Politik

Wladimir Putins 9. Mai Tag des Sieges oder Tag des Krieges?

Der russische Präsident Wladimir Putin steht unter Druck. Am 9. Mai, dem traditionellen Tag des Sieges, muss er eine Entscheidung treffen.

Der russische Präsident Wladimir Putin steht unter Druck. Am 9. Mai, dem traditionellen Tag des Sieges, muss er eine Entscheidung treffen.

(Foto: dpa)

Die Welt blickt gebannt auf den 9. Mai, den Tag, an dem traditionell in Russland der Sieg über die deutschen Faschisten gefeiert wird. Mit Blick auf die Lage im Krieg gegen die Ukraine rückt die Vermutung näher, dass Putin den Tag nutzen könnte, um eine allgemeine Mobilmachung auszurufen.

Wie der Krieg in der Ukraine weitergeht, hängt nach Aussagen von Experten ganz entscheidend von einem Tag ab. Dem Tag, der in der früheren Sowjetunion und auch im heutigen Russland als Tag des Sieges über das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg und damit auch als Ende des "Großen Vaterländischen Krieges" gefeiert wird. In Deutschland und weiten Teilen Europas steht bekanntlich der 8. Mai als Tag der Befreiung im Kalender. Warum? Weil man in Russland den Zeitpunkt der Ratifikation der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands am 9. Mai um 00.16 Uhr Ortszeit in Berlin als Ende des Krieges betrachtet.

Wie dem auch sei, der Tag ist für Russland geschichtlich aufgeladen. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace warnte gegenüber der "Sun", dass der russische Präsident Wladimir Putin den 9. Mai nutzen könnte, um seine Truppen auf einen "Krieg gegen eine Welt der Nazis" einzuschwören.

Auch im russischen Fernsehen wird die Propagandamaschine durch die Chefredakteurin des staatlichen Senders RT, Margarita Simonyan, weiter am Laufen gehalten. Die Propagandistin wies darauf hin, dass es wahrscheinlicher sei, dass Putin einen Atomschlag starten würde, als Russland zu erlauben, den Krieg zu verlieren. "Entweder wir verlieren in der Ukraine, oder der Weltkrieg beginnt", verkündete Simonyan. Mit welchem Hass die Argumentation im russischen Staatsfernsehen geführt wird, belegt auch die Aussage von Simonyan zu einem möglichen Kriegsszenario: "Wir gehen in den Himmel, während die Feinde nur krächzen", führt sie aus und endet mit dem Satz: "Wir werden alle einmal sterben."

Putin steht unter Druck

Die Diktion im Staatsfernsehen und die politische Rhetorik Russlands sollen das Volk offenbar auf einen langen Krieg einschwören, der ursprünglich als "Zwei-Tage-Krieg" geplant war. Unterdessen dauert er mehr als zwei Monate und der versprochene Sieg über die "ukrainischen Faschisten", wie sie von russischen Politikern und vom Staatsfernsehen gleichermaßen bezeichnet werden, ist nicht in Sicht. Stattdessen erlitt das russische Militär schwere Verluste und wurde an entscheidenden Stellen sogar zurückgeschlagen. Eine begrenzte Offensive soll jetzt dafür sorgen, dass wenigstens Donbass und die Südukraine gesichert werden. Sollte das bis zum 9. Mai gelingen, könnte Putin den Tag in doppelter Hinsicht als Tag des Sieges feiern. Zudem könnte es für Putin die Möglichkeit sein, der Ukraine Verhandlungen anzubieten.

Russlands Außenministers Sergei Wiktorowitsch Lawrow verwies im russischen Staatsfernsehen darauf, dass die "Gefahr einer Ausweitung des Krieges real sei".

Russlands Außenministers Sergei Wiktorowitsch Lawrow verwies im russischen Staatsfernsehen darauf, dass die "Gefahr einer Ausweitung des Krieges real sei".

(Foto: dpa)

Doch es gibt auch andere Stimmen, wie die der Kriegsanalysten des Royal United Services Institute for Defence and Security Studies, Jack Watling und Nick Reynolds. In ihrer Studie zur russischen "Operation Z" gehen sie davon aus, dass Putin am 9. Mai nicht den Sieg verkünden wird, sondern die Mobilisierung des russischen Volkes ausruft. So heißt es in dem Dossier: "Der 9. Mai hat sich von einer Deadline für den Sieg in den Beginn einer riesigen Mobilmachung gewandelt." Die beiden Autoren schreiben, dass die russische Führung längst erkannt habe, dass es Zeit brauche, um die Ziele im Osten der Ukraine zu erreichen. Deshalb erwarten Watling und Reynolds eine "Großoffensive" im Sommer.

Die Rede wird von Krieg sein

Weiter gehen die Autoren davon aus, dass die russische Führung ab dem 9. Mai nicht mehr von einer "militärischen Spezialoperation" gegen die Ukraine sprechen wird, sondern von einem "Krieg", ein Begriff, mit dem der Überfall auf die Ukraine in Russland bislang nicht bezeichnet werden darf. Watling und Reynolds beobachten schon seit geraumer Zeit eine veränderte Rhetorik der russischen Führung mit Blick auf den Einmarsch in der Ukraine. Hier steht mittlerweile der Konflikt mit "den Angelsachsen" und der NATO im Mittelpunkt.

Auch die Experten des Zentrums für europäische politische Analyse (Cepa) sehen eine Verschärfung des Kriegsgeschehens in der Ukraine. Unter Berufung auf Berichte des russischen Geheimdienstes gehen die Autoren davon aus, dass das russische Militär die bisherige Strategie für einen fatalen Fehler hält. Während die NATO-Staaten der Ukraine immer schwerere Waffen lieferten, würden die russischen Truppen noch unter "Friedensbedingungen" kämpfen. So würden Luftangriffe "nur" auf einige wichtige Ziele der ukrainischen Infrastruktur geflogen, nicht aber konsequent gegen einen Feind, der immer weiter aufgerüstet werde. Jetzt brauche es, so die daraus folgende Schlussfolgerung, eine umfängliche Mobilmachung. Das würde bedeuten, dass der Krieg gegen das angebliche Brudervolk noch drastisch ausgeweitet würde, mit wachsenden Verlusten auch auf russischer Seite.

Bis dato ist man seitens der NATO versucht, all dies als Waffengerassel abzutun. Doch es gibt bereits warnende Stimmen. Der Verteidigungsexperte im US-Thinktank Rand Corporation, Mike Mazarr, sagt: "Es könnte lediglich eine Drohgebärde Russlands sein. Doch wenn es stimmt, dass Putin den Kurs ändert, darf das Risiko nicht unterschätzt werden." Eine nationale Mobilmachung und die Verkündung Putins am 9. Mai, dass man sich ab sofort im Krieg befände, brächten auch "die USA in große Bedrängnis". Denn es ist nicht zu erwarten, dass die Ukraine, die USA oder die europäischen NATO-Länder nachgeben werden. Auch ein russischer Sieg scheint bis dahin ausgeschlossen. In jedem Fall birgt die von Putin angestrebte Mobilisierung erhebliche politische Risiken, bis hin zu einer Ausweitung des Krieges.

Quelle: ntv.de

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