Politik

Erschütternde Szenen des Krieges "Warum? Warum? Warum?" Mariupol versinkt in Verzweiflung

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Serhiy Kralya, Mariupol, 11. März 2022.

(Foto: AP)

Der Krieg in der Ukraine und die Belagerung der Hafenstadt Mariupol bestimmen die Schlagzeilen. Zahlen und Fakten dringen nach außen, doch so richtig erschließt sich die Bedeutung nicht, wenn man hört, wie viele Tote es gab oder wie viel Wohnraum zerstört wurde. Umso wichtiger ist es, Berichte von vor Ort zu bekommen. Derzeit harren zwei Journalisten der US-Nachrichtenagentur Associated Press in Mariupol aus. Sie sind die einzigen internationalen Journalisten vor Ort. Nun konnten sie einen ausführlichen Bericht aus Mariupol schicken. Ihre erschütternden Beobachtungen und teils drastischen Darstellungen und ihre Fotos der Lebenden und der Toten vermitteln eine Ahnung von den Schrecken dieses Krieges.

Die Leichen der Kinder liegen alle hier, in diesem schmalen Graben, der aus Mariupols gefrorenem Boden ausgehoben worden ist. Da ist der 18 Monate alte Kirill mit den Schrapnellwunden am Kopf, die zu viel für seinen kleinen Körper waren. Und da ist der 16-jährige Ilija, dessen Beine bei einer Explosion zerrissen wurden - während er Fußball spielte. Und da ist das Mädchen, nicht älter als sechs, das einen Schlafanzug mit Cartoon-Einhörnern trug, als eine russische Granate sein Leben beendete.

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Marina Yatsko und ihr Freund Fedor rennen am 4. März ins Krankenhaus von Mariupol. Auf dem Arm der 18 Monate alte Kirill.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

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Die Ärzte versuchen alles, sie schaffen es nicht. Kirill stirbt.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Sie werden aufeinander gestapelt, zusammen mit Dutzenden anderen in diesem Massengrab am Rande der Stadt. Ein Mann, bedeckt mit einer leuchtend blauen Plane, eine Frau, eingewickelt in ein Bettlaken, die Füße an den Knöcheln mit einem Stoffstreifen zusammengebunden. Arbeiter werfen die Leichen in die Erde, so schnell sie nur können, denn je weniger Zeit sie damit verbringen, desto besser sind ihre eigenen Überlebenschancen. Der Lärm andauernden Bombardements ist eine ständige Erinnerung daran.

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Massengräber am Rande von Mariupol

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

"Das einzige, das ich will, ist, das hier zu Ende zu bringen", sagt Arbeiter Wolodymyr Bykowskyj voller Zorn, während er Leichensäcke aus einem Laster zerrt. "Diese verfluchten Leute, die dies alles angefangen haben!" Mehr Tote werden kommen, von Straßen, wo man sie überall sieht, und aus dem Keller des Krankenhauses, in dem Kinder und Erwachsene aufbewahrt werden, bis man sie abholt. Das jüngste Opfer trägt noch den Rest seiner Nabelschnur.

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Tote Kinder und Erwachsene im Keller des Krankenhauses Nummer 3 in Mariupol.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Drastischer könnte er sich nicht zeigen, der Fluch einer Geografie, die Mariupol direkt in den Weg der russischen Invasionstruppen platziert hat. Die Hafenstadt am Asowschen Meer mit einst 430.000 Einwohnern ist ein Symbol für das Streben des russischen Präsidenten Wladimir Putin geworden, die demokratische Ukraine zu zermalmen - aber auch für den erbitterten Widerstand. In den beinahe drei Wochen, seit der Krieg begann, waren zwei Journalisten der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press die einzigen internationalen Journalisten in Mariupol, die den Sturz der Stadt in Chaos und Verzweiflung dokumentierten. Die Stadt ist jetzt von russischen Soldaten umzingelt, die langsam das Leben aus ihr quetschen, mit einem Geschoss nach dem anderen.

Mehrere Appelle zur Einrichtung humanitärer Korridore für Evakuierungen blieben erfolglos, bis ukrainische Offizielle dann am Dienstag berichteten, dass etwa 4000 Pkws mit Zivilisten die Stadt verlassen hätten. Raketen und Granaten haben eine Entbindungsklinik, die Feuerwehrabteilung, Privathäuser, eine Kirche und einen Schulhof getroffen. Für die Hunderttausenden, die noch verblieben sind, gibt es praktisch keinen Ausweg.

