Deutscher Mittelstand warnt "Trump hat Vertrauen verspielt"
31.10.2020, 18:01 Uhr
Bleibt Donald Trump US-Präsident? Für den Deutschen Mittelstands-Bund ist seine "Bilanz extrem ernüchternd".
(Foto: picture alliance/dpa)
Die USA haben die Wahl: Sie können US-Präsident Trump in seinem Amt bestätigen oder ihn durch den Demokraten Biden ersetzen. Beides zieht Konsequenzen für die Wirtschaft nach sich. Der deutsche Mittelstand schaut genau auf die Wahl. Marc S. Tenbieg, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bunds, zieht im Interview mit ntv.de Bilanz über vier Jahre Präsidentschaft Trump: "Extrem ernüchternd."
ntv.de: Herr Tenbieg, am 3. November will sich US-Präsident Donald Trump in seinem Amt bestätigen lassen. Vor vier Jahren lauteten seine Wahlslogans "America First" und "Make America Great Again". Wie ist es dem deutschen Mittelstand mit dem Handelspartner USA unter Präsident Trump seitdem ergangen?
Marc S. Tenbieg: Zunächst war die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten ein großer Schock für uns. Man kannte ihn zwar aus dem Fernsehen, wusste aber nicht, wie er letzten Endes regiert, wie er mit der Macht und der Verantwortung des Amts an sich umgeht. Letzten Endes mussten wir uns sehr schnell darauf einstellen, dass wir mit Trump einen Präsidenten der etwas anderen Art bekommen haben. Dennoch: Die USA sind in den vergangenen Jahren unser wichtigster Handelspartner geblieben. Die gesamtdeutschen Exporte in die USA sind sogar weiter gestiegen - zwischen 2017 und 2019 um sechs Prozent, mit einer starken Mittelstandsbeteiligung.
Also viel Lärm um Nichts?
Das wäre übertrieben, denn die wachsenden Importe waren Trump dann schnell ein Dorn im Auge, er präferierte eine stärkere heimische Produktion und begann damit, Strafzölle zu erheben und mit weiten Maßnahmen zu drohen. Ohne den Trumpschen Protektionismus würden wir jetzt sicherlich über bessere Handelszahlen reden.
Protektionismus also. Trump Vorgänger Barack Obama setzte dagegen auf Freihandel und Multilateralismus. In seine Amtszeit fällt auch das Atom-Abkommen mit dem Iran, das Trump prompt einseitig aufgekündigt und Sanktionen verhängt hat. Davon waren auch deutsche Firmen betroffen - auch aus dem Mittelstand?
Erst einmal etwas Grundsätzliches: Das Atomabkommen ist unter immensen politischen Kraftanstrengungen zustande gekommen, unter Federführung Deutschlands und der EU vor allem. Das war ein Meilenstein, wirtschaftlich und politisch, Stichwort: Weltsicherheit. Dann kommt Trump und will den Iran ausbluten lassen. Diese Entscheidung hat den deutschen Mittelstand damals ins Mark getroffen, weil Trump den Unternehmen die Pistole auf die Brust gesetzt hat nach dem Motto: Entweder ihr handelt weiter mit dem Iran, oder mit den USA. Auf einen Schlag waren die jahrelang und mühsam aufgebauten wirtschaftlichen Beziehungen deutscher Firmen mit dem Iran zunichte gemacht. Das Ergebnis in Zahlen: 2019 sind die deutschen Exporte in den Iran laut DIHK dann um 50 Prozent gesunken, auf noch 1,2 Milliarden Euro.
Der größere Absatzmarkt hat schlicht und einfach am Ende gesiegt?
Richtig. Obwohl Deutschland und der Iran traditionell gute wirtschaftliche Beziehungen pflegten und auch politisch von Seiten Berlins oder der EU einiges versucht wurde, standen die Unternehmen am Ende genau an diesem Punkt - und entschieden sich zumeist für den größeren Handelspartner USA.
Welche anderen Maßnahmen der Trump-Regierung bewerten Sie als negativ für Ihre Branche? Welche waren die einschneidensten?
Da gibt es eine ganze Menge, die aber alle auf der protektionistischen Wirtschaftspolitik Trumps fußen. Den deutschen Mittelstand haben vor allem die Strafzölle und die Handelsstreitigkeiten mit China und der EU in Mitleidenschaft gezogen. Deutschlands Wirtschaft denkt global, lebt vom Export. Wenn aber mit China, einer der größten Absatzmärkte und Handelspartner attackiert wird, hinterlässt das auch Spuren in der deutschen Ökonomie und damit auch im Mittelstand.
Aus Sicht der USA betrachtet, klingt das, als ob Trump einiges richtig gemacht hätte ...
Der Deutsche Mittelstands-Bund (DMB) e.V. ist der Bundesverband kleiner und mittelständischer Unternehmen in Deutschland. Seit 1982 vertritt er branchenübergreifend die Interessen seiner rund 22.000 Mitgliedsunternehmen mit insgesamt mehr als 500.000 Beschäftigten. Damit zählt der DMB zu den größten unabhängigen Interessen- und Unternehmerverbänden in Deutschland.
Ja, aus Sicht der USA mag das stimmen, ist aber zu kurz gedacht. Trump hat sich auf die heimische Wirtschaft konzentriert, der Aufschwung, der allerdings schon unter seinem Vorgänger Obama eingesetzt hat, ist der längste in der US-Geschichte gewesen. Trump hat ihn zumindest nicht gestoppt, das war dann das Coronavirus.
Da klingt ein "Aber ..." heraus ...
