Sachsen-AnhaltMalzfabrik Niemberg – Studenten erforschen Lost Place

Vom Waffenlager zur Ruine: Drei Studenten lüften das Geheimnis der imposanten Ziegelfabrik – ohne einen Fuß ins marode Gebäude zu setzen. Was sie dabei entdeckt haben.
Niemberg (dpa/sa) - Die alte Malzfabrik ragt wie ein mahnender Ziegelkoloss direkt am Bahnhof von Niemberg (Saalekreis) in den Himmel. Das Bauwerk zwischen Halle und Leipzig steht seit Jahrzehnten leer. Benedikt Kupski, einer der Initiatoren des Projekts "Lost Places in Sachsen-Anhalt gemeinsam sichtbar machen", hat die alte Fabrik jetzt filmisch dokumentiert, zusammen mit seinen Kommilitonen Nico Hoppensack und Justin Dawid. Ihr Videobeitrag ist einem der vielen Orte auf der neuen digitalen Landkarte der Historischen Kommission gewidmet.
Wie das Projekt über den Lost Place entstand
Unter dem Arbeitstitel "Vom Prestigeprojekt zum blinden Fleck: Die Transformation der Malzfabrik in Niemberg" stellen die drei die Vergangenheit und die Gegenwart des Ortes filmisch gegenüber. "Ich bin fast 24 Jahre Niemberger. Seitdem kenne ich dieses Gebäude", sagt Kupski. "Man fährt jeden Tag daran vorbei und sieht, wie es weiter zerfällt." Um die Geschichte des Ortes zu bewahren, wollten sie den "blinden Fleck" wieder sichtbar machen.
Die drei Lehramtsstudenten besuchten an der Martin-Luther-Universität ein Seminar zu Regionalgeschichte. Dort entstand die Idee, selbst einen Erinnerungsort zu untersuchen und herauszufinden, welche Geschichte hinter dem Bau steckt.
Wie man etwas über einen verlassenen Ort herausfindet
Um die Geschichte der Malzfabrik zu erzählen, holten sich die drei Hilfe von Herbert Kleinau, dem Ortschronisten von Niemberg. "Er wusste, woher seine Informationen stammen, und wir konnten anhand seiner Quellennachweise weiter recherchieren", erzählt Kupski. In den umfangreichen Chroniken waren auch historische Fotos und alte Postkarten zu finden.
Bei der Recherche kam Überraschendes zutage: So war die Fabrik nicht nur Produktionsstätte, sondern diente zeitweise als Waffenlagerort für die Marine. Später verlor der Standort an Bedeutung, verfiel nach der Wende. "Uns war vorher nicht klar, wie viele verschiedene Kapitel dieser Ort erlebt hat", sagt Hoppensack. Die Gruppe wühlte sich auch durch alte Zeitungsartikel der Saale-Zeitung, um mehr herauszufinden. "Ich glaube, die Lösung ist: Einfach machen", sagt Hoppensack. "Genau daraus ergeben sich neue Wege und Erkenntnisse."
Im landesweiten Lost-Place-Projekt ist die Dokumentation aus Niemberg einer von mittlerweile mehr als 70 Beiträgen. Ziel ist es nach Angaben der Historischen Kommission, vergessene Erinnerungsorte aus der Perspektive von Bürgerinnen und Bürgern sichtbar zu machen. "Geschichte findet direkt vor der Haustür statt", sagt Projektleiterin Jeannette van Laak. Die Historische Kommission lade jeden dazu ein, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen, betont Vorstandsvorsitzender Christoph Volkmar.
Die Historische Kommission e.V. ist eigenen Angaben zufolge eine Vereinigung von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen. Sie verfolgt unter anderem das Ziel, die Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt zu vermitteln.
Lost Places als geheimnisvolle Orte
Die digitale Landkarte soll den Weg weisen, um die Orte zur eigenen Geschichte zu machen, so Volkmar. "Es soll kein zweites Wikipedia werden, sondern ein bunter Mix aus Formaten", erklärt der Vorstandsvorsitzende. Zu den Lost Places im Land zählen unter anderem auch die Molybdän-Werke in Teutschenthal, die Ziegelei Alte Fähre Plötzky, die Germania-Brauerei Oschersleben und die Aluminium-Werke von Grabau in Trotha.
Für viele Menschen sind Lost Places geheimnisvolle Orte, die man gern auch von innen sehen möchte. Die drei Studenten wagten sich für die Recherche jedoch nicht ins Innere der alten Malzfabrik. "Das Gebäude ist extrem baufällig", berichtet Kupski.
Einen Lost Place zu dokumentieren, ist nicht immer leicht. Oft ist unklar, wem das Gelände gehört und ob das Betreten erlaubt oder untersagt ist. Die Besitzverhältnisse der alten Fabrik in Niemberg etwa konnten die Studenten nicht zweifelsfrei herausfinden. Und zum Betreten des Gebäudes sagt Nico Hoppensack: "Ich würde mich das nicht trauen. Das ist schon gefährlich." Im Inneren befänden sich löchrige Böden und brüchige Decken. "Da kann jederzeit etwas einstürzen."
Entscheidend sei, so die Studenten, die Recherchearbeit. Für ihren Film nutzte ihr dritter Teamkollege Justin Dawid deshalb nur Außenaufnahmen und vorsichtige Blicke ins Innere, gefilmt mit dem Smartphone.
Warum sich die Erkundung trotzdem lohnt
Der Filmbeitrag, den sie für das Landesprojekt erstellt haben, erzählt vom Wandel: Vom imposanten Bau der frühen Industriezeit über Phasen militärischer Nutzung bis zum heutigen Leerstand.
"Solche Orte verschwinden schnell aus dem Gedächtnis", sagt Kupski. "Dabei erzählen sie viel über die Region und darüber, wie Menschen hier früher gelebt und gearbeitet haben." Die drei hoffen, dass ihre Dokumentation andere dazu inspiriert, selbst historische Spuren zu suchen. Man müsse nicht weit reisen, sagen sie. Meist beginne Geschichte genau dort, wo man täglich vorbeifahre.