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Mariupol ist inzwischen weitgehend zerstört. Alles wurde beschossen: Wohnviertel, Kindergärten und Schulen, Theater. Krankenhäuser.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Die Straßen in der Umgebung sind vermint, der Hafen ist blockiert. Lebensmittel gehen aus. Es gibt fast keinen Strom mehr, Wasser ist knapp, die Einwohner schmelzen Schnee zum Trinken. Einige Eltern haben sogar ihre neugeborenen Kinder im Krankenhaus zurückgelassen, vielleicht weil sie hofften, ihnen so, an dem einen Ort mit verlässlichem Strom und Wasser, eine Chance aufs Leben zu geben.

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Früh geborene Babys wurden im Krankenhaus zurückgelassen - vielleicht, weil es dort dauerhaft Strom und Wasser gibt?

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Es ist unmöglich, alle Leichen zu zählen

Die Leute verbrennen Möbelteile, um ihre Hände in der Eiseskälte zu wärmen und das bisschen Essen zu kochen, das sie noch haben. Dafür errichten sie Öfen, die sie aus dem Material bauen, das nun im Überfluss vorhanden ist: Ziegel und Metalltrümmer aus zerstörten Gebäuden, die auf den Straßen herumliegen.

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Die Versorgung Mariupols ist zusammengebrochen.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Der Tod ist überall. Örtliche Beamte haben mehr als 2500 Tote gezählt, aber bei diesem ständigen Beschuss ist es unmöglich, alle Leichen zu zählen. Man hat Familien aufgerufen, ihre Toten an die Straße zu legen, Beerdigungen abzuhalten sei zu gefährlich. Ärzte sagen, dass auf einen verwundeten ukrainischen Soldaten zehn verletzte Zivilisten kommen. Viele der von der AP dokumentierten Toten waren Kinder und Mütter, was Russlands Behauptungen widerspricht, Zivilisten seien nicht angegriffen worden.

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Eine tote Frau mitten auf einer Straße in Mariupol am 7. März.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

"Sie haben den klaren Befehl, Mariupol als Geisel zu nehmen, es zu verhöhnen, es dauerhaft zu bombardieren und zu beschießen", sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am 10. März.

Noch vor Wochen schien Mariupols Zukunft rosig auszusehen. Wenn Geografie das Schicksal einer Stadt bestimmt, dann war Mariupol mit seinen florierenden Eisen- und Stahlfabriken, einem Tiefwasserhafen und einer großen Nachfrage nach beidem auf dem Weg zum Erfolg. Selbst die Erinnerung an die dunklen Wochen von 2014, als die Stadt während teuflischer Straßenkämpfe fast an von Russland unterstützte Separatisten fiel, verblasste langsam.

Und so kamen die ersten Tage der Invasion vielen Bewohnern auf verdrehte Art bekannt vor. Etwa 100.000 Menschen verließen die Stadt laut dem stellvertretenden Bürgermeister Serhiy Orlow, als sie noch konnten. Doch die meisten blieben und dachten, sie könnten das, was auch immer noch kommen mochte, einfach aussitzen oder irgendwann doch noch, wie so viele andere, Richtung Westen ziehen.

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Zwei Kinder von Mitarbeitern eines Krankenhauses in Mariupol warten am 4. März unter einer Decke auf ihre Eltern. Was aus ihnen geworden ist, wissen wir nicht.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

"2014 habe ich mehr Panik empfunden, jetzt fühle ich nicht dieselbe Panik", sagte Anna Efimowa, als sie am 24. Februar auf einem Markt einkaufte. "Es gibt keine Panik. Man kann nirgendwohin, wo können wir hin?"

Am selben Tag waren eine ukrainische Radaranlage und ein Flugplatz unter den ersten Zielen der russischen Artillerie. Beschuss und Luftschläge konnten in jedem Moment erfolgen, was sie auch taten, und die Menschen verbrachten die meiste Zeit in Luftschutzkellern. Das Leben war keineswegs normal, aber es war noch möglich, weiter zu leben.

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24. Februar, Kriegsbeginn. Die Russen überfallen die Ukraine und zerstören in Mariupol eine Radaranlage.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

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Zerstörte ukrainische Militärfahrzeuge am Tag des Überfalls der Ukraine durch russische Truppen.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Sie konnten sie nicht retten

Das begann sich rund um den 27. Februar zu ändern, als ein Krankenwagen ins Stadtkrankenhaus raste, an Bord ein kleines bewegungsloses Mädchen, noch nicht ganz sechs Jahre alt. Ein Gummiband hielt ihr braunes Haar von ihrem blassen Gesicht und auf ihrer Schlafanzughose klebte Blut von einem russischen Beschuss. Ihr verwunderter Vater war bei ihr, sein Kopf bandagiert. Ihre Mutter stand neben dem Krankenwagen und schluchzte.

Als die Ärzte und Schwestern sich über sie beugten, gab ihr einer eine Spritze. Ein anderer schockte sie mit einem Defibrillator. Ein Arzt in blauer OP-Kleidung pumpte Sauerstoff in sie hinein, und schaute dabei direkt in die Kamera eines AP-Journalisten, der dabei sein durfte, und fluchte. "Zeigt das Putin", sagte er mit von Kraftausdrücken übersäter Wut. "Die Augen dieses Kindes und die weinenden Ärzte."

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Auch dieses Kind überlebte nicht.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

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Die Ärzte konnten sie nicht retten. Sie bedeckten den winzigen Körper mit ihrer rosagestreiften Jacke und schlossen ihr sanft die Augen. Sie ruht nun in einem Massengrab.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Dieselbe Geografie, die einst Mariupol begünstigte, erwies sich jetzt als fatal. Die Stadt liegt zwischen zwei von Separatisten kontrollierten Gebieten und der 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim. Ihre Einnahme würde den Russen einen Landkorridor und die Kontrolle des Asowschen Meeres in die Hand geben.

Als der Februar zu Ende ging, begann die Belagerung. Vielleicht unruhig oder auch leichtsinnig, wie Teenager es sind, trafen sich ein paar Jungen am 2. März auf einem Feld zum Fußballspielen. Eine Bombe explodierte, zerfetzte Ilijas Beine.

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Artyom und Iliya wollten nur Fußball spielen.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Er hatte schlechte Karten, genau wie die ganze Stadt. Der Strom fiel wieder aus, ebenso die meisten mobilen Telefon-Netzwerke. Ohne Kommunikation mussten die Sanitäter raten, welches Krankenhaus die Verletzten noch behandeln könnte und über welche Straßen man noch dorthin fahren könnte.

Iliya konnte nicht gerettet werden. Sein Vater, Serhij, sank auf die Knie, umarmte den Kopf seines toten Sohnes, weinte und klagte.

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Serhij, in den Armen den toten Iliya.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Zwei Tage später landete wieder ein Kind in derselben Notaufnahme, Kirill, der kleine Junge, dessen Kopf von Granatsplittern getroffen worden war. Seine Mutter und sein Stiefvater hatten ihn in eine Decke gehüllt. Sie hofften auf das Beste und ertrugen dann das Schlimmste. "Warum? Warum? Warum?" fragte die Mutter, Marina Jazko, schluchzend auf dem Krankenhausflur, während die medizinischen Kräfte hilflos dreinblickten. Sanft wickelte sie ihr lebloses Kind aus der Decke, um es zu küssen und ein letztes Mal seinen Geruch einzuatmen, ihr dunkles Haar fiel auf ihn.

Der Tag, an dem die Dunkelheit kam

Das war der Tag, an dem sich die Dunkelheit für immer über der Stadt niederließ - ein Blackout sowohl der Stromversorgung als auch des Wissens. Vom ukrainischen Fernsehen und Rundfunk abgeschnitten, wurden Autoradios zur einzigen Verbindung nach draußen. Es liefen russische Nachrichten, die eine Welt beschrieben, die nicht weiter von der Realität Mariupols hätte entfernt sein können.

Als immer mehr durchsickerte, dass es keinen Fluchtweg gab, änderte sich die Stimmung in der Stadt. Es dauerte nicht lange, bis die Regale in den Geschäften leer waren, Tage ohne Wärme mit kaum etwas zu essen, lange Nächte in Bunkern forderten ihren Tribut. Auf einer Straße brachen Menschen in Läden ein, holten sich das bisschen, was noch zu haben war, um dann wieder in den Untergrund zu hasten.

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In einem Schutzkeller in Mariupol am 6. März.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

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Warmes Essen in einem Schutzkeller in Mariupol am 7. März.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Die Menschen wandten sich plötzlich gegeneinander, so wie es Verzweifelte überall tun. Auf einer Straße mit einer Reihe abgedunkelter Geschäfte schlugen Leute Scheiben ein, schoben Metallgitter hoch und griffen nach allem, was sie kriegen konnten.

