Tränengas zieht bis ins Parlament Krawalle begleiten Abstimmung in Athen
12.02.2012, 23:31 Uhr
Das Attikon-Kino in Athen steht in Flammen.
(Foto: dpa)
Das griechische Parlament entscheidet zur Stunde, ob das Land in die Zahlungsunfähigkeit geht. Um die Pleite abzuwenden, müssen die Abgeordneten jedoch harten Sparauflagen zustimmen. Vor dem Parlament wird dagegen protestiert - zunächst friedlich, dann immer gewalttätiger. Zahlreiche Gebäude stehen in Flammen.
Kurz vor der Parlamentsabstimmung über das Sparpaket in Griechenland spitzt sich die Situation in Athen dramatisch zu: Vermummte Randalierer im Zentrum der Hauptstadt werfen mit Brandsätzen und Steinen; Cafés, Geschäfte und historische Kinos stehen in Flammen.
Die Polizei schoss in den stundenlangen Auseinandersetzungen mit Blendgranaten. Flammen schlugen unter anderem aus dem 1870 erbauten Attikon-Kino sowie einem Lichtspielhaus, in dem die Gestapo während des Zweiten Weltkriegs politische Gegner folterte.
Bei den Krawallen wurden mindestens 80 Menschen verletzt, darunter 30 Polizisten. Der Sprecher der Feuerwehr, Nikos Tsongas, sagte im Fernsehen: "Wir haben viele Brände und versuchen sie unter Kontrolle zu bringen."
Bereits am frühen Abend hatten etwa 200 mit Knüppeln bewaffnete Vermummte versucht, Absperrungen vor dem Parlament zu durchbrechen. Sie warfen Steine und Feuerwerkskörper auf die Polizei. Das von der Polizei eingesetzte Tränengas drang bis ins Parlamentsgebäude, wo die Abgeordneten über das Reformpaket berieten, mit dem Griechenland der Zugang zu neuen Milliardenhilfen geebnet werden soll. Die geplanten Einschnitte sehen unter anderem kräftige Lohnkürzungen im Privatsektor sowie Entlassungen von 150.000 Staatsbediensteten bis 2015 vor.
Vor den Ausschreitungen waren Zehntausende Griechen friedlich gegen die geplanten Einschnitte auf die Straße gegangen. Die Demonstranten kritisierten, die Griechen hätten bereits genügend Kürzungen und Steuererhöhungen hingenommen, um den Schuldenberg des Landes abzubauen. Die Angaben über die Teilnehmerzahl insgesamt gehen weit auseinander: Während die Polizei von 55.000 Demonstranten sprach, gaben Gewerkschafter die Zahl von 200.000 an.
"Der Staat muss neu gegründet werden"
Das im Parlament diskutierte Sparprogramm hat ein Volumen von 3,3 Milliarden Euro. Eine Billigung der weiteren Einschnitte ist zwingend nötig, um die Finanzhilfen der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds in Höhe von 130 Milliarden Euro zu erhalten. Ohne diese Unterstützung würde das Land bankrottgehen. Die Entscheidung wird nach Mitternacht erwartet. Alle Abgeordneten werden einzeln zur Stimmabgabe aufgerufen.
In der Debatte sagte Griechenlands Ministerpräsident Lucas Papademos, es sei eine "Entscheidung von historischer Bedeutung". Zugleich zeigte er Verständnis für die Widerstände in der Gesellschaft gegen das Spardiktat der internationalen Geldgeber. "Die fehlende Anerkennung der Bemühungen der Griechen und die ständige Kritik einiger Partner erzeugt Empörung unter den Griechen." Der parteilose Regierungschef kündigte ein neues Steuersystem an. "Der ganze Staat soll neugegründet werden."
Sozialisten-Chef Giorgos Papandreou rief zu einer Abkehr vom Schuldenmachen auf. "Wir können nicht mehr einen Klientelstaat haben. Wir müssen uns davon befreien", rief der frühere Regierungschef.
Auch der Parteichef der Konservativen, Antonis Samaras, warb eindringlich für eine Zustimmung. "Uns bleibt nichts anderes übrig, als dem Sparprogramm zuzustimmen. Wir werden dann versuchen, die Glaubwürdigkeit unseres Landes zurückzugewinnen."
Parlamentspräsident Filippos Petsalnikos musste mehrmals einschreiten, weil einzelne Abgeordnete die Aussprache mit Schreien und Beschimpfungen störten. Beobachter erwarteten, dass etliche Abweichler aus dem Regierungslager dem parteilosen Ministerpräsidenten Lucas Papademos die Gefolgschaft verweigern. Allerdings wird mit einer breiten Mehrheit gerechnet. Die sozialistische PASOK und die konservative Nea Dimokratia (ND) verfügen über 236 der 300 Sitze.
Schäuble macht Druck
Das pleitebedrohte Land steht unter massivem Druck der Geldgeber. Deutschland will nach den Worten von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nur noch helfen, wenn Athen Sparpakete nicht nur beschließt, sondern auch in die Tat umsetzt. "Deswegen reichen uns jetzt die Versprechen von Griechenland nicht mehr", sagte er der "Welt am Sonntag".
Das Land dürfe nicht zu einem Fass ohne Boden werden: "Deswegen müssen die Griechen endlich den Boden einziehen. Dann können wir auch etwas reintun." Bisher ist Deutschland mit 15 Milliarden Euro an der Stabilisierung des Landes beteiligt. Auf die Frage, ob auch ein Austritt Griechenlands aus dem Euro denkbar sei, antwortete Schäuble: "Das haben die Griechen alles selber in der Hand."
Die Zeit drängt
Die Euro-Finanzminister wollen sich am kommenden Mittwoch erneut treffen, um das zweite Hilfspaket für Griechenland zu bestätigen. Es umfasst neue öffentliche Hilfen von 100 Milliarden Euro, dazu kommen 30 Milliarden Euro zusätzliche Garantien zur Absicherung des geplanten Schuldenschnitts. Dieser soll die griechische Schuldenlast um rund 100 Milliarden Euro verringern.
Griechenland hängt seit fast zwei Jahren am Tropf seiner Geldgeber IWF und EU. In Deutschland sind nur noch 27 Prozent der Menschen überzeigt, die Griechen bemühten sich ernsthaft, die im Gegenzug vereinbarten Sparmaßnahmen umzusetzen. CSU-Chef Horst Seehofer regte Volksabstimmungen über deutsche Hilfen für die Währungsunion an.
Der US-Multimilliardär und Spekulant George Soros warf Kanzlerin Angela Merkel vor, sie wiederhole die Fehler, die Amerika 1929 in die große Depression gestürzt hätten. Die Konjunktur in den Krisenstaaten müsse mit Finanzspritzen belebt werden, anstatt die Regierungen zum Sparen zu zwingen, sagte er dem "Spiegel".
Quelle: ntv.de, dpa/rts