Truppenabzug aus Deutschland Trumps Entscheidung ist nachvollziehbar
16.06.2020, 19:13 Uhr
9500 Soldaten will Trump aus Deutschland abziehen. Ganz überraschend kommt das nicht.
(Foto: dpa)
Trump will die Bundesregierung "bestrafen" und kündigt an, fast 10.000 US-Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Es klingt erneut schrill - aber ist das wirklich so?
Donald Trumps Entscheidung, jeden dritten in Deutschland stationierten US-Soldaten abzuziehen, trifft hierzulande auf deutliche Kritik. "So geht man nicht mit Partnern um", sagt etwa Unionsfraktionsvize Johann Wadephul. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans reagierte im "ntv Frühstart": "Das ist schon etwas, worüber man verstimmt sein muss." Schon als das "Wall Street Journal" vor rund zwei Wochen darüber berichtete, Trump habe das Pentagon angewiesen, den Abzug vorzubereiten, hagelte es Kritik. Der deutsche Koordinator für transatlantische Beziehungen, Peter Beyer, sagte damals gar voraus, die Reduzierung der US-Truppen werde "die Säulen der transatlantischen Beziehungen erschüttern".
Auch die Beweggründe für die Entscheidung mochte man hierzulande nicht verstehen. "Einen sachlichen Grund für den Abzug vermag ich nicht zu erkennen", sagte etwa CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Und SPD-Chef Walter-Borjans sagte heute zu ntv: "Es ist hier offenbar wieder eines dieser Themen des 'America first' und ich gucke nur darauf, was mir gerade passt und für die Wahl in den USA ausschlaggebend sein könnte." Aber ist das wirklich so?
Trump begründete seine Entscheidung unter anderem mit dem fehlenden Willen der Bundesregierung, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung auszugeben. "Bis sie (die Deutschen) bezahlen, ziehen wir unsere Soldaten ab, einen Teil unserer Soldaten", sagte er im Weißen Haus. Immer wieder argumentiert Trump mit dem Zwei-Prozent-Ziel. Irritiert fragt auch SPD-Chef Walter-Borjans: "Was ist das für eine Zahl, dass, wenn die Wirtschaft wächst, man aufrüsten muss?"
Deutschland ignoriert das Nato-Ziel
Das müsste er eigentlich wissen, denn diese Zahl hatte sein Parteikollege Peter Struck einst als Verteidigungsminister mit ausgehandelt - unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Beim Nato-Gipfel 2002 in Prag haben sich alle Nato-Staaten dieses Ziel gesetzt. Damals wurden die baltischen Staaten sowie Bulgarien, Rumänien und die Slowakei eingeladen, Teil des Bündnisses zu werden. Um "genügend Ressourcen" zu mobilisieren, sollten die Aspiranten mindestens zwei Prozent ihres BIP ausgeben. Und weil es im Bündnis gerecht zugehen sollte, erklärten sich auch die bestehenden Nato-Staaten bereit, ihre Ausgaben dementsprechend zu erhöhen. 2014 gab es in Wales erneut ein Treffen und auch dort unterzeichnete ein SPD-Politiker, der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, eine Selbstverpflichtung, den Anteil bis zum Jahr 2024 auf zwei Prozent zu erhöhen.
Viel passiert ist aber nicht. Seit dem Ende des Kalten Krieges 1990 ist der Anteil der deutschen Verteidigungsausgaben am BIP mehr oder weniger beständig zurückgegangen. Dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri zufolge lagen sie 1990 bei 2,7 Prozent, 1992 unterschritten sie die 2-Prozent-Marke und 1999 waren es noch 1,4 Prozent. Im Jahr 2019 lagen sie bei 1,38 Prozent. Auch Trumps Vorgänger Barack Obama und George W. Bush haben sich regelmäßig darüber beschwert. Bush sagte bei seinem letzten Nato-Gipfel 2006 in Lettland, Europa müsse mehr in seine eigene Verteidigung investieren, um stärker zu werden.
Deutlicher wurde Obama, etwa 2014 in Brüssel: "Wenn wir eine kollektive Verteidigung haben, bedeutet das, dass jeder mitmachen muss und ich habe Bedenken, weil einige unserer Partner weniger zahlen." Im Gegensatz zu Deutschland haben sich viele osteuropäische Nato-Partner an die Abmachung gehalten und in den vergangenen Jahren ihre Budgets teils deutlich erhöht. Litauen, Rumänien, Polen, Lettland, Estland und Bulgarien zahlen zwei Prozent oder mehr. Kein Nato-Mitglied jedoch gibt mehr für Verteidigung aus als die USA.