Ja, aber, Trumps Problem ist die Nachhaltigkeit. Wie teuer hat er sich diesen Aufschwung erkauft? Steuerreform, "America First"-Außenhandelspolitik und die deutlich erhöhten Staatsausgaben brachten zwar kurzfristige Erfolge. Aber wie nachhaltig diese Effekte sind, bei all dem international verspielten Vertrauen - hinter diese Frage setze ich ein sehr großes Fragezeichen. Trumps Politik hat Vertrauen verspielt und nichts ist schlimmer als das: Ein Handelspartner, auf dessen Wort man sich nicht verlassen kann. Dieses zerrüttete Vertrauensverhältnis lässt sich auch nicht von heute auf morgen reparieren, das wird viel Zeit in Anspruch nehmen.
Trump hat mit seiner Unternehmenssteuerreform vor allem den Großkonzernen in die Hände gespielt. Wie ist es denn aus Ihrer Sicht kleineren, mittelständischen US-Firmen ergangen?
Auch diese haben vom anhaltenden Aufschwung natürlich profitiert, aber in einem deutlich geringeren Maßstab. Ihre Steuerersparnisse fielen nicht so hoch aus wie bei den Konzernen, die von ihnen getätigten Investitionen waren dann auch entsprechend geringer. Andere G7-Staaten sind hier nachgezogen, Deutschland bislang nicht. Im Endeffekt lässt sich sagen, dass Trumps Politik primär auf die Unternehmen als solche abgezielt haben, aber die Gesellschaft als solche nicht mit einbezogen haben. Einen solchen gesamtgesellschaftlichen Impuls gab es nicht, er kam nicht zustande - ganz im Gegenteil.
Es heißt: Trump führt die US-Wirtschaft, immerhin die weltgrößte Volkswirtschaft, wie ein Unternehmen. Hat das funktioniert? Kann das überhaupt funktionieren?
Ein Unternehmer achtet in erster Linie darauf, dass es seinem Unternehmen gut geht. Die Führung eines Landes ist vielschichtiger: Da spielt nicht nur die Performance der Wall Street eine Rolle oder wie viele Follower man bei Twitter hat. Es geht um Diplomatie, internationale Beziehungen, Handelspartnerschaften, Verlässlichkeit, Vertrauen. All das hat Trump mit seiner engstirnigen Politik, das Land wie ein Unternehmen führen zu wollen, aber vernachlässigt. Kurzfristig konnte die US-Wirtschaft davon profitieren. Langfristig habe ich da aber wegen des protektionistischen Vorgehens meine Zweifel.
Nun heißt es Donald Trump oder Joe Biden. In den Umfragen liegt Biden zum Teil deutlich vorn. Was erwarten Sie, wie die Wahl ausgehen wird?
Schwierig. Schon bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen haben die Demoskopen danebengelegen. Von daher bin ich vorsichtig mit einer Prognose. Ich sehe aber tendenziell Biden vorn.
Angenommen Biden gewinnt dann auch, wird neuer US-Präsident, löst Trump ab. Würde sich damit für die Handelsbeziehungen zwischen den USA und Deutschland etwas gravierend ändern, vielleicht sogar verbessern?
Zunächst einmal: Egal ob Trump oder Biden, jugendliche Dynamik ist von keinem der beiden zu erwarten. Ich glaube auch, dass ein Biden die Welt von heute auf morgen nicht verändern wird. Klar ist Biden ein Sympathieträger, vor allem in Europa und auch vor allem im Vergleich mit Trump. Aber: Biden wird keine politische 180-Grad-Wende hinlegen. Wirtschaftlich wird er vielleicht an ein paar Stellschrauben drehen, aber nur in geringem Umfang, das deutet sich ja im Wahlkampf auch schon an. Was sich mit Biden aber ändern wird, ist der politische Stil! Ich denke, unter ihm werden die USA wieder mehr zu einem verlässlichen Partner in der Welt, egal ob das Wirtschafts-, Gesellschafts- oder Politikfragen betrifft.
Biden propagiert im Wahlkampf den Kampf gegen den Klimawandel, eine Verbesserung des Gesundheitssystems und eine höhere Besteuerung von Konzernen. Das klingt zunächst für kleinere Firmen positiv, auch für den deutschen Mittelstand?
E s klingt, als könnte mehr Gerechtigkeit ins Wirtschaftssystem Einzug halten. Ich gehe davon aus, dass wenn Biden die USA ins Pariser Klimaabkommen zurückführt und das Thema erneuerbare Energien in den USA eine wichtigere Rolle spielen als unter Trump, dann auch deutsche, mittelständische Unternehmen davon profitieren werden. Klimafreundliche Technologien haben hierzulande einen höheren Stellenwert, sind weiter entwickelt als in den USA. Sollte Biden daher auf das Thema Klimaschutz und Klimaneutralität setzen, dürften entsprechende Maschinen und Technik aus Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Insofern könnte der deutsche Mittelstand von einem klimafreundlichen Präsidenten Biden profitieren.
Trump oder Biden: Was erhoffen Sie sich vom nächsten US-Präsidenten?
Zunächst einmal ist Trumps Bilanz extrem ernüchternd. Ich wünsche mir daher, egal wer nun gewinnt, etwas mehr politische Ruhe und Gelassenheit sowie ein klares Bekenntnis zum transatlantischen Verhältnis. Ich wünsche mir, dass der nächste US-Präsident Europa als Partner sieht, den Abbau von Handelsschranken und damit die Abkehr vom Protektionismus. Stattdessen wieder mehr Multilateralismus und Planungssicherheit für unternehmerische Investitionen.
Mit Marc S. Tenbieg sprach Thomas Badtke
Quelle: ntv.de