Ein Mann, der in ein Geschäft eingebrochen war, fand sich plötzlich direkt vor der wütenden Ladenbesitzerin wieder, die ihn auf frischer Tat beim Diebstahl eines Gummiballs für Kinder erwischt hatte. "Du Bastard, du hast den Ball gestohlen. Leg den Ball zurück. Warum bist du überhaupt hier?", verlangte sie zu wissen. Mit schamvollem Gesicht warf er den Ball in eine Ecke und rannte weg.

"Leute, haltet zusammen …"

In der Nähe tauchte ein Soldat vor einem anderen geplünderten Geschäft auf, er kämpfte mit den Tränen. "Leute, haltet zusammen … dies ist euer Zuhause. Warum werft ihr Scheiben ein, warum stehlt ihr von euren Geschäften?", rief er mit brechender Stimme.

Noch ein Versuch scheiterte, eine Evakuierung auszuhandeln. Eine Menschenmenge kam an einer der Straßen zusammen, die aus der Stadt führt, aber ein Polizist versperrte den Weg. "Alles ist vermint, die Wege aus der Stadt werden beschossen", sagte er ihnen. "Glaubt mir, ich habe eine Familie zu Hause und ich mache mir auch Sorgen um sie. Leider ist es für uns am sichersten, in der Stadt zu sein, unter der Erde in den Luftschutzkellern."

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Ein Mädchen in einem Schutzkeller in Mariupol am 7. März.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Dort konnte man in jener Nacht Goma Janna finden, die neben eine Öllampe wimmerte, die etwas Licht spendete, aber nicht genug Wärme, um die Kälte aus dem Kellerraum zu nehmen. Sie trug einen Schal und einen lustigen Pulli mit Schneeflocken und sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite. Hinter ihr, jenseits eines schmalen Lichtscheins, kauerte eine kleine Gruppe Frauen und Kinder in der Dunkelheit, sie zitterten, wenn oben etwas explodierte. "Ich möchte mein Zuhause, ich möchte meine Arbeit zurück. Ich bin so traurig wegen der Stadt, der Menschen, der Kinder", schluchzte sie.

Belagerung als Taktik

Diese Qual gehört zu Putins Zielen. Die Belagerung ist eine militärische Taktik, die im Mittelalter populär wurde und die eine Bevölkerung durch Hunger und Gewalt zerschlagen soll, damit eine Angriffsmacht ihre eigenen Soldaten schonen kann, wenn sie in eine feindliche Stadt eindringen. Stattdessen sterben die Zivilisten, langsam und schmerzvoll.

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Immer wieder schlagen Bomben und Raketen in Wohnhäusern ein. Nirgendwo in Mariupol ist man mehr sicher.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Putin hat diese Taktik während seiner Jahre an der Macht verfeinert, erst in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny im Jahr 2000, dann in der syrischen Stadt Aleppo im Jahr 2016. Er hat Ruinen aus beiden gemacht. "Was wir jetzt in Sachen Belagerung sehen, bringt die russische Kriegsführung auf den Punkt", sagte Mathieu Boulegue, ein Russland-Experte der Londoner Denkfabrik Chatham House.

Am 9. März reichte der Lärm von russischen Kampfflugzeugen in der Luft aus, um Menschen schreiend nach Schutz suchen zu lassen - irgendwo, um den Angriffen zu entgehen, die sicher kommen werden, auch wenn man nicht wusste, wo.

Das Dröhnen der Jets erfüllte den Himmel, diesmal trafen sie die Entbindungsklinik, hinterließen einen tiefen Krater im Hof des Gebäudes. Helfer rannten mit einer schwangeren Frau auf der Trage durch das Geröll, sie strich über ihren blutigen Bauch. Ihr Baby starb in ihr, und sie wusste es, wie Sanitäter sagten. "Tötet mich, jetzt!", schrie sie, während Ärzte in einem anderen Krankenhaus versuchten, sie zu retten. Ihr Baby wurde tot geboren. Eine halbe Stunde später starb auch die Mutter. Den Ärzten blieb keine Zeit, ihren Namen oder den des Babys zu erfahren.

