch ihre Eltern hätten einen Migrationshintergrund. "Das sind alles Menschen, die mich geprägt haben und mir geholfen haben, über den Tellerrand hinauszublicken." Sie setze sich seit vielen Jahren dafür ein, mehr Menschen fürs Unternehmertum zu begeistern. "Ich bekenne mich zur Sozialen Marktwirtschaft", sagte sie demnach. Merz sprach vor der Sitzung von einer "beeindruckenden Familiengeschichte". Forderungen der Grünen, Sekmen solle ihr Mandat niederlegen, wies er zurück. Sie sei frei gewählte Abgeordnete und nur ihrem Gewissen verpflichtet.

Vier Eigenschaften

Sekmens Begründung ihres Schrittes dürfte den beiden gefallen haben: Das neue Grundsatzprogramm der CDU habe sie überzeugt, sagte die 30-jährige frühere Kommunalpolitikerin in einem Video auf Instagram. Sekmen könnte eine echte Verstärkung für die CDU bedeuten - zumindest auf dem Papier. Sie bringt gleich vier Eigenschaften mit, die in der Partei oft schmerzlich vermisst werden.

1. Sie ist jung

Die CDU war in ihrer Geschichte selten eine Partei der Jugend. 2021, zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode, waren nur sechs Prozent der Mitglieder 30 Jahre oder jünger. Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 61 Jahren. Ähnlich sieht es bei der CSU und auch bei der SPD aus. Das muss nicht so sein. Grüne, Linke und FDP machen vor, dass es auch anders geht. Etwa 20 Prozent der Mitglieder dieser drei Parteien sind unter 30. Die Unionsabgeordneten im Bundestag sind allerdings deutlich jünger als ihre Mitglieder. Im Schnitt waren sie im Oktober vor dreieinhalb Jahren 49,3 Jahre alt.

2. Sie ist eine Frau

Die CDU ist noch immer stark von Männern geprägt. Daran haben auch 18 Jahre Parteivorsitz von Angela Merkel nicht viel geändert. Gut ein Viertel der Mitglieder sind Frauen. Bei der SPD ist es ein Drittel, bei den Grünen sind es mehr als 40 Prozent - so viele wie in keiner anderen großen deutschen Partei. Die CDU liegt damit immer noch vor CSU, FDP und AfD. Doch der niedrige Frauenanteil ist ein Problem. So könnte der Eindruck entstehen: Die Partei hinkt in Sachen Gleichberechtigung hinterher. Das dürfte bei vielen Frauen nicht gut ankommen - und die Hälfte der Wählerschaft besteht nun einmal aus Frauen. Frauen wählen natürlich auch Männer. Tatsächlich wählen Frauen seit 1953 sogar überproportional CDU und CSU. Im Gegensatz zu FDP und AfD, die vor allem von Männern gewählt werden.

3. Sie kommt aus einer Großstadt

Noch so ein Problem der CDU: Die Großstädte. Die Heimat der CDU sind ländlich geprägte Räume, das gilt genauso für die CSU. Das ist natürlich auch eine Stärke. Schließlich leben gut 40 Prozent der Deutschen in Städten unter 100.000 Einwohnern. Doch schneidet die Partei in großen Städten oft schlecht ab. Grüne und SPD dagegen überdurchschnittlich gut. So schwarz-weiß wie in der Vergangenheit ist das Bild allerdings nicht mehr. So gewann die CDU beispielsweise die Wiederholungswahl in Berlin - und auch die Kommunalwahl in Mannheim, der Heimatstadt von Melis Sekmen. Seit Juli 2023 stellt die CDU dort den Oberbürgermeister. Bei der Bundestagswahl 2021 gewann dagegen die SPD das Direktmandat. Sekmen kam mit den Grünen auf Platz 3. Ob sie als CDU-Kandidatin ein besseres Ergebnis für ihre neue Partei erreichen könnte, lässt sich aber nicht so einfach beantworten. Junge Wählerinnen könnten sich aber sehr wohl eher von ihr angesprochen fühlen.

4. Sie hat Migrationshintergrund

Menschen mit Migrationshintergrund gibt es auch in der CDU, doch sind sie seltener als in anderen Parteien. Auch das muss eine Volkspartei beunruhigen. Denn mittlerweile haben etwa 30 Prozent der Deutschen Wurzeln in anderen Ländern. Bei Kindern und Jugendlichen sind es sogar 40 Prozent. So ist es auch bei Sekmen. Ihr Vater kam aus der Türkei nach Deutschland. Die CDU sieht sich als letzte Volkspartei - nur sollte sich das nicht auch in der Mitgliederstruktur zeigen? Im Bundestag ist die Unionsfraktion jedenfalls Schlusslicht. Gerade einmal 4,1 Prozent der Abgeordneten hatten Ende 2021 Migrationshintergrund. Das sind noch weniger als bei der AfD mit 7,2. Vorn liegen Linke und SPD mit 28 und 17 Prozent.

Oder sind das nur Schubladen?

Letztlich sind diese vier Eigenschaften nur Schubladen, in die man die Politikerin Sekmen stecken kann. In die sie aber eigentlich nicht so gern gesteckt werden möchte - besonderen Applaus bekam sie in der Fraktion für die Äußerung: "Wir müssen unsere Meinung sagen, ohne gleich in Schubladen gesteckt zu werden."

Ohnehin wird sie ihre neuen Parteifreunde und vor allem die Wählerschaft zuerst mit ihrer Arbeit überzeugen müssen. Das gilt auch für eine etwaige CDU-Kandidatur bei der nächsten Bundestagswahl in Mannheim. Die ist ihr keineswegs sicher. Wer nach vielen Jahren bei den Grünen zur CDU stößt, muss sich erstmal Vertrauen erwerben. Wie überzeugt ist sie wirklich vom Parteiprogramm? Wie viel "Grün" steckt noch in ihr? Die Partei hängt den Seitenwechsel jedenfalls nicht an die große Glocke. Von Triumphgeheul keine Spur.

In einer früheren Version des Artikels wurde die Größe der Unionsfraktion nicht korrekt angegeben. Aktuell verfügt sie über 195 Abgeordnete, mit Frau Sekmen wären es 196.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen