Wirtschaft

Regionalwährung Chiemgauer Das bessere Geld?

Man muss im Stadtbild schon ein bisschen suchen, um Annahmestellen für den Chiemgauer zu finden.

Man muss im Stadtbild schon ein bisschen suchen, um Annahmestellen für den Chiemgauer zu finden.

(Foto: Katrin Müller)

Während der Eurokrise sprossen sie wie Pilze aus dem Boden: Regionalwährungen. Heute geht es der deutschen Wirtschaft gut, das Regio-Geld ist größtenteils verschwunden. Nur am Chiemsee arbeiten ein paar Ehrenamtliche weiter hartnäckig daran, die (Geld-)Welt zu verändern.

Im September 2002 ist der Euro gerade mal ein paar Monate alt. Die neue europäische Gemeinschaftswährung steht noch auf wackeligen Füßen und genießt wenig Rückhalt in der Bevölkerung: Ein Großteil der Deutschen wünscht sich die D-Mark zurück und traut dem globalisierten Zahlungsmittel nicht so recht über den Weg. Auf der großen Bühne bemerkt man davon kaum etwas, hier sind die Neoliberalen auf dem Vormarsch. Auf regionaler Ebene allerdings formt sich eine Gegenbewegung, die die gängigen Denkweisen in Frage stellt und sich nach alternativen Lösungen sehnt. Auch sechs Schülerinnen der Waldorfschule Prien am Chiemsee und ihren Lehrer treibt die Frage nach monetärer Stabilität in Zeiten der Globalisierung um. Ihre Antwort: eine eigene Regionalwährung.

Reportageserie Mittelstädte

Rund 70 Prozent der Deutschen leben in Städten oder Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern, überregionale Nachrichten kommen aber traditionell fast ausschließlich aus den Großstädten. Doch auch andernorts finden Dinge statt, die uns alle etwas angehen. Deshalb besucht n-tv.de unabhängig vom Tagesgeschehen jeden Monat eine deutsche Mittel- oder Kleinstadt und berichtet über die Dinge, die die Region am stärksten beschäftigen.

Nach nur drei Monaten Entwicklungszeit geht der Chiemgauer an den Start. Gerade einmal 20 Unternehmen akzeptieren das Zahlungsmittel in seiner Anfangsphase, und nur 30 Verbraucher zahlen wirklich damit. 15 Jahre später ist die Regionalwährung erwachsen geworden, ein Schulprojekt ist es schon lange nicht mehr: Mehr als 700.000 Chiemgauer sind im Umlauf, in über 600 Geschäften und Unternehmen kann damit bezahlt werden, der Jahresumsatz liegt bei beachtlichen 7,5 Millionen Euro. Aber kann der Chiemgauer tatsächlich den ominpräsenten Euro ersetzen?

Blutiger Zins

"Das soll er gar nicht", sagt Christophe Levannier, Vorsitzender des zugehörigen Vereins Chiemgauer e.V. und führt aus: "Ich möchte nicht gegen das System sein. Ich bin schließlich ein Teil davon." Tatsächlich ist Levannier als Geschäftsführer eines deutschlandweit liefernden Großhandels für Industriebedarf nicht gerade der klassische Globalisierungsgegner, den Kritiker häufig hinter Projekten wie dem Chiemgauer vermuten. Levannier und seine Mitstreiter wollen keine Alternativwährung aus dem Boden stampfen, sondern das bestehende System verbessern.

"Der Chiemgauer ist eine Komplementärwährung", stellt Levannier richtig. Die Idee dahinter ist einfach: Bei teilnehmenden Unternehmen und Geschäften können Leistungen und Waren in der Regiowährung bezahlt werden. Die erworbenen Chiemgauer können dann ebenfalls nur für Produkte aus den Landkreisen Rosenheim, Traunstein und Berchtesgaden eingelöst werden. So soll die örtliche Nachfrage stimuliert und eine gewisse Autarkie ermöglicht werden, ohne gleich das Rad neu zu erfinden.

So sieht er aus, der Chiemgauer.

So sieht er aus, der Chiemgauer.

(Foto: Chiemgauer e.V.)

Anders als der Euro verliert der Chiemgauer pro Halbjahr drei Prozent an Wert. Ihn zu sparen lohnt sich also nicht, ganz im Gegenteil. So unsinnig die Idee eines Negativzinses auf den ersten Blick wirkt, so stark soll die örtliche Wirtschaft davon profitieren: "Eine Währung ist wie Blut", sagt Levannier. "Solange das Geld zirkuliert, geht es uns gut. Das jetzige System führt dagegen unweigerlich irgendwann zum Herzinfarkt." Der Unternehmer verweist darauf, dass Waren und Geld in unserer heutigen Gesellschaft nicht gleichberechtigt nebeneinander existieren: Während sich Ware nicht ewig lagern lässt und obendrein Lagerkosten verursacht, lässt sich Geld sparen und vermehrt sich dabei sogar noch.