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Angriff auf eine Klinik samt Entbindungsstation am 9. März. Die werdende Mutter und ihr ungeborenes Kind überlebten ihn nicht.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Eine weitere schwangere Frau, Mariana Wischegirskaja, wartete gerade im Geburtskrankenhaus darauf, ihr Kind zur Welt zu bringen, als die Bomben fielen. Ihre Augenbraue und Wange blutig, stopfte sie ihre Sachen in eine Plastiktüte und stieg in einem gepunkteten Schlafanzug die mit Trümmerteilen übersäten Stufen herab. Vor dem zerstörten Krankenhaus, starte sie regungslos mit weit geöffneten blauen Augen in die knarzenden Flammen. Wischegirskaja brachte ihr Kind am nächsten Tag zum Klang von Artilleriefeuer zur Welt.

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Mariana Wischegirskaja. EinenTag später kam ihre Tochter zu Welt. Wo die beiden nun sind und ob sie noch leben, wissen wir nicht.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

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Baby Veronika tat ihren ersten Atemzug am 10. März.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Die beiden Frauen, die eine tot, die andere Mutter, wurden seitdem zu einem Symbol ihrer geschwärzten, brennenden Heimatstadt. Als Reaktion auf die weltweite Verurteilung behaupteten russische Regierungsvertreter, die Geburtsklinik sei von rechtsextremen ukrainischen Kräften als Basis übernommen worden, Patienten und Personal hätten sie zuvor verlassen.

In zwei Tweets postete die russische Botschaft in London AP-Fotos mit dem in Rot geschrieben Wort "FAKE" darauf. Sie behaupteten, dass die Geburtsklinik schon lange nicht mehr in Betrieb gewesen sei und dass Wischegirskaja eine Schauspielerin sei, die eine Rolle spielte. Twitter löschte die Tweets, weil die Regeln des Netzwerks verletzt worden seien.

Die AP-Reporter in Mariupol, die den Angriff auf Video und mit Fotos dokumentierten, sahen nichts, das darauf hingedeutet hätte, dass das Krankenhaus als irgendetwas anderes genutzt worden wäre denn als Krankenhaus. Es gab auch keine Hinweise darauf, dass Wischegirskaja, eine ukrainische Beauty-Bloggerin aus Mariupol, etwas anderes als eine Patientin war. Veronikas Geburt bestätigt die Schwangerschaft, die ihre Mutter zuvor sorgfältig auf Instagram dokumentiert hatte, darunter ein Post, in dem sie einen gepunkteten Schlafanzug trägt.

"Das Schlimmste kommt noch"

Zwei Tage nach Veronikas Geburt bezogen vier russische Panzer mit einem aufgemalten Z Stellung nahe dem Krankenhaus, wo sie und ihre Mutter sich erholten. Ein AP-Journalist gehörte zur Gruppe von Sanitätern, die unter Scharfschützenfeuer gerieten, wobei einer von ihnen in die Hüfte getroffen wurde.

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Russische Panzer mit dem typischen "Z" in Mariupol.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

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Mariupol ist von russischen Truppen umzingelt. Die verbliebenen Bewohner der Stadt sitzen in der Falle.

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Die Fenster erzitterten und die Flure füllten sich mit Menschen, die nicht wussten, wo sie hin sollten. Anastasia Eraschowa schluchzte und zitterte, während sie ihr schlafendes Kind hielt. Der Beschuss hatte gerade ihr anderes Kind und auch das Kind ihres Bruders getötet. An Eraschowas Kopf klebte noch Blut. "Ich weiß nicht, wohin ich fliehen soll", schrie sie, wobei ihre Panik mit jedem Schluchzen größer wurde.

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11. März 2022, Anastasia Eraschowa im Mariupol: "Wer bringt mir meine Kinder zurück? Wer?"

(Foto: AP/Evgeniy Maloletka)

Anfang dieser Woche hatten russische Kräfte die Kontrolle über das Gebäude übernommen und nutzten es als Basis, wodurch es für Ärzte und Patienten zur Falle wurde, wie ein Arzt dort und örtliche Amtsträger sagten.

Orlow, der stellvertretende Bürgermeister, sagt voraus, dass das Schlimmste erst noch kommt. Der größte Teil der Stadt sitze in der Falle. "Unsere Verteidiger werden bis zur letzten Kugel verteidigen", sagt er. "Aber Menschen sterben ohne Wasser und Nahrung und ich glaube, in den nächsten Tagen werden wir Hunderte und Tausende Tote zählen."

Quelle: ntv.de, AP

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