Boykott-Androhungen aus Deutschland Ukraine sieht nur "Zeitungsente"
30.04.2012, 09:50 Uhr
Viktor Janukowitsch hat nun ein Problem.
(Foto: REUTERS)
Die Ukraine ist in der Bredouille. Wegen ihres Umgangs mit der inhaftierten Oppositionspolitikerin wächst der Druck aus Deutschland. Nun warnt der ukrainische Außenamtssprecher davor, den "Sport zu einer Geisel der Politik zu machen". Rückendeckung bekommt er von DOSB-Präsident Bach, der "an die Kraft des Sportes" glaubt.
Berichte über einen der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine durch die Bundesregierung sind in Kiew auf Unverständnis gestoßen. Er hoffe, dass dies nur eine "Zeitungsente" sei, sagte Außenamtssprecher Oleg Woloschin in Kiew.
"Man will gar nicht daran denken, dass die Staatsmänner Deutschlands fähig sind, die Methoden der Zeiten des Kalten Krieges wiederzubeleben und zu versuchen, den Sport zu einer Geisel der Politik zu machen", sagte Woloschin nach Angaben örtlicher Medien.
In Charkow, wo die Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko inhaftiert ist, wies die Staatsanwaltschaft schwere Beschuldigungen der Politikerin zurück, sie sei bei einem erzwungenen Transport in eine Klinik vor einer Woche geschlagen worden. Keiner der Ärzte oder Krankenpfleger habe dies bei einer Befragung bestätigt, sagte ein Justizsprecher dem Fernsehsender 5 Kanal.
Timoschenko befindet sich nach eigenen Angaben seit dem 20. April im Hungerstreik. Sie wirft dem Staat Foltermethoden in Haft vor, weil sie nicht ordnungsgemäß behandelt werde. Der Machtapparat bezeichnete sie dagegen als Simulantin. Jüngste Fotos zeigen die 51-Jährige mit Prellungen, die ihr Wachbeamte zugefügt haben sollen. Die Anführerin der Orangenen Revolution war im Vorjahr nach einem international umstrittenen Prozess wegen Amtsmissbrauchs zu sieben Jahren Straflager verurteilt worden. Die Ukraine trägt gemeinsam mit Polen die am 8. Juni beginnende Fußball-EM aus.
Scharfe Kritik aus Berlin
Die Bundesregierung übt bereits am Wochenende scharfe Kritik am Umgang mit Timoschenko. , ihren Ministern zu empfehlen, den EM-Spielen in der Ex-Sowjetrepublik fernzubleiben. Dies gilt nach einem Bericht des Magazins "Der Spiegel" für den Fall, dass Timoschenko nicht für eine angemessene medizinische Behandlung freigelassen wird.
Stephan Mayer, Mitglied im Sportausschuss des Bundestages, sagte nun der "Bild"-Zeitung: "Kein Mitglied der Bundesregierung sollte an der EM als Zuschauer teilnehmen." Die Ukraine sei mit ihrem "Verhalten im Fall Timoschenko drauf und dran jede Chance auf Glaubwürdigkeit zu verspielen", so der CSU-Politiker.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier forderte eine "vernünftige ärztliche Behandlung" für Timoschenko, am besten hier in Deutschland. "Einen halte ich nicht für ratsam, weil der Sport nicht jetzt das lösen kann, was Staatengemeinschaften auch nicht lösen können", so der CDU-Politiker weiter in der "Bild"-Zeitung. "Als politisch Verantwortlicher kann man jedoch nicht in die Ukraine fahren und so tun, als gäbe es das Problem nicht!" Gisela Piltz, Mitglied im Bundesvorstand der FDP, kritisiert ebenfalls die Zustände in der Ukraine scharf. Die Politikerin sagte der "Bild"-Zeitung: "Die Entwicklung in der Ukraine ist problematisch und besorgniserregend. Demokratie sieht anders aus!"
Zwanziger gegen Boykott
IFA- und UEFA-Exekutivmitglied Theo Zwanziger sieht in einem Boykott der Spiele der Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine keine Lösung. "Eine Absage ist keine Alternative, damit haben wir in der Vergangenheit bei anderen Ereignissen überhaupt nichts erreicht", sagte der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) dem Hessischen Rundfunk.
Der Jurist forderte allerdings die Spieler der deutschen Nationalmannschaft zu kritischen Meinungsäußerungen auf: "Das erwarten wir von einem mündigen Staatsbürger, der Fußball spielt." Der Sport habe die Möglichkeiten, die Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine zu beanstanden. Zwanziger weiter: "Wir treten ein für Rechtstaatlichkeit und Demokratie, und dann müssen wir das überall tun, wo wir hingehen."
Aber nicht nur die deutschen Nationalspieler nahm Zwanziger in die Pflicht: "Was ich mir wünschen würde, wäre ein klareres Bekenntnis der führenden Sportfunktionäre." Konkret meine er damit die Europäische Fußball-Union (UEFA), aber auch die Nationalverbände. "Wir müssen klar und deutlich sagen, dass Politik und Sport nicht zwei verschiedene Dinge sind", betonte Zwanziger. Sport sei nur dann wertvoll, "wenn er sich da, wo er ist - wir sind ja in der Ukraine - auch klar und deutlich bekennt, um dazu beizutragen, dass die, die dort Unrecht tun, sich nicht anschließend noch feiern lassen".
Auch Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), sprach sich gegen einen Boykott aus. "Boykotte von sportlichen Großereignissen haben sich in der Vergangenheit als sinn - und erfolglos erwiesen. Nach dem Boykott der Olympischen Spiele 1980 ist nicht ein russischer Soldat aus Afghanistan abgezogen worden", sagte Bach dem Hessischen Rundfunk.
Zudem appellierte Bach an die politische Neutralität des Sports. "Sport kann und muss politisch sein, muss dabei immer neutral bleiben. Nur dann kann er verbindend wirken und mithelfen, Brücken zu bauen, anstatt Mauern zu errichten. Sonst würde er zwischen den Fronten zerrieben", äußerte Bach weiter. Trotzdem glaubt der DOSB-Chef an einen möglichen positiven Einfluss der EURO auf die Zustände in der Ukraine. Laut Bach sorgt "die weltweite Berichterstattung im Vorfeld der EM auch in der Ukraine für Diskussionen. Das ist die Kraft des Sports, so eine breite Wirkung zu erzielen".
Klaus kommt nicht
Nach Bundespräsident sagte inzwischen auch der tschechische Präsident Václav Klaus seine Reise zum geplanten Gipfeltreffen Mitte Mai in der Ukraine ab. Das berichtete die Prager Zeitung "Lidové Noviny" unter Berufung auf den Sprecher des Präsidenten. Als Hauptgrund für die Absage nannte der Sprecher Bedenken angesichts der Inhaftierung der Ex-Regierungschefin und Oppositionsführerin Julia Timoschenko.
Die Beziehungen zwischen Tschechien und der Ukraine sind gespannt, seit Prag Timoschenkos Ehemann Alexander Timoschenko im Januar Asyl gewährte. Ein Jahr zuvor hatte der EU-Mitgliedsstaat bereits den ukrainischen Ex-Wirtschaftsminister Bogdan Danilischin aufgenommen.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/sid