"Die Behörden wussten Bescheid" Wendung im Fall des verschollenen Tengelmann-Milliardärs
05.12.2023, 16:33 Uhr Artikel anhören
Sein Verschwinden wirft Fragen auf: Karl-Erivan Haub.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Rund sechs Monate nach den Schlagzeilen um Fotos, die angeblich den Tengelmann-Milliardär Karl-Erivan Haub in Moskau zeigen sollen, bekommt der Fall eine spektakuläre Wendung: RTL spricht mit einem Zeitzeugen, der behauptet, deutsche Behörden sollen von dubiosen Russland-Verbindungen der Familie Haub gewusst haben.
Was geschah an jenem kalten Frühlingsmorgen, am 7. April 2018, zu Füßen des Matterhorns? Wohin entschwand der milliardenschwere Firmenchef des Tengelmann-Konzerns, kurz nachdem ihn eine Überwachungskamera an der Bergstation Klein Matterhorn um 09:09 Uhr das letzte Mal aufgezeichnet hat?
Zunächst suchte ein Großaufgebot an Bergrettern und privaten Sicherheitsleuten den erfahrenen Alpinisten in den Gletscherspalten im gesamten Skigebiet. Doch nur sieben Tage nach seinem Verschwinden kam man intern bereits zu einer völlig anderen Schlussfolgerung: Ein Bergunfall sei nur zu 5 Prozent wahrscheinlich, zu 90 Prozent sei Karl-Erivan Haub, genannt Charlie, absichtlich "verschwunden". Die Wahrscheinlichkeit eines kriminellen Hintergrundes liege bei 4 Prozent, eine Selbsttötung bei 1 Prozent. So steht es in den internen Akten der Tengelmann Unternehmenssicherheit, die RTL/ntv/STERN als erstem Medium in großem Umfang vorliegen.
Nur wenige Monate später, im Juni 2018, suchen private Ermittler den Verschollenen bereits in Russland, beschatten vor Ort mutmaßliche Kontakte, darunter auch eine junge Frau, Veronika E. Man wird sie später dem Umfeld des russischen Geheimdienstes zuordnen. Auch das steht in den als geheim eingestuften internen Tengelmann-Ermittlungsberichten. Einige Zeit nach dem Verschwinden beginnen außerdem die amerikanischen Geheimdienste FBI und CIA mit Ermittlungen in Zermatt, befragen die internen Tengelmann-Ermittler zu ihrem Kenntnisstand. Haub, der auch die amerikanische Staatsbürgerschaft hat, sei offenbar aufgrund seiner Russland-Verbindungen ins Visier der amerikanischen Behörden geraten, schlussfolgern die internen Tengelmann-Ermittler. Auch das steht in den Akten.
"Gewisse Vorgänge"
Doch die deutschen Behörden scheint das mysteriöse Verschwinden wenig zu interessieren. Im Raum steht die Frage, ob Christian Haub, Karl-Erivans jüngster Bruder und heutiger Firmenchef, Kenntnisse über die Spuren nach Russland hatte und ihm insbesondere die Bilder, die mutmaßlich seinen Bruder zeigen, bekannt waren.
Bei RTL kommt erstmals ein Zeitzeuge zu Wort, der sagt: "Die Behörden wussten Bescheid, aber es gab keinen Ansatz, um weiter Ermittlungen zu führen." Der Mann, der anonym vor der Kamera spricht, hat jahrelang eng mit Karl-Erivan Haub zusammengearbeitet. Bereits vor 2010 seien Tengelmann-interne Ermittlungen durchgeführt worden, da eine Person aus dem Umfeld der russischen Mafia mit einer Generalvollmacht des mittleren Haub-Bruders, Georg, aufgetaucht sein soll. Dem ehemaligen JP Morgan-Banker Francisco Guadamillas Cortes werden nicht nur Verbindungen zur St. Petersburger Mafia und Wladimir Putin, sondern auch zu kolumbianischen Drogenkartellen nachgesagt.
Die Schilderungen des Zeitzeugen decken sich an dieser Stelle mit den internen Tengelmann-Akten, die RTL/ntv/STERN vorliegen. Damals, so der Zeuge, habe man sich zur Einschätzung der Bedrohungslage auch an die deutschen Behörden gewandt, namentlich an das BKA und den BND. Man habe die Bedrohungslage in den Behörden zwar gesehen, jedoch offenbar nichts unternommen. "Aber spätestens nach dem Verschwinden von Karl-Erivan hätte man eigentlich diese Ermittlungen aufnehmen müssen", so der Zeuge gegenüber RTL. Doch, so Karl-Erivan Haubs Vertrauter weiter, das Russland-Geschäft sei ohnehin reine Chef-Sache gewesen. Von den russischen Geschäftspartnern sei "nichts" bekannt gewesen und da sei auch "nichts recherchiert und durchleuchtet worden." Aus heutiger Sicht, nach allem, was inzwischen bekannt sei, könne er sich das nicht erklären.
"Dieser Gesamtvorgang soll meiner Einschätzung nach offensichtlich erledigt werden. Sowohl im wirtschaftlichen Sinne, als auch im politischen, um da nicht irgendwelche Ermittlungen fortführen zu müssen. Das ist die einzige Erklärung, die ich dazu habe." Ob diese Erklärung zutreffend sein kann, können wir nicht nachprüfen. Doch was könnte hier verheimlicht werden? Wohin führt die Spur? "Um gewisse Vorgänge nicht transparent in der Öffentlichkeit darzustellen. Das möchte man nicht unbedingt immer. Da treten ja wirtschaftliche und politische Interessen zusammen, was die deutsch-russischen Verhältnisse betrifft. Was die wirtschaftlichen Interessen betrifft, was die allgemeine politische Lage betrifft. Vielleicht möchte man das nicht."
Rein juristisch mag Karl-Erivan Haub inzwischen für tot erklärt worden sein. Für Journalistinnen und Journalisten geht die Suche nach dem verschollenen Tengelmann-Chef aber weiter.
Das gesamte Interview mit dem Zeitzeugen sehen Sie am heutigen Dienstag um 22:35 Uhr bei RTL Extra und ab Mittwoch für sieben Tage bei RTL+.
Der 90-minütige Dokumentarfilm "Tengelmann - Das mysteriöse Verschwinden des Milliardärs" ist ebenfalls auf RTL+ abrufbar.
Der Podimo-Podcast "Die Akte Tengelmann – Ein Milliardär verschwindet" ist ebenfalls abrufbar über RTL+.
Quelle: ntv.de