Über 40 Regiowährungen zu Zeiten der Eurokrise

"Man stellt Geld nicht in Frage. So ist das bei uns", sagt Levannier. Der Deutsch-Franzose und seine Mitstreiter haben sich über diese ungeschriebene Regel dennoch hinweggesetzt. Die Inspiration dafür fanden sie in einem historischen Beispiel: dem "Wunder von Wörgl". Als Anfang der 1930er Jahre die österreichische Wirtschaft unter der Weltwirtschaftskrise ächzte, führte der damalige Bürgermeister von Wörgl das sogenannte Freigeld ein, das ähnlich wie der heutige Chiemgauer funktionierte und mit der Zeit an Wert verlor. Innerhalb von nur 14 Monaten erlebte die Stadt eine Blüte: Die Produktivität stieg, die Arbeitslosigkeit sank. Beendet wurde das Experiment schließlich von der österreichischen Zentralbank, wegen der "Inumlaufbringung von Falschgeld".

Der Vorstand des Chiemgauer e.V., von links nach rechts: Karl Schönberger, Elke Boehringer, Christophe Levannier, Stefan Schütz

Der Vorstand des Chiemgauer e.V., von links nach rechts: Karl Schönberger, Elke Boehringer, Christophe Levannier, Stefan Schütz

(Foto: Axel Effner)

Heute ist der Umgang des Staates mit Währungspionieren wie den Chiemgauern entspannter: Offiziell ist die Regiowährung nur ein weiteres Gutschein-System, wie man es schon von Payback oder den Bonusprogrammen von Fluggesellschaften kennt - und dann auch noch eines, das einen vergleichsweise geringen Gesamtumsatz aufweist. Inoffiziell aber ist der Chiemgauer eine der letzten großen Hoffnungen für die Verfechter von Regionalwährungen: Zu Hochzeiten der Eurokrise sprossen die Zahlungsmittel mit so ausgefallenen Namen wie "Sterntaler", "Urstromtaler" oder "Roland" nur so aus dem Boden - mehr als 40 Regiowährungen gab es damals in Deutschland. Von denen ist nicht einmal eine Handvoll übrig geblieben. Und der Chiemgauer ist mit Abstand die größte.

Das hat für weltweites Interesse gesorgt: Journalisten aus Südkorea und Neuseeland haben schon über den Chiemgauer geschrieben, erst letztens war ein japanisches Fernsehteam da. Und auch an der Elite-Uni Harvard beschäftigt man sich mit dem oberbayrischen Erfolgsmodell. Rückhalt fehlt allerdings ausgerechnet da, wo ihn die Chiemgauer am dringendsten benötigen würden: "Es ist merkwürdig: Überall, wo wir hinkommen, werden wir gefeiert", sagt Levannier. "Aber in der Region selbst fehlt uns die politische Unterstützung, die wir brauchen."

Eine soziale Währung

Noch etwa doppelt so viele teilnehmende Unternehmen müssten sich an dem Projekt beteiligen, um die kritische Masse zu erreichen und zu einem System zu werden, das sich selbst erhalten kann. Davon ist Levannier überzeugt. Dann wäre auch endlich der Punkt erreicht, an dem die bislang noch ehrenamtlich tätigen Chiemgauer zumindest Teilzeit angestellt werden könnten - ein wichtiger Punkt, um die zeitintensive Pflege der Währung auch langfristig zu sichern. Für die Region wäre das ein echter Gewinn, schließlich versteht sich der Chiemgauer auch als eine soziale Währung: Wer seine Chiemgauer in Euro zurücktauscht, zahlt automatisch drei Prozent des Umtauschwertes an gemeinnützige Vereine - insgesamt 650.000 Euro an Spenden sind so in den vergangenen 15 Jahren zusammengekommen.

Trotz aller Erfolge wird der Chiemgauer auf absehbare Zeit aber wohl ein Liebhaberprojekt bleiben: Zufällig stolpert man in Traunstein heute kaum über Geschäfte, die den Chiemgauer annehmen. Die meisten Ladeninhaber haben keinen entsprechenden Sticker an ihren Schaufenstern geklebt. Aber "es geht ja auch nicht ums Geld, sondern um die übergeordnete Idee", sagt Levannier. Und die hat den Chiemgauer schon weit gebracht. Ob es am Ende tatsächlich für den angestrebten "Paradigmenwechsel" reicht, muss die Zeit zeigen. Levannier ist sich aber jetzt schon sicher: "Regionalwährungen können zu Rettungsbooten werden, falls der Euro irgendwann einmal crashen sollte."

Quelle: ntv.de

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