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Friedrich der Ungeschickte Merz bestätigt in der ersten Woche alle Vorurteile

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Will mit der SPD regieren, verprellt sie aber: Friedrich Merz.

Will mit der SPD regieren, verprellt sie aber: Friedrich Merz.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Union wird stärkste Kraft bei der Bundestagswahl, Friedrich Merz ist der logische nächste Bundeskanzler. Doch statt einem Regierungsbündnis mit der SPD den Weg zu ebnen, zerschlägt der CDU-Chef weiter Porzellan.

Die SPD ist mit ihrer Wahlkampferzählung über Friedrich Merz gescheitert. Über Monate warnte sie vor einem impulsiven Bundeskanzler ohne jede Regierungserfahrung, dessen gesellschaftliche Ideen aus grauer Vorzeit stammten und der den Menschen keinen reinen Wein einschenke. Dennoch reichte es zu einem einigermaßen deutlichen Wahlsieg für CDU und CSU. Viele Wählerinnen und Wähler waren eher bereit, das vermeintliche Risiko Merz einzugehen, als dem Ampel-Kanzler Olaf Scholz eine weitere Amtszeit zu gewähren. Doch die vergangenen Tage zeigen: Die SPD-Anwürfe waren nicht aus der Luft gegriffen.

Schon am Vorabend der Wahl ließ Friedrich Merz aufhorchen, als er mit Blick auf Gegendemonstranten draußen vor der Halle sagte: "Ich frage mal die ganzen, die da draußen rumlaufen, Antifa und 'Gegen Rechts': Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen?". Er sprach am Samstag von "grünen und linken Spinnern", für die er keine Politik mache. Am Dienstag legte er nach: Die Union reichte im Bundestag eine kleine Anfrage mit mehr als 500 Fragen ein, in der sie Dutzende zivilgesellschaftliche Organisationen unter den Generalverdacht stellte, steuerfinanziert von Linksaußen Stimmung gegen die demokratische Mitte zu machen.

Merz gibt dem Impuls nach

Mal abgesehen davon, dass die Union sich mit letzterem Schritt offenkundig die Berichterstattung der Springer-Medien "Welt" und "Bild" zu eigen macht: Merz bestätigt schlimmste Vorurteile, alles links von der CDU für genauso problematisch zu halten wie die AfD. Es war immer das linksbürgerliche bis linksradikale Spektrum, das sich dem rechten Rand entgegengestellt hat - und dabei oft - auf gut Deutsch - aufs Maul bekommen hat. Aus diesem Milieu kamen die Warnungen vor Attentaten wie dem auf Walter Lübcke. Dass diese Menschen mitgetrauert haben um den CDU-Politiker Lübcke, während der sich in den Monaten vor seinem Tod von der eigenen Partei alleingelassen fühlte, haben Lübckes Sohn und Frau die Öffentlichkeit nach Merz' Ausfällen wissen lassen.

Merz aber gibt dem Impuls nach, mit den zahlreichen Gegendemonstranten nach seiner gemeinsamen Abstimmung mit der AfD im Bundestag abzurechnen. Und zerschlägt damit weiter Porzellan, statt der SPD eine gesichtswahrende Annäherung an die Union zu ermöglichen. Die ist aber Voraussetzung für eine gemeinsame Koalition. In der SPD zeigt man sich nicht nur brüskiert über Merz' Äußerungen und die kleine Anfrage: Bis zum Mittwoch hatte es auch keine ordentlichen Gesprächsangebote an die Sozialdemokraten gegeben. Nur kurze Anrufe bei Parteichef Lars Klingbeil. Als ob die Partei nicht auch eine Co-Vorsitzende hätte.

Wieder sieht es nach außen so aus, als ob Merz ein Problem mit linken Frauen hätte. Das macht es den Kritikern von Saskia Esken in der SPD noch schwerer sie abzuservieren, weil man die Vorsitzende bestimmt nicht auf Druck der Union zu einem Amtsverzicht drängen will. Und das Klischee von Macho-Merz wird auch nicht dadurch besser, dass ein Foto öffentlich wurde, auf dem Merz mit fünf weiteren Spitzenpolitikern aus CDU und CSU die nächsten Schritte zur Regierungsbildung bespricht. Das Internet spottet seither über die Ästhetik einer Dax-Vorstandssitzung in den 70ern: Männer im Anzug, meist gehobenen Alters.

Erschreckende Defizite bei Empathie und Taktik

Merz ist fraglos ein sehr kluger Mann, aber in Fragen von Taktik und Empathie offenbart er vor Amtsantritt erschreckende Defizite. Es hätte unmittelbar nach der Wahl vertrauensbildende Maßnahmen in Richtung SPD gebraucht. Stattdessen lassen sich Spitzenpolitiker der Union öffentlich zu einer möglichen Ausweitung des Sondervermögens oder einer Reform der Schuldenbremse ein. Ganz so, als hätte Merz derartige Forderungen von SPD und Grünen nicht den ganzen Wahlkampf über in Bausch und Bogen verdammt. Jetzt sollen beide Parteien plötzlich der Union folgen, weil keine 24 Stunden nach der Wahl auch CDU und CSU schlagartig aufgeht, dass für Bundeswehr, Ukraine, Investitionen und Infrastruktur akut kein ausreichendes Geld vorhanden ist?

Das würden sie unter Umständen schon tun, aber nicht auf Ansage der Union. SPD-Partei- und Fraktionschef Klingbeil ließ am Mittwoch wissen, dass zuerst öffentlich platzierte Vorschläge per se vom Verhandlungstisch seien. Die SPD will von Merz mitgenommen werden, nicht jetzt schon behandelt werden, wie eine dem künftigen Kanzler ausgelieferte CDU-Untergliederung. Dazu passt, dass Merz offenbar noch am Wahlabend den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu nach Deutschland eingeladen hat und demnach bereit ist, den Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen Netanjahu zu ignorieren. Dass die SPD das Den Haager Gericht nicht zu untergraben bereit ist, weiß Merz.

Merz gefährdet - wie schon bei seiner Abstimmung mit der AfD - den Erfolg seiner Kanzlerschaft, noch bevor er das Amt angetreten hat. Der CDU-Chef und seine Jungsbande trumpfen dieser Tage auf, als hätten CDU und CSU am Sonntag 40 Prozent der Stimmen eingefahren. Mindestens. Das stößt unangenehm auf, ist aber nicht das Problem der Bundesrepublik. Das Problem der Bundesrepublik ist, dass so viel Unfähigkeit zu Demut und Taktik die Regierungsbildung gefährdet. Deutschland droht deshalb eine lange Hängepartie, bis es wieder ordentlich regiert wird - wenn überhaupt.

Quelle: ntv.de

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