Niedersachsen & BremenNiedersachsens Schuldenuhr läuft erstmals rückwärts

Gibt es Schampus für Niedersachsens Finanzminister? 2022 sollen Schulden getilgt werden, die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler läuft zum ersten Mal rückwärts. Allerdings gibt es auch Bedenken - und klare Forderungen.
Hannover (dpa/lni) - Über Jahrzehnte hat die Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler in Niedersachsen meist nur eine Richtung gekannt: nach oben. Jetzt läuft sie erstmals seit fast 25 Jahren rückwärts - mit 22 Euro pro Sekunde. Im Corona-Jahr 2020 raste die Schuldenuhr dagegen noch um den Rekordwert von 278 Euro je Sekunde vorwärts.
Grund für den Richtungswechsel sei, dass das Land mit dem Haushalt 2022 planmäßig Corona-Schulden von 698 Millionen Euro tilge, ohne neue Kredite zur Finanzierung des Haushalts aufzunehmen, teilte der Bund der Steuerzahler am Dienstag mit. Dessen Vorsitzender Bernhard Zentgraf sprach von einem "löblichen" Richtungswechsel. Zwischen 1997 und 2021 sei die Verschuldung von 32 Milliarden Euro auf fast 70 Milliarden Euro gestiegen.
Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) sagte, es habe ihm "sehr weh getan, als die Schuldenuhr seit März 2020 wieder vorwärts lief". Die Landesregierung sei in der Corona-Pandemie aber gezwungen gewesen, in zwei Nachtragshaushalten Geld bereitzustellen. Allerdings habe man möglichst schnell zu einem ausgeglichenen Haushalt ohne Nettokreditaufnahme zurückkehren und 2024 mit der Tilgung beginnen wollen. "Es erfüllt mich daher mit großem Stolz, dass wir schon in diesem Jahr und damit früher als bisher geplant dieses Ziel erreichen."
Die Opposition im Landtag bemängelte dagegen Sanierungsstau und unterlassene Investitionen in den Klimaschutz. Imke Byl, die klimapolitische Sprecherin der Grünen, befürchtet, dass "künftige Generationen ein Vielfaches draufzahlen". Der finanz- und haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Christian Grascha, sprach von einen Modernisierungsbedarf im Land von mindestens zehn Milliarden Euro: Uneinigkeit zwischen Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), "der die Schuldenbremse am liebsten loswerden möchte, und Minister Hilbers, dem außer der Schuldenbremse nichts einfällt, hat dazu geführt, dass in Niedersachsen vieles liegen geblieben ist".
Niedersachsens DGB-Chef Mehrdad Payandeh sprach mit Blick auf die Diskussion von "reinem Populismus": "Es ist schade, dass sich die CDU und ihr Finanzminister auch im neuen Jahr auf die ewig gleichen Parolen des Steuerzahlerbundes einlassen." Die Schuldenuhr sei eine "Nebelkerze", Bürgerinnen und Bürger hätten nichts davon. "Im Gegenteil: Die großen Aufgaben unserer Zeit wie Klimaschutz und Digitalisierung werden mit einer solchen Politik unseren Kindern aufgebürdet und der staatliche Kapitalstock verrottet gleichzeitig, weil nicht genug investiert wird." Der öffentliche Investitionsbedarf betrage mindestens zwölf Milliarden Euro.
Payandeh betonte: "Die Bevölkerung fällt nicht mehr auf diese finanzpolitische Märchenstunde herein, die nur das Ziel hat, den staatlichen Gestaltungsspielraum einzuengen." Dagegen sprach CDU-Landtagsfraktions-Vize Ulf Thiele von einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik: "In einer Zeit, in der in der Europäischen Union und in der Bundesregierung darüber diskutiert wird, ob die Schuldenregeln aufgeweicht werden könnten, ist dies ein starkes Signal für eine nachhaltige und generationengerechte Haushaltspolitik."
Zentgraf mahnte, bewilligte Pandemieschulden der Jahre 2020 und 2021 von rund zehn Milliarden Euro müssten nach und nach abgebaut werden - "mit eiserner Haushaltsdisziplin und Verzicht auf fiskalpolitische Wohltaten". Der Landtag hatte im Juli 2020 eine notsituationsbedingte Kreditaufnahme von rund 8,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Mit den Nettoneukrediten des Haushalts 2021 von rund 1,1 Milliarden Euro hätte die Schuldenuhr eigentlich die Grenze von 70 Milliarden Euro überschritten. Aber Hilbers verzichtete auf nicht benötigte Corona-Kredite von 641 Millionen Euro.
"Fiskalregeln wie die Schuldenbremse bringen finanzpolitische Spielräume zurück, um auch in künftigen Krisen entschlossen und entschieden handeln zu können", sagte Zentgraf. Auch Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen sehen im Haushaltsjahr 2022 den Angaben zufolge Nettotilgungen vor. Allerdings setze die Nettotilgung in Niedersachsen im kommenden Jahr wieder aus. Weil auch keine Neukredite vorgesehen seien, werde die Schuldenuhr 2023 nach jetzigem Stand still stehen.
"Dringend ein Update" forderte Gerald Heere, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen, für die Schuldenuhr: "Sie könnte zum Beispiel abbilden, welche Folgen der Sanierungsstau hat." Auch sei "eine Schuldenuhr für die Klimaschulden des Landes durch unterlassenen Klimaschutz angebracht". Außerdem gehöre ein Update der Schuldenuhr nicht in den CDU-Fraktionssaal, sondern in den öffentlichen Raum: "Für diese Transparenz muss die Landesregierung sorgen."
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