Allein Obama zog 20.000 Soldaten ab
In seiner Begründung sprach Trump auch indirekt von der deutsch-russischen Gaspipeline Nord Stream 2. Er kritisierte: "Warum zahlt Deutschland Russland Milliarden Dollar für Energie und dann sollen wir Deutschland vor Russland schützen? Wie soll das funktionieren? Es funktioniert nicht." Das Projekt wurde von Beginn an in Washington als Affront aufgefasst - nicht erst, seit Trump im Weißen Haus sitzt.
Auch Bush- und Obama-Administration hatten bereits deutlichen Protest geäußert. Beim Bau der ersten Nord-Stream-Röhre warnte etwa der US-Botschafter in Schweden, Michael Wood, in einem Beitrag in einer schwedischen Tageszeitung davor, Europa dürfe sich angesichts des Krieges in Georgien nicht von Russland abhängig machen. Die Bundesregierung reichte damals bei der US-Botschaft in Berlin einen offiziellen Protest wegen der "Einmischung" ein. Deutliche Worte fand auch die Staatssekretärin im US-Energieministerium, Elizabeth Sherwood-Randall, kurz vor dem Ende von Obamas Amtszeit 2016. Damals war die Planung für die zweite Röhre bereits im vollen Gange. Die G7-Staaten hätten sich verpflichtet, ihre Energiequellen zu diversifizieren, führte sie an. "Eine Pipeline aber zu verdoppeln, anstatt neue Routen zu erschließen, verbessert Europas Energiesicherheit nicht", sagte sie.
Der Widerstand von Obama und Bush mag weniger schrill gewesen sein als der von Trump - aber die USA waren immer gegen die Pipeline. Und die deutsche Bundesregierung hat sich in der Sache nicht bewegt. Im Gegenteil: Sie schien US-Befürchtungen eher noch zu bestätigen. So hat Kanzlerin Angela Merkel stets bekräftigt, es handele sich bei dem Projekt um ein rein ökonomisches. Im April 2018 räumte sie dann aber ein, dass "natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind".
Trump will nun 9500 von 34.500 Soldaten aus Deutschland abziehen, das klingt viel - immerhin fast ein Drittel. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass die allermeisten in Deutschland stationierten US-Soldaten schon längst wieder in Übersee sind. Von den im Jahr 1990 rund 200.000 hierzulande stationierten Truppen waren zehn Jahre später nur noch rund 70.000 übrig. Bush Junior reduzierte weiter auf etwa 56.000 im Jahr 2009. Und in den Obama-Jahren bis 2017 wurde die Präsenz weiter verringert. Trumps Vorgänger ließ mehr als 20.000 US-Soldaten aus Deutschland abziehen - mehr als doppelt so viele wie nun von dem amtierenden Präsidenten vorgeschlagen.
"Die Amerikaner sind nicht hier, um uns einen Gefallen zu tun"
Auch hat sich die Aufgabe der hier stationierten Soldaten seit dem Ende des Kalten Krieges grundlegend gewandelt. Der Schutz Deutschlands vor fremden Mächten ist dabei, wenn überhaupt, nur noch ein marginales Ziel. Die US-Armee steuert über ihre Basen in Ramstein und Stuttgart Einsätze in Asien und Afrika und betreibt auf deutschem Boden das größte Militärkrankenhaus außerhalb Amerikas.
Nach den Medienberichten über den Abzug kam aber auch Gegenwind aus den USA. So kritisierte der frühere Befehlshaber der US-Truppen in Europa, General Ben Hodges, Trump vernachlässige US-Interessen: "Der Grund, aus dem wir US-Truppen in Deutschland stationiert haben, ist nicht der Schutz der Deutschen; alles, was wir haben, ist zu unserem Nutzen." Auch der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, sagte: "Die Amerikaner sind nicht hier, um uns einen Gefallen zu tun, sondern weil sie strategische Interessen haben." Kritik an Trumps Entscheidung ist in jeglicher Hinsicht legitim - aber sollte sie vor dem Hintergrund nicht vor allem aus dem Pentagon kommen?
Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren weder beim gemeinsamen Nato-Ziel noch bei der im Rahmen von G7 vereinbarten Diversifizierung der Energieversorgung besonders kooperativ gezeigt. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung Trumps nachvollziehbar. Dass die Ankündigung in Deutschland auf derart breiten Protest trifft, ist daher eigentlich verwunderlich und vermutlich mit dem gewachsenen emotionalen Verhältnis zur US-Armee zu erklären. Lauter müsste die Kritik eigentlich aus den USA sein. Denn damit, über Jahrzehnte gewachsene Stützpunkte in Deutschland empfindlich zu schwächen, schadet Trump vor allem den strategischen Interessen seines eigenen Landes und "bestraft" am Ende seine eigenen Leute.
Quelle: ntv.de