Wieduwilts Woche

Mitklatschen und Slogans Hält die Koalition uns für dumme Kinder?

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Sie wollen Deutschland voranbringen. Also so richtig voran. Nach vorn. Voran eben.

Sie wollen Deutschland voranbringen. Also so richtig voran. Nach vorn. Voran eben.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

In der Haushaltsdebatte haben sich die Abgeordneten der Regierungsfraktionen für einen Trick einspannen lassen: Sie sollten in ihren Reden denselben lahmen Spruch verwenden, damit die Bürger wieder Hoffnung schöpfen. Es ist Kommunikation mit der Eleganz einer kopulierenden Seekuh.

Deutschland steht am Scheideweg, die Wirtschaft klagt, die AfD ist stärkste Kraft. Die Bundesregierung wirkt müde wie ein altersschwacher Bernhardiner.

Friedrich Merz macht überwiegend das, was er immer tut: Er verspricht zu früh zu viel und scheitert dann an den politischen Realitäten. Wir kennen das schon: Die Schuldenbremse wollte er wahren, die Migrationspolitik per Basta-Befehl verschärfen, im Sommer sollten wir uns gut fühlen.

Jetzt sollte ein "Herbst der Reformen" beginnen, doch auch das wird wohl nichts. Die Aktivrente sollte kommen, doch sie kommt nicht, das Bürgergeld will Friedrich Merz höchstselbst reformieren, doch da macht die Arbeitsministerin nicht mit, wie sie inzwischen mitteilte.

Ein Superstratege hat eine Idee

Tragisch: Wann immer Merz aufs Fahrrad steigt, um Deutschland Richtung Glück zu kurbeln, hält ihm Bärbel Bas eine rote Nelke in die Speichen.

Was also tun? Irgendein Superstratege vermutlich aus der Union hatte eine Idee. Diese Idee klingt erst einmal vernünftig: In der Haushaltsdebatte sollten alle Redner dieselbe Formulierung in ihre Texte einbauen, quasi mit einer Stimme sprechen.

Das ist das Einmaleins der Kommunikation: Einen Kerngedanken muss man immer wieder sagen, damit er beim Publikum ankommt. Gut! Professionell! Respektabel! Oder?

Geistlos wie ein Steuerbescheid

Es gibt einen Haken, ein Problem, dass nicht nur diese Koalition plagt: Sprachlich ist die Bundesregierung nämlich espritloser als ein Steuerbescheid. Hätte der von ihr ersonnene Slogan eine Farbe, dann wäre es "lichtgrau". Er hat keine Textur, keinen Geist, keinen Inhalt, kein Bild, keinen Rhythmus, keine Vision, kein nichts.

Er lautet, Achtung: "Wir wollen Deutschland voranbringen."

Und so geschah es, ich habe es für Sie, liebe Leserin, lieber Leser, im Protokoll nachgelesen und es hat mir die Freude aus dem Herzen getrieben wie grauer Herbstregen.

Voranbringen! Voranbringen! Voranbringen!

"Wir wollen Deutschland sicher und gerecht voranbringen", sagte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch, "wir wollen Deutschland voranbringen, sagte sein Unionskollege Jens Spahn, "Deutschland voranbringen mit Pragmatismus, Maß und Mitte", sagte Spahn dann noch einmal, und dann ein drittes Mal: "Wir wollen Deutschland voranbringen".

SPD-Mann und Parlamentarischer Geschäftsführer Dirk Wiese spricht vom Streichen von Vorschriften, "damit werden wir dieses Land voranbringen", und weil er so schön dabei ist, will er auch "Reformen" "voranbringen", dann will CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann "Deutschland wieder voranbringen", kurz darauf dann "Deutschland (...) voranbringen".

Auch die SPD-Linke Wiebke Esgar will "unser Land wieder voranbringen", Anja Weisberger von der CSU will "Deutschland wieder voranbringen", Jens Peick (SPD) will "Deutschland gemeinsam voranbringen", Inge Gräßle (CDU) will "Deutschland voranbringen", Jürgen Hardt (CDU) will "Deutschland voranbringen".

Deutschland! Deutschland! Deutschland!

Tobias Winkler (CSU) will, Sie ahnen es vielleicht, "Deutschland voranbringen", sein Parteikollege Thomas Erndl will - Achtung, Variation! - "Deutschland auch beim Thema Sicherheit voranbringen", dann noch mal Deutschland insgesamt "voranbringen".

Wie ging es weiter, fragen Sie, vor Neugier bebend? So: Inge Gräßle will schon wieder "Deutschland voranbringen", Nicolas Zippelius (CDU) will "Deutschland voranbringen, Florian Müller (CDU) will "Deutschland voranbringen", Raumfahrtministerin Dorothee Bär (CSU) will "Deutschland wieder voranbringen".

Adrian Gasse (CDU) will "Deutschland wieder voranbringen". Marc Biadacz (CDU) beginnt seine Rede mit "Wir wollen Deutschland voranbringen". Kai Whittaker (CDU) will "Deutschland voranbringen". Sandra Carstensen will die "Integration (...) voranbringen", Sandra Carstensen (CDU) meint, die Koalition wolle "Deutschland voranbringen", dann tritt die Gesundheitsministerin auf, Nina Warken (CDU), sie will, ja ist denn das möglich, "Deutschland voranbringen".

Sprechpuppen in Nordkorea

Also: Der von der Regierung erdachte Slogan "Deutschland voranbringen" wurde im Bundestag tatsächlich 26 Mal aufgesagt, als wären die Abgeordneten schlecht versorgte Sprechpuppen in Nordkorea. Kommunikation mit der Eleganz einer kopulierenden Seekuh.

"Voranbringen" ist die langweilige Schwester von "vorantreiben". Es ist der farblose Sprech müder Parteiprogrammatiker. Die Formulierung ist dermaßen belanglos, dass sie keinem einzigen Journalisten eine müde Zeile wert war - ich selbst habe es nur deshalb bemerkt, weil der "Welt"-Journalist Robin Alexander über den Fehlschlag süffisant im Podcast berichtete.

Die Koalition wollte die Stimmung drehen und Einheit demonstrieren. Gut! Aber warum gibt sich niemand Mühe? Eine Formulierung findet Beifall, wenn sie nicht absolut jedem sofort einfällt. "Deutschland voranbringen" ist das Gegenteil. Von den 10 Alternativen, die eine KI nach 2 Sekunden ausspuckt, sind mindestens acht besser: "Zukunft ist jetzt. Wir gestalten." "Heute denken. Morgen gewinnen." "Handeln für Deutschland."

Konstantes Verfehlen des richtigen Tons

Herrgott, die Volksvertreter hätten auch "Yippie-Ya-Yay, Schweinebacke!" sagen können, dann wäre es wenigstens im Gedächtnis geblieben.

Diese Lieblosigkeit sagt auch einiges darüber aus, wie die Regierung die Bürger sieht: Als bräsiges Publikum, dem man nur 26 Mal sagen muss, dass alles gut wird, dann glaube es das schon. Das zeigt sich nicht nur am "vorantreiben"-Quatsch: Merz läuft seit neuestem zu einem billigen Mitklatschsong auf CDU-Bühnen, der ein wenig klingt, als habe eine verkaterte Grundschullehrerin für die Musikstunde etwas mit KI improvisiert.

Wie unendlich zugewandter formuliert eine AfD, eine Linke. Wenn Merz sich über abstürzende Umfragewerte sorgt, sollte er sich fragen, ob nebst rumpeliger Koalitionspolitik womöglich auch das konstante Verfehlen des richtigen Tons eine Rolle spielt. Hohle Basta-Ansagen, müdes "Voran"-Geplapper und ein Mitklatsch-Song werden nicht funktionieren.

Übrigens: Als einzige Oppositionsabgeordnete wollte in der Haushaltsdebatte auch die Linke Tamara Mazzi etwas "voranbringen". Sie arbeitet dabei allerdings nicht mit der CDU zusammen. Sie will nicht "Deutschland voranbringen", sondern die Menschen, und zwar mit Sprachkursen. Sie meinte allerdings wohl Migranten, ich rede von der espritlosen Truppe im Regierungsviertel Berlin.

Quelle: ntv